Ratingagentur Standard & Poor's verteidigt sein Urteil - massive Kritik
Die Ratingagentur Standard & Poor's hat ihre kurz vor dem EU-Gipfel ausgesprochene Androhung, Deutschland und andere Euro-Länder sowie den Rettungsschirm EFSF herabzustufen, verteidigt. Originäre Aufgabe von Ratingagenturen sei es, Einschätzungen von Risiken für Investoren zeitnah an den Markt zu bringen, sagte der Europa-Chefanalyst von S&P, Moritz Krämer, am Dienstagabend im ZDF-"heute-journal". Und die Risiken für die Eurozone hätten in den vergangenen Wochen zugenommen, zuletzt seien täglich neue Informationen hinzugekommen. Die Krise nehme zunehmend ein systemisches Ausmaß an. Derweil wurde der Rating-Riese von massiver Kritik überschüttet. Und seitens der Koalition träumt man bereits vom Ende der Schuldenkrise.
"Falls es nicht gelingen sollte, beim Krisengipfel in Brüssel neues Vertrauen zu schaffen, sehen wir erhebliche Risiken, die in einer Verschärfung der Finanzkrise und eine realwirtschaftliche Rezession im nächsten Jahr münden könnte", sagte Moritz Krämer gegenüber der "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Der S&P-Chefanalyst warnte davor, die Intelligenz der Marktteilnehmer zu unterschätzen, indem man ihnen unterstelle, sich allein auf die Einschätzung einer Agentur zu verlassen. Standard & Poor's hatte am Montagabend eine Überprüfung der Kreditwürdigkeit Deutschlands und Frankreichs sowie weiterer 13 Staaten der Eurozone angekündigt und sich besorgt über das europäische Krisenmanagement geäußert. Der EU-Gipfel findet am Donnerstag und Freitag statt.
Verbraucherschützer: S&P verantwortungslos
Von diversen Seiten wurde die Rating-Agentur für die Androhung kritisiert. Der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Gerd Billen, hat den großen US-Ratingagenturen unverantwortliches Handeln in der Euro-Schuldenkrise vorgeworfen. Sie seien "nicht nur ein neutrales Fieberthermometer, sondern sie treiben das Fieber mit nach oben", sagte Billen. Letztlich sorgten die Ratingagenturen dafür, "dass demokratisch legitimierte Staaten von der Finanzindustrie vor sich hergetrieben werden".
Ruf nach europäischer Ratingagentur wird lauter
Um dies zu verhindern, sollte nach seinen Worten eine europäische Ratingagentur eingerichtet werden, "die unabhängig ist und verantwortlich handelt". Billen sprach sich für eine Art Stiftung aus, in der etwa auch die produzierende Wirtschaft vertreten ist. Damit könne sichergestellt werden, dass das Ziel einer solchen Organisation im Blick gehalten werde, nämlich das seriöse Bewerten von Kreditrisiken. Auch in der schwarz-gelben Koalition wurde der Ruf nach einer europäischen Ratingagentur lauter. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Michael Fuchs (CDU), nannte in der "Bild"-Zeitung als Vorbild die Stiftung Warentest.
Bundesbank zeigt wenig Verständnis
Die kritische Bewertung Deutschlands durch S&P stieß auch bei der Deutschen Bundesbank auf wenig Verständnis. "Die Reaktion von Standard & Poor's kann nicht wirklich überraschen angesichts der aktuellen Unsicherheit in der Eurozone. Man kann aber geteilter Meinung sein, ob die Begründung glücklich ist", sagte Bundesbank-Vorstand Joachim Nagel der Tageszeitung "Die Welt". "Weiche politische Faktoren anzuführen, halten wir für wenig überzeugend."
Dekabank glaubt an anhaltende Abstufungsgefahr
Europa bleibt nach Einschätzung des Chefvolkswirts der Dekabank, Ulrich Kater, noch lange Zeit der Gefahr von Rating-Abstufungen ausgesetzt. Fast alle westlichen Industrieländer hätten die Grenzen ihrer Staatsverschuldung erreicht, sagte Kater dem "Handelsblatt". Die US-Ratingagentur Standard & Poor's habe Signale nicht nur an die Euro-Länder ausgesendet, sondern bereits im Sommer auch an die USA. "Es gibt Hinweise, dass die Politik diese Signale in der jüngsten Vergangenheit immer besser versteht", ist der Ökonom überzeugt. Doch das gehe nicht von heute auf morgen, sondern benötigt viele Jahre. "In dieser Zeit kann es auch zu weiteren Herabstufungen als nur für die USA kommen", sagte Kater.
"Times" fordert Reform von Ratingagenturen
Die konservative britische Zeitung "The Times" fordert eine Reform von Ratingagenturen: "In den Boom-Zeiten des letzten Jahrzehnts hatten 60 Prozent aller Wertpapiere, die durch Anleihen abgesichert waren, ein Toprating von AAA. Diese Bewertung hat sich als völlig falsch erwiesen. Als der US-Immobilienmarkt einbrach, haben sich die Ratings der Agenturen als höchst fehlbare Meinungen herausgestellt und kaum als wissenschaftliche Berechnungen. Ratingagenturen brauchen mehr Fachwissen, Bescheidenheit und Wettbewerb. Doch die Krise der westlichen Länder war nicht ihre Erfindung. Es ist unsinnig, sie zu geißeln, weil sie die Kreditwürdigkeit von Regierungen kritisch bewerten, die über ihre Verhältnisse gelebt haben. Man sollte nicht den Überbringer der Nachricht erschießen, hingegen gibt es Gründe für Skepsis und Reform."
Schuldenkrise bald überwunden?
Vielleicht erledigt sich das Thema Ratingagenturen aber bald auch von selbst. Denn die europäische Schuldenkrise könnte nach den Worten von Unionsfraktionschef Volker Kauder bis zum Sommer 2012 überwunden werden. Sollten die Vorschläge von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy angenommen werden, werde Europa seine Probleme in den Griff bekommen, sagte der CDU-Politiker der "Rheinischen Post". Zu den Vorschlägen gehören unter anderem automatische Strafen für Defizit-Sünder sowie eine einheitliche Schuldenbremse. Merkel und Sarkozy wollen dazu die EU-Verträge ändern.
Kauder schlug vor, die Euro-Gruppe die Haushalte der Nationalstaaten kontrollieren zu lassen. "Wichtig ist, dass eine zentrale Instanz die Konsolidierung in den Staaten überwacht und zwar strikt", sagte er dem Blatt. Die Androhung der Ratingagentur Standard & Poor's, die Bonität Deutschlands herabzustufen, sollte man nicht "überbewerten", sagte Kauder weiter.