Radio, TV, Internet-Plattformen Neuer Medienstaatsvertrag – was ändert sich?
Die Bundesländer legen die Rundfunk-Regeln in Deutschland fest. Der digitale Wandel hat neue Angebote hervorgebracht – wie passt der in den 90er-Jahren entstandene Rundfunkstaatsvertrag noch dazu? Er soll ersetzt werden. Ein Beschluss steht jetzt bevor.
Wie stark sich die Medien in Deutschland wandeln, lässt sich an einem Papierstapel mit Paragrafen gut ablesen. 1991 legten sich die Bundesländer auf einen Staatsvertrag fest. Darin ist das duale Rundfunksystem – also mit privaten und öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehsendern – geregelt. Längst passt dieses Schema in vielen Fällen nicht mehr. Was ist mit dem YouTuber, der regelmäßig ein eigenes Programm anbietet? Und mit Internetplattformen, die Medieninhalte von Dritten bündeln? Ein neuer Staatsvertrag soll dem digitalen Wandel Rechnung tragen. Er könnte nun beschlossen werden.
Ersetzt der Medienstaatsvertrag den Rundfunkstaatsvertrag?
Ja. Der Rundfunkstaatsvertrag gilt seit 1991, in der Zwischenzeit gab es zahlreiche Änderungen in dem gesetzlich festgelegten Vertragswerk. Internetangebote kamen hinzu – Telemedien in der Vertragssprache genannt. Der Medienstaatsvertrag – der auch so heißen soll – ersetzt das Ganze.
Andere Staatsverträge im Medienbereich bleiben hingegen bestehen. Dazu zählt der Staatsvertrag zur Rundfunkfinanzierung, in dem die Beitragshöhe je Haushalt festgelegt ist. Oder der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag, der regelt, um wie viel Uhr welche Filme gezeigt werden dürfen.
Was steht im Rundfunkstaatsvertrag?
Die grundsätzlichen Richtlinien des Rundfunksystems in Deutschland. Der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Sender ist definiert – Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung gehören dazu. Die Finanzierung der Sender ist beschrieben und in welchen Grenzen Werbung möglich ist. Für private Radio- und TV-Sender ist geregelt, dass sie eine Zulassung brauchen. Es gibt auch Vorschriften, um Meinungsvielfalt zu sichern.
Was genau ändert sich mit dem neuen Vertrag?
Die Definition von Rundfunk soll neu gefasst werden. Die Zulassungsverfahren, um Rundfunk betreiben zu können, sind bislang vor allem auf Medienhäuser zugeschnitten. Durch die digitalen Möglichkeiten kann heute aber theoretisch jeder Rundfunk machen – mit einer Sendung und Programm. Unter Umständen müssen auch kleinste Live-Streamer bislang Zulassungen beantragen. Die Hürden dafür sollen sinken – um Kreative zu fördern und Bürokratie abzubauen. Wenn durchschnittlich weniger als 20.000 Nutzer ein Angebot gleichzeitig nutzen, sollen die Zulassungsregeln wegfallen.
Der Staatsvertrag gilt künftig auch für sogenannte Intermediäre, Plattformen und Benutzeroberflächen. Im Wesentlichen sind damit Internetplattformen gemeint, die Medieninhalte bereitstellen – sie also nicht selbst herstellen. Das können etwa Live-Streamingplattformen sein oder Videoportale. Die Vertragsregeln sollen bei Diensten wie zum Beispiel Smart-TVs – das sind Fernsehgeräte mit Internet- und Zusatzfunktion – gewährleisten, dass Medieninhalte mit einem gesellschaftlichen Mehrwert leicht auffindbar sind und nicht in der Masse untergehen. Kriterien können journalistischer Nachrichtengehalt, ein gewisser Anteil von regionaler Berichterstattung und Barrierefreiheit – etwa bei einer Seh- oder Hörbehinderung – sein.
Die rheinland-pfälzische Staatssekretärin Heike Raab – Rundfunkangelegenheiten der Länder werden traditionell von Rheinland-Pfalz in einer Rundfunkkommission koordiniert – sprach unlängst von einer "kommunikativen Chancengleichheit auch für die Angebote von Content-Anbietern aus unserem Medienmarkt". Die Ministerpräsidentin des Bundeslandes, Malu Dreyer (SPD), betonte: "Wir wollen die Auffindbarkeit von journalistisch-redaktionellen Angeboten verbessern, um jenseits der kommerziellen Dominanz der US-amerikanischen Plattformen und Suchmaschinen die Menschen zu erreichen."
Und um solche Details geht es: Die Angebote dürfen bei ihrer Wiedergabe ohne Einwilligung nicht durch Einblendung von Werbung überlagert werden. Und es muss transparent sein, warum eine Plattform bestimmte Funktionen und Angebote präsentiert. Auch eine Kennzeichnungspflicht für sogenannte Social Bots ist vorgesehen. Das sind Programme, die in sozialen Medien mitkommunizieren, um einen Gesprächsverlauf zu steuern.
Was sagen Verbraucherschützer?
Dieser erste Ansatz sei ein "durchaus hoffnungsvoller Versuch" des Spagats zwischen Meinungsfreiheit und notwendiger Regelung, sagte der für das Thema zuständige Vorstand der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Schuldzinski. Wichtig sei, dass journalistisch editierte Angebote gefunden werden. Diese Auffindbarkeit von Qualitätsmedien im Internet müsse geregelt werden. Die Zielgröße von 20.000 Nutzern beim Zulassungsverfahren könne mit Blick auf die Meinungsfreiheit auch höher sein, sagte Schuldzinski.
Wie stehen TV-Sender zum Vertrag?
Die ARD betonte, dass die Festlegungen zur Plattformregulierung von besonderer Bedeutung seien. "Dabei geht es um zahlreiche Geschäftsmodelle, die sich zwischen uns als Programmveranstalter und den Nutzer unserer Inhalte geschoben haben – von den Kabelinfrastrukturen bis zur Benutzeroberfläche auf dem Smart-TV-Endgerät."
Auch vom Verband Privater Medien (Vaunet) gibt es Zustimmung. Es sei ein guter und längst überfälliger Schritt, sagte der Vaunet-Vorstandsvorsitzende Hans Demmel. Der Vertrag stelle die Weichen, wie Nutzer künftig Radio und Fernsehen auf Plattformen und Intermediären finden. Zugleich gibt Demmel zu Bedenken: Der Vertrag werde sich vor allem dabei beweisen müssen, ob er auf neue sogenannte Gatekeeper-Situationen wie zum Beispiel Sprachassistenten passende Antworten liefert. Das könnte etwa dann der Fall sein, wenn eine Nachrichtensendung gefordert wird und der Sprachassistent eine bestimmte auswählt.
Und die Digital-Branche?
Die sieht den Vertragstext kritisch. Der Digitalverband Bitkom stößt sich zum Beispiel daran, dass gewisse Inhalte künftig leicht auffindbar sein sollen. "Eine privilegierte Auffindbarkeit wird gerade nicht die Meinungsvielfalt schützen", sagte Susanne Dehmel als Mitglied der Bitkom-Geschäftsleitung. "Ganz im Gegenteil: Sie führt dazu, dass einige wenige Anbieter bevorzugt werden, während die Inhalte vieler anderer Anbieter diskriminiert werden. Das Nachsehen haben die Nutzer, die unangemessen bevormundet werden."
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Sie sieht auch Probleme bei der Umsetzung der Regeln. "Natürlich wollen die Diensteanbieter regelkonform agieren, jedoch werden viele im ersten Schritt nicht sicher wissen können, welche ihrer Dienste in welche Regelungsbereiche fallen."
Wie ist der Zeitplan?
Am Donnerstag, den 5. Dezember, könnten die Ministerpräsidenten den Staatsvertrag in Berlin beschließen. Die Landtage müssen danach unterrichtet und der Text der Europäischen Kommission vorgelegt werden. Zur Unterzeichnung des Vertrages könnte es im Frühjahr kommen. In Kraft treten könnte das Ganze dann zum September 2020. Dieses Datum ist festgelegt durch den Zeitplan, der sich aus der Umsetzung der Vorgaben einer europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie), die die Standards in den europäischen Ländern angleicht, ergibt.
- Nachrichtenagentur dpa