Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Große Unsicherheit Wenn es an der Börse wehtut
An der Börse Geld zu verlieren, wenn es abwärts geht, ist ärgerlich. Noch schmerzhafter sind jedoch steigende Kurse, bei denen man nicht dabei ist.
Im Frühjahr 2023 liegen die Probleme für den Aktienmarkt nur so herum: Steigende Zinsen in den USA und Europa werden flankiert von der Unsicherheit, wann die Notenbanken wieder moderater werden, und von Angst vor einer Rezession im zweiten Halbjahr. Die Pleiten amerikanischer Regionalbanken, politische Sorgen um China und Taiwan, eine unangenehme Inflation und Verwerfungen am Häusermarkt kommen noch hinzu.
Zweifelsohne gibt es derzeit also ausreichend Belastungen, die es rechtfertigen würden, wenn der Dax 1.000 oder 2.000 Punkte tiefer läge. Für die US-Märkte gilt das Gleiche. "Doch bisher zeigen sich die Aktienmärkte robust, jeder noch so kleine Rücksetzer wird gekauft", sagt Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets.
Der Weg des Schmerzes
Die professionellen Trader, die bei RoboMarkets agieren, mussten im ersten Jahresdrittel daher auch den Weg des großen Schmerzes gehen. Und dieser Weg waren steigende Aktienkurse. Viele Anleger waren ins Jahr 2023 nämlich in Erwartung fallender Kurse gegangen. Sie hatten also etwa Put-Optionsscheine gekauft, Wertpapiere, deren Kurse steigen, wenn Aktien fallen (mehr dazu hier). Doch dann lief es anders, sie mussten sich plötzlich eindecken.
"Jeder noch so kleine Rücksetzer wurde umgehend gekauft und dies gab Börsenbären kaum eine Chance zum Durchatmen", so Molnar. Wer schon länger dabei ist, kennt die Regel, dass die Kurse immer den Weg des größten Schmerzes gehen.
"Dieser Pain Trade zeigte eindeutig nach oben, kaum jemand war für einen Ausbruch des Dax auf frische Rekorde positioniert", sagt auch Stefan Riße vom Fondshaus Acatis. Gleiches gilt für den US-Markt. Knapp 70 Prozent der Fondsmanager sehen den S&P 500 zum Jahresende bei maximal 4.000 Punkten, nur fünf Prozent oberhalb von 4.250.
Zur Person
Daniel Saurenz ist Finanzjournalist, Börsianer aus Leidenschaft und Gründer von Feingold Research. Mit seinem Team hat er insgesamt mehr als 150 Jahre Börsenerfahrung und bündelt Börsenpsychologie, technische Analyse, Produkt- und Marktexpertise. Bei t-online schreibt er über Investments und die Lage an den Märkten, immer unter dem Fokus des Chance-Risiko-Verhältnisses für Anleger. Sie erreichen ihn auf seinem Portal www.feingoldresearch.de.
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Sell in May?
Zumindest ein stützender Faktor fällt seit dem Monatswechsel weg: die Saisonalität. Auf die wie zuletzt starke Phase zwischen November und April folgt bekanntlich eine eher herausfordernde Zeit über die Sommermonate. Mai, September und Oktober sind bekannt für scharfe Rücksetzer. Wer zu wenig investiert ist, hofft auf "Sell in May" und tiefere Kurse (mehr dazu hier).
Wie so häufig lauern aber auch hier die Probleme im Detail. In US-Zwischenwahljahren wie 2022 neigen die Aktienmärkte tatsächlich über den Sommer häufig zur Schwäche. Robuster zeigen sich die Kurse hingegen in Vorwahljahren. Und auch der starke Jahresauftakt ist zumindest aus statischer Sicht eher als Argument für eine – wenn überhaupt – nur leichte Konsolidierung anzuführen.
Wie es in der Vergangenheit lief
Stand der S&P 500 Ende April im Plus, verlief die Mai-Oktober-Phase in drei von vier Fällen unter dem Strich positiv und der Index kletterte um vier Prozent. Dominierten nach vier Monaten hingegen Minuszeichen, ging es in der Mehrzahl der Fälle bis zum vierten Quartal weiter abwärts.
Noch beeindruckender fällt die Bilanz für den Nasdaq 100 aus. Der Broker RoboMarkets hat berechnet, dass das Tech-Barometer Ende April zum einen seine 200-Tage-Linie behauptete und zum anderen mehr als zehn Prozent im Plus lag im Vergleich zum Jahresstart. In ähnlichen Jahren verlief auch die Mai-Oktober-Spanne in 90 Prozent der Fälle erfreulich. In den vergangenen knapp 30 Jahren leuchteten nur 2012 Minuszeichen auf, wobei die Verluste von drei Prozent überschaubar ausfielen.
Was das alles für Sie bedeutet
Wie lautet nun das Fazit? Niemand sollte nur wegen saisonaler Einflüsse sein komplettes Depot umstellen. Statistische Signale sind ein Puzzlestück bei der Anlageentscheidung. Nicht mehr und nicht weniger. Oft vergessen wird zudem ein weiterer wichtiger Aspekt: Wer nur den Indexstand von Anfang Mai bis Ende Oktober untersucht, schaut lediglich auf zwei Zeitpunkte. Dazwischen kann aber viel passieren.
So zeigen unsere Auswertungen zum Nasdaq 100, dass der Index auch in guten Jahren häufig um mehr als zehn Prozent korrigierte, nur um anschließend die Verluste wieder aufzuholen. Bedeutet: 2023 kommt es darauf an, Geduld und ausreichend Bargeld bereitzuhalten, um dann einzusteigen, wenn das Chance-Risiko-Verhältnis passt. In jedem Jahr kommt es zu Korrekturen, und die gilt es zu nutzen. "2023 könnte die Korrektur dann erfolgen, wenn der Pain Trade sein Ende gefunden hat", so Experte Riße. Vielleicht war es bei 16.000 Zählern im Dax ja schon der Fall.
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