Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Aus eins mach zwei Dax Nummer zwei: Nun wird der Deckel gelüftet
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Der Dax bekommt Konkurrenz: den Dax. In dem neuen Index sollen alle Aktien ohne Deckelung notieren, sie können also beliebig teuer werden. Wird es für Anleger nun unübersichtlich?
In den USA bestimmen derzeit wenige Aktien das Börsengeschehen: Apple, Amazon, Alphabet, Meta, Microsoft, Nvidia und Tesla haben aktuell zusammen rund 30 Prozent Gewicht im S&P 500 Index. Vor allem die Kursgewinne dieser Aktien haben den Index nach oben getrieben. Das liegt daran, dass es kein Limit für einzelne Aktien gibt; sie können also beliebig teuer werden. Im Dax ist es hingegen nicht im gleichen Maße möglich, dass nur wenige Titel "Kurse machen". Sondern eine Aktie darf hier maximal 15 Prozent Anteil am Index haben.
Genau das soll sich jetzt ändern: Für das erste Quartal 2025 plant die Deutsche Börse einen zweiten Dax. Er wird die gleichen Unternehmen abbilden wie das Original – jedoch wird ihr Gewicht nach oben hin nicht gedeckelt sein. Wie soll das gehen? Gibt es jetzt zwei parallele Indizes? Und welcher ist dann der "echte"?
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Zur Person
Antje Erhard arbeitet seit rund 20 Jahren als Journalistin und TV-Moderatorin. Ihr Weg führte sie von der Nachrichtenagentur dpa-AFX u. a. zum ZDF. Derzeit berichtet sie täglich für die ARD-Finanzredaktion in Frankfurt am Main darüber, was in der Welt der Börse und Wirtschaft passiert.
Eine gute Nachricht für SAP
Mit den zwei Dax-Indizes will die Tochtergesellschaft der Börse, die den Dax verantwortet, ISS Stoxx, ein Dilemma auflösen: Zum einen soll keine Aktie zu viel Gewicht bekommen. Schließlich ist eine breite Streuung über mehrere Titel ein wichtiges Argument, um in einen Index zu investieren. Dafür steht der "alte" Dax. Andererseits sollen auch besonders gut gehende Aktien weiter im Index notiert bleiben. Und nicht an andere Börsen abwandern. Das soll der "neue" Dax gewährleisten.
Die Deckelung ist vor allem für den Software-Konzern SAP eine gute Nachricht:
Denn SAP profitiert vom Technologie- und KI-Boom. Die Aktie ist in den vergangenen beiden Jahren um mehr als das Zweieinhalbfache gestiegen. Doch dadurch hat sie sozusagen ein Gewichtsproblem: Denn sie sprengt immer wieder die sogenannte Kappungsgrenze des Dax.
Diese Grenze bedeutet, dass eine Aktie nicht mehr als 15 Prozent Gewicht im Dax haben darf. Gemessen wird das am sogenannten Streubesitz. Also an all den Aktien, die für jedermann frei verfügbar und nicht in der Hand großer Investoren sind. Steigt eine Aktie über diese 15 Prozent, wird sie dennoch mit maximal 15 Prozent Gewicht gemessen. Das heißt: Sie wird bei 15 Prozent Anteil am Dax eingefroren.
Linde hatte ein Problem – und hat es selbst gelöst
Für den Gase-Hersteller Linde war diese Deckelung nicht hinnehmbar. Linde-Aktien gehörten einmal ebenfalls zu den Titeln, die übermäßig zugelegt hatten. Das Unternehmen war der wertvollste Dax-Konzern. Bis Anfang 2023. Da hatten seine Aktionäre beschlossen, dass Linde den Dax Richtung Wall Street verlässt, damit sich die Aktie ungehindert entwickeln kann. Dort war sie seit der Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair ohnehin schon notiert.
Nach Lindes Abgang reagierte die Deutsche Börse und hob die sogenannte Kappungsgrenze von zehn auf 15 Prozent an. Doch die Geschichte wiederholt sich nun mit SAP. Und beliebig oft kann man den Deckel nicht lüften, wenn man glaubwürdig bleiben will.
Neuer Dax dürfte mehr schwanken
Für Anleger ist die Deckelung ein großes Thema: Denn stecken sie ihr Geld nicht in die einzelne SAP-Aktie, sondern in börsengehandelte Indexfonds (ETFs), können sie nicht von den vollen Kursgewinnen bei SAP profitieren. Manager von ETFs müssen SAP-Aktien verkaufen, damit SAP kein Übergewicht bekommt. Alle drei Monate wird das von der Börse überprüft. Im neuen Dax hingegen dürfen SAP-Aktien, sollte ihre Hausse anhalten, ungezügelt weiter steigen.
Der neue Dax wird aber genauso häufig berechnet wie das Original. Möglich ist, dass ETF-Anbieter Produkte auflegen, die die neue Dax-Variante abbilden – sollte die Nachfrage danach hoch genug sein. Womöglich sind aber die Ausschläge im Chart größer – sprich: Womöglich schwankt die Neuauflage stärker als das Original. Das ist recht einfach zu erklären: Wenn ein "schwerer" Wert wie SAP besonders stark steigt oder fällt, dann zieht er das gesamte Konstrukt mit sich. Dessen müssen sich Investoren bewusst sein.
Dax-Ableitungen sind kein neues Phänomen
Der Index-Betreiber Stoxx hätte das Problem auch umgehen können, indem mehr Titel in den Dax kommen als 40. Eine Erweiterung auf, sagen wir, 50 Titel hätte ebenfalls verhindert, dass ein paar Ausnahmen zu viel Gewicht bekommen. Entschieden hat er sich aber für weitere Ableitungen, weitere "Versionen" vom Dax. Diese sind im Grunde nicht neu.
Es gibt schon jetzt Varianten – etwa den nachhaltigen "Dax 50 ESG". Er fokussiert sich auf besonders nachhaltige Unternehmen und berücksichtigt sogar mehr Titel als im originalen Dax 40. Zugleich bringt die Börse noch eine dritte Variante: den "Dax 20% Capped". Das ist der Dax mit einer Deckelung von Einzelwerten auf 20 Prozent Gesamtgewicht. Für alle die, denen die anderen Varianten nicht reichen.
Problem also gelöst? Gute Frage. SAP scheint immerhin zufrieden zu sein. Ende Januar hatte das Unternehmen der Nachrichtenagentur Reuters gesagt, dass es vorerst keinen Abschied aus dem Dax plane. Und für Anleger gilt: Auf der berühmten schwarzen Dax-Tafel im Handelssaal der Börse wird es jedenfalls keine zwei oder drei Chart-Linien geben. Dort wird der "Dax mit Deckel" zu sehen sein, wie jetzt auch.
- Eigene Meinung