Ruhestand unter Palmen Rekordzahl an Rentnern lebt im Ausland
Noch nie haben so viele deutsche Rentner ihren Lebensabend im Ausland verbracht. Sie lassen sich gerne in der Schweiz, in Österreich oder den USA nieder. Manche entdecken aber auch Südosteuropa als günstigen Alterssitz.
Anna Holt zeigt auf ihre Fotos und schwärmt von ihrem Anwesen in einem kleinen Dorf in Bulgarien. In den vergangenen zehn Jahren hat sie das 6.000 Quadratmeter große Grundstück in Malko Drjanowo unweit der diesjährigen Kulturhauptstadt Plowdiw in ihr Paradies verwandelt.
Zwei Häuser, Weinstöcke, Obstbäume – viel Eigenarbeit und schätzungsweise um die 100.000 Euro haben Holt und ihr vor zwei Jahren verstorbener Ehemann in das Projekt gesteckt. Die 67 Jahre alte Friseurmeisterin aus Ingolstadt, die in Berlin mehrere Läden hatte, ist begeistert von ihrem Rentner-Dasein in dem sonnigen Teil Bulgariens. Vielfach intakte Natur macht in ihren Augen oft löchrige Straßen, viele kaputte Gehwege und renovierungsbedürftige Häuser wett. "Diese schöne Landschaft hat mich sprachlos gemacht", erinnert sie sich an die Entscheidung, in Bulgarien zu bleiben.
Rekordzahl an Rentnern im Ausland
Die vergleichsweise günstigen Staaten Südosteuropas entwickeln für deutsche Rentner zunehmend Charme. In Ländern wie Ungarn, Rumänien, Kroatien, Bulgarien und Griechenland leben nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung inzwischen deutlich mehr als 10.000 deutsche Rentner, das sind etwa doppelt so viele wie vor zehn Jahren.
Generell haben noch nie so viele deutsche Rentner ihren Lebensabend im Ausland verbracht. Die Rentenversicherung hat zuletzt weltweit rund 240.000 Renten an Deutsche mit ausländischem Wohnsitz überwiesen. "Dies ist ein neuer Rekord", so Dirk Manthey von der Deutschen Rentenversicherung Bund in Berlin.
Hier ist das Leben am güstigsten
In Bulgarien sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes die Lebenshaltungskosten europaweit am günstigsten. Hier müssen Verbraucher für die üblichen Produkte und Dienstleistungen nur rund halb so viel zahlen wie im Schnitt aller EU-Mitgliedstaaten. So kostet ein Kilogramm Äpfel umgerechnet 0,60 Euro. Beim Friseur reichen umgerechnet 15 Euro für einen Damenhaarschnitt samt Föhnen. Importwaren wie Pasta, Käse, Bekleidung oder Schuhe sind allerdings oft viel teurer als in Deutschland.
Laut Eurostat kosten Lebensmittel auch in Rumänien und Ungarn teils deutlich weniger als in Deutschland oder gar in Hochpreisländern wie Dänemark und Österreich. In Griechenland wiederum sind Lebensmittel laut Statistik in etwa so teuer wie in Deutschland.
Rentner Werner Christes lebt in Plowdiw
War es für Holt der Zauber eines Anfangs, hat sich Werner Christes für eine strategische Herangehensweise entschieden. Der 69-jährige hat sich in Plowdiw eine möblierte Drei-Zimmer-Wohnung für nur rund 300 Euro genommen und will ein Jahr testen, ob es ihm dort behagt. Seine ersten Erfahrungen sind positiv. "Die Leute sind hier sehr offen", sagt er über die Aufgeschlossenheit gegenüber Zuwanderern aus Mitteleuropa.
Das Land hat Menschen dringend nötig. Nach einer UN-Prognose wird es wegen Abwanderung bis zum Ende des Jahrhunderts fast die Hälfte seiner Bevölkerung verlieren. Erste Brocken der Sprache und der gewöhnungsbedürftigen kyrillischen Schrift könne er schon, sagt der gebürtige Freiburger. "Sonst nehme ich Hände und Füße zur Verständigung. Ich habe noch immer bekommen, was ich wollte".
Leben im Ausland "nicht für jeden geeignet"
Der Vermessungsingenieur hat 30 Jahre lang in der Schweiz gearbeitet und zuletzt am Bodensee gelebt. Aber ihm passe die gesellschaftliche Entwicklung nicht mehr. In Deutschland und der Schweiz sei das Leben überreguliert, meint er. Seine Frau werde nachkommen und auch eine Zeit lang testen, wie ihr das Leben behage. Er könne von seiner eher überschaubaren deutschen Rente in Bulgarien gut leben – die Schweizer Rente noch gar nicht eingerechnet.
Christes warnt aber vor zu viel Naivität. "Das hier ist nicht für jeden geeignet". Auch bei Experten in Sofia sind Fälle bekannt, wo deutsche Rentner sich verkalkuliert haben. Sie seien ohne Sprachkenntnisse und ohne Vorstellung von der medizinischen Versorgung. "Je älter sie werden, umso schlechter wird's", heißt es. Auch ein Domizil an der beliebten Schwarzmeerküste könne sich als Eigentor erweisen. Viele Orte dort seien im Winter wie ausgestorben, also kein Terrain für alte Menschen. Beim Immobilienkauf heiße es ebenfalls aufgepasst, um nicht an die falschen Notare zu geraten.
Lange vor den Deutschen haben die Briten das Land für sich entdeckt. In den Jahren vor Bulgariens EU-Beitritt 2007 und unmittelbar danach kauften Briten nach Angaben der Tourismusbranche Tausende Immobilien in dem Balkanland.
Rumänien: schwierige ärztliche Versorgung
Im benachbarten Rumänien gibt es pittoreske Dörfer in Siebenbürgen, wo Rentner aus Deutschland, Frankreich und den Niederlanden sich Häuser gekauft haben und nach dem Motto "Zurück zur Natur" leben. Dies gilt aber eher als mittel- bis langfristiger Trend – wenn Rumänien die Infrastruktur und vor allem die medizinische Versorgung instand setzt. Denn in Rumänien einen Herzinfarkt oder einen Oberschenkelhalsbruch zu erleiden, ist wegen der manchmal schwierigen ärztlichen Versorgung nicht unproblematisch.
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Bulgarien kann nach Überzeugung von Holt viel mehr als einen Lebensabend bei günstigen Preisen bieten: "Hier habe ich wieder meine Kraft und Ruhe gefunden, wieder zu mir selbst zu kommen." Nicht zuletzt bringt sie das bulgarische Obst und Gemüse mit seinem Aroma ins Schwärmen – und auch der hausgemachte Wein (domaschno vino) und Schnaps (rakija). Dank vieler Reisen habe sie Abwechslung und müsse nicht tagein tagaus in ihrem geliebten 100-Einwohner-Dorf leben. Ihr nächstes Projekt? "Gerne eine Alters-WG."
- Nachrichtenagentur dpa