Warnung vor Unabhängigkeit "Die katalanische Wirtschaft würde einen Kollaps erleben"
Eine Loslösung Kataloniens von Spanien würde für die Wirtschaft des EU-Landes schlimme Folgen haben. Die Katalanen sind überzeugt, dass sie ohne Madrid besser leben würden. Stimmt das? Sorgen müssen sich auch die deutschen Cava-Liebhaber machen.
Der Countdown zum umstrittenen Referendum über Unabhängigkeit am Sonntag in Katalonien macht vielen Menschen große Sorgen. Auch die Wirtschaft zittert. Im Falle einer Loslösung der Region würde Spanien auf einen Schlag knapp ein Fünftel seines Bruttoinlandsprodukts verlieren. Gut 220 Milliarden Euro. Oder wie manche sagen: "Ein ganzes Finnland". Aber auch für Katalonien hätte eine Trennung schlimme Folgen, meint Josep Bou. "Die katalanische Wirtschaft würde einen Kollaps erleben und um bis zu 20 Prozent einbrechen."
Minister warnt vor "wirtschaftlichem Selbstmord"
Bou ist Präsident des Verbandes der katalanischen Unternehmer, die gegen die Abspaltung sind. Er spricht von einer bereits eingesetzten Firmenflucht. Die Unternehmenszahl sei in der Region 2016 wegen der instabilen Lage schon um 271 zurückgegangen. Der Madrider Wirtschaftsminister Luis de Guindos, der die Katalanen vor einem "wirtschaftlichen Selbstmord" warnt, schlägt mit einem konkreten Beispiel in die gleiche Kerbe. Er stehe in Verhandlungen mit einem Autohersteller, der sich in Katalonien niederlasse wolle, und könne aus erster Hand sagen, dass "solche Sachen nicht helfen".
Apropos Auto: In Martorell bei Barcelona sitzt die Volkswagen-Tochter Seat. Das einstige VW-Sorgenkind macht inzwischen wieder gute Geschäfte. Mit knapp 8,6 Milliarden Euro wurden 2016 die höchsten Umsätze der Firmengeschichte erzielt. Seat exportierte gut 80 Prozent seiner Produktion und ist mit einem Anteil von knapp drei Prozent ein Top-Exporteur der spanischen Industrie. Die Erfolgsstory wird nun von den Unabhängigkeitsbestrebungen bedroht. Auf die Frage nach der politischen Situation räumte Firmenchef Luca de Meo dieser Tage ein, dass Seat "ein stabiles Umfeld" benötige.
Keine EU-Mitgliedschaft bei Unabhängigkeit
Ein unabhängiges Katalonien würde seine EU-Mitgliedschaft verlieren und müsste zunächst einen Antrag auf Aufnahme in die Gemeinschaft stellen, was Jahre dauern könnte. Bei Verkäufen in EU-Ländern müssten die Katalanen bis dahin wohl Einfuhrzölle bezahlen. Im Autosektor seien das zehn Prozent, erinnerte de Guindos. Das Problem würde aber auch den deutschen Cava-Liebhaber treffen.
Die auch in Deutschland sehr beliebten Produkte des Sektherstellers Freixenet würden nämlich deutlich teurer werden. Aufsichtsratvorsitzender José Luis Bonet, der auch Präsident der spanischen Handelskammer ist, meinte sogar, eine Abspaltung der Region würde die katalanischen Firmen "an den Rand des Abgrunds" treiben. Vor allem aber die kleinen und mittleren Unternehmen würden in Mitleidenschaft gezogen werden.
Viele deutsche Firmen in Katalonien ansässig
Aber auch bei den vielen großen katalanischen Unternehmen herrscht derzeit Ungewissheit. Bonet meint, die meisten Verantwortlichen bei den Firmen warteten derzeit bei Investitionen lieber ab. Katalonien nimmt in Spanien vor allem in den Bereichen Industrie und Textil eine Spitzenrolle ein. Vier der sechs größten Bekleidungsfirmen des Landes (Mango, Desigual, Pepe Jeans und Tous) sitzen in der Region. Rund 50 Prozent der deutschen Unternehmen in Spanien sind zudem hier ansässig, darunter Siemens, Bayer, BASF und Evonik.
Auch im Tourismussektor ist Katalonien in Spanien führend. Die Region im Nordosten des Landes war voriges Jahr mit 17 Millionen ausländischen Gästen mit großem Vorsprung vor den Balearen (13 Mio) und den Kanaren (12 Mio) das beliebteste Reiseziel. Deutsche besuchen gerne die Metropole Barcelona, aber auch Badeorte wie Lloret de Mar. Tourismusminister Álvaro Nadal warnte erst diese Woche, eine Abspaltung würde schlimmere Auswirkungen als die jüngsten Terroranschläge von Barcelona haben. Katalonien würde plötzlich den Euro nicht mehr haben, "die Geldautomaten würden nicht mehr funktionieren". Für Besucher, so Nadal, eine "verrückte Lage".
"Keiner weiß, was passieren wird"
Carlos Wienberg spricht von einer "explosiven Lage". "Keiner weiß, was in den nächsten Tagen passieren wird", sagt der deutsche Anwalt, der im Kreis deutschsprachiger Führungskräfte in Barcelona Vizepräsident ist. Das von der Regionalregierung für den 1. Oktober angesetzte "verbindliche Referendum" soll gegen den Widerstand der Zentralregierung und trotz eines Justizverbots durchgeführt werden.
Mit einer Unabhängigkeit rechne in der Region, die etwa so groß wie Nordrhein-Westfalen ist, "aber noch niemand ernsthaft", betont Wienberg im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Das sei auch daran zu sehen, dass "die Zinsen für spanische Staatsschuldverschreibungen trotz der dramatischen Entwicklung in Katalonien auf ihrem historisch niedrigen Niveau verharren".
"Madrid beklaut uns"
Es gibt in Katalonien unter den gut 7,5 Millionen Einwohnern viele Gegner einer Loslösung, nach einigen Umfragen aber auch ebenso viele Befürworter. "Madrid ens roba", lautet das Credo dieser Menschen auf Katalanisch. "Madrid beklaut uns". In der Tat werden mit den katalanischen Steuern schwächere Region aufgepäppelt. Die Separatisten beklagen die hohen Transferleistungen, Madrid lehnt aber Gespräche über mehr Steuerautonomie - wie sie andere autonome Gemeinschaften wie das Baskenland oder Navarra genießen - ab.
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Die pro-separatistischen Dörfer rund um Barcelona haben sich deshalb in ein Meer aus "Esteladas" (die Flagge der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung) und Plakaten mit Protestparolen gegen die Zentralregierung verwandelt. "Wir sind die reichste Region im Land und müssen davon riesige Mengen an Madrid abtreten", sagt Pipo Aymimi aus dem Örtchen Arenys de Munt, ein energischer Verfechter der Abspaltung Kataloniens. Die Bevölkerung wolle die Abstimmung um jeden Preis und werde sich ihr Recht auf eine demokratische Volksbefragung nicht verbieten lassen, sagt er kämpferisch.
Je näher der 1. Oktober rückt, desto mehr verhärten sich die Fronten. Es sei nicht abzusehen, ob die bislang friedlichen Proteste nicht in Gewalt umschlagen könnten, sollte der Druck aus Madrid zu groß werden, meint Wienberg. Bei einer Zuspitzung der Lage könnten große deutsche Firmen zwar rasch durch einen Beschluss von Gesellschafterversammlung oder Verwaltungsrat ihren Sitz aus Katalonien heraus verlegen, so der erfahrene Jurist. Anders sehe das aber natürlich bei den Produktionsstätten aus.