Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Lehre statt Studium Wir brauchen mehr ehrliche Berufsberater
Schulen, Universitäten und Berufsberater raten Abiturienten stets zum Studium. Dabei wäre für viele eine solide Berufsausbildung für den Anfang besser – und für die deutsche Wirtschaft.
Und, was willst Du machen? Wenn in diesen Wochen Eltern und Schüler am Frühstückstisch sitzen, schwebt diese Frage als ständige Belastung des Familienfriedens zwischen ihnen. Die Eltern sind besorgt, die Jugendlichen sind genervt.
Dabei ist die Entschlusslosigkeit der Schüler nicht das schlimmste Problem. Auch der spätpubertäre Traum, ein Leben als „Influencer“ führen zu können, wird später nicht für fehlende Fachkräfte verantwortlich sein. Nicht einmal geschenkte Abiturnoten sind schuld, wenn die deutsche Wirtschaft schon bald über falsch ausgebildete und unzufriedene Bewerber klagen wird: Es ist das Versprechen, jeden zum Akademiker in Berufen zu machen, die bisher in den Unternehmen gelernt wurden.
Akademiker werden seltener arbeitslos
Fast zwei Drittel der Schüler des aktuellen Schulentlassungs-Jahrgangs machen in den kommenden Wochen das Abitur. Die meisten von ihnen werden im kommenden Herbst, oder im Jahr 2019 ein Studium beginnen. Für den Bildungsforscher Ludger Wößmann vom Münchner Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung sind das zwar vernünftige Entscheidungen. Denn Akademiker werden seltener arbeitslos, sie verdienen mehr und sind insgesamt zufriedener, schreibt der Forscher in einer Studie über den Zusammenhang von Bildung und Einkommen.
Doch ist es deshalb richtig, fast jeden Beruf so aufzumuskeln, dass er universitätstauglich wird? Rund 15 Prozent der Beschäftigten in Deutschland arbeiten heute auf Stellen, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Das hat das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung herausgefunden. In Zukunft werden es voraussichtlich mehr werden.
Berufsberatung in der Kritik
Das hat auch mit den neuen Studiengängen zu tun, die an Fachhochschulen, privaten Akademien und Universitäten gelehrt werden. Und es hat mit der Berufsberatung zu tun, die die Arbeitsagenturen den Schülern angedeihen lassen: Du bist kontaktfreudig, motiviert und, ok, Du bist nicht gerade die Fleißigste? Du gehst vier mal in der Woche ins Fitnessstudio, und kommst in der Schule so einigermaßen klar? Kein Problem. Es ist nicht furchtbar wichtig, ob Du Dich für Mathe, Politik oder Sport interessierst. Wichtig sind Deine persönlichen Eigenschaften: Nimmst Du es mit dem Leben sehr genau? Oder kannst Du mal fünf grade sein lassen? Freust Du Dich auf neue Leute? Oder bewegst Du Dich lieber in einem festen Freundeskreis?
Aus solchen Berufswahltests machen Jobagenturen die Ratschläge für den weiteren Ausbildungsweg. Statt den oft sehr jungen Schülern zu raten, erst einmal in einer Berufsausbildung Disziplin, Genauigkeit und Durchhaltevermögen zu trainieren, schlagen sie vor, aus den vermeintlichen Schwächen einfach Stärken zu machen: Eventmanager könnte man zum Beispiel studieren, oder Gesundheitsberater, Tourismusmanager. Weil Jura, Physik, Volkswirtschaft, Maschinenbau oder Germanistik Interesse, Fleiß, Intelligenz und Durchhaltevermögen verlangen, werden die Spätentwickler in Studiengänge mit pompösen Bezeichnungen geschleust. Am Ende aber finden sie sich dort wieder, wo sie mit einer soliden Ausbildung als Reiseverkehrskauffrau, Koch, Krankenpfleger auch gelandet wären. Arbeitslos werden sie vermutlich nicht – aber enttäuscht.
Ausbildungsplatz oft die bessere Wahl
Welche Folgen so etwas haben kann, lässt sich derzeit in Kroatien, Griechenland und Spanien betrachten. Dort arbeitet die wahrscheinlich am besten ausgebildete Generation junger Akademiker in Kaffeebars, jobbt im Einzelhandel oder ist arbeitslos. Zu Recht sind die jungen Leute unzufrieden und frustriert. Sie erwarten eine Anstellung auf Akademikerniveau und werden mit Hilfsjobs abgespeist.
Nur wer Bildung andersherum begreift, kann solche Enttäuschungen vermeiden. Dass eine 17-Jährige nicht weiß, was sie kann oder will, ist ziemlich normal. Ihr erst einmal zu einer Ausbildung in einem Unternehmen zu raten, ist wahrscheinlich sinnvoller, als sie für Betriebswirtschaftslehre an einer Universität einzuschreiben und in Kauf zu nehmen, dass sie das Studium abbricht. Wenn ein 18-Jähriger morgens nicht gut aufstehen kann und bis abends seine Mathe-Aufgaben nicht erledigen konnte, ist er vielleicht nicht der beste Kandidat für das Maschinenbaustudium. Vielleicht wäre ihm mit einem Ausbildungsplatz in einer Kfz-Werkstatt fürs Erste besser geholfen, späteres Studium ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Solche Antworten brauchen nicht nur Einsicht. Sie brauchen mutige Lehrer, und zuversichtliche Eltern – und vor allem ehrliche Berufsberater.
Ursula Weidenfeld ist Wirtschaftsjournalistin in Berlin. In ihrem Buch „Regierung ohne Volk. Warum unser politisches System nicht mehr funktioniert.“ schreibt sie über die Regierungszeit Angela Merkels.