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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vorschlag der Linken Warum Experten die Vier-Tage-Woche für gefährlich halten
Weniger arbeiten zum gleichen Lohn: Linke-Chefin Katja Kipping plädiert für eine staatlich geförderte Vier-Tage-Woche. Arbeitsmarktexperten halten diesen Vorschlag für unrealistisch – und warnen.
Nur vier Tage arbeiten und das bei vollem Lohnausgleich: ein Traum für viele Arbeitnehmer – und für Linke-Chefin Katja Kipping.
Vergangene Woche sorgte sie mit einem Vorschlag für Aufruhr: Eine Vier-Tage-Woche solle vom Staat gefördert werden. "Gerade jetzt in der Corona-Krise wäre ein guter Zeitpunkt, um damit anzufangen", sagte sie der "Rheinischen Post".
Doch was hat es mit dem Vorschlag auf sich? Und warum wird die Idee womöglich ein Traum bleiben?
Was will Linke-Chefin Katja Kipping genau?
Kipping hat gefordert, eine Vier-Tage-Arbeitswoche flächendeckend einzuführen. Als Anschubfinanzierung könne ein neues Kurzarbeitergeld dienen, sagte sie der "Rheinischen Post".
Unternehmen, die die Arbeitszeit entsprechend verkürzten, sollten ein Jahr lang einen Lohnzuschuss bekommen. Danach müsse ein Tarifvertrag beziehungsweise eine Betriebsvereinbarung über ein Arbeitszeitmodell mit einer Vier-Tage-Woche oder einer Höchstarbeitszeit von 30 Stunden ohne weitere staatliche Finanzierung abgeschlossen werden.
"Die Vier-Tage-Woche macht Beschäftigte glücklicher, gesünder und produktiver. Gerade jetzt in der Corona-Krise wäre ein guter Zeitpunkt, um damit anzufangen", sagte Kipping. Auch die Unternehmen profitierten davon, weil ihre Mitarbeiter weniger Fehler machten, motivierter und seltener krank seien.
Welche Kritik gibt es an Kippings Vorschlag?
Die Hauptkritik ist laut dem Arbeitsmarktexperten Holger Schäfer vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW), dass der Vorschlag "enorme volkswirtschaftliche Schäden" mit sich bringen würde.
"Denn wenn weniger gearbeitet wird, wird auch weniger produziert – mit der Folge, dass wir in einer Wirtschaftskrise verharren werden", sagte der Ökonom im Gespräch mit t-online.de. "Doch selbst zu wirtschaftlich guten Zeiten ist ein solcher Vorschlag brandgefährlich", so Schäfer weiter. "Denn dann kommen wir in eine Wirtschaftskrise."
Er widerspricht auch dem Argument, dass die Mitarbeiter deutlich produktiver seien. "Das ist schlichtweg unrealistisch. Die Arbeit, die man an fünf Tagen erledigt, wird man nicht einfach in vier erledigen können – selbst wenn man noch so ausgeruht ist."
Staat darf sich nicht in Tarifautonomie einmischen
Ohnehin gebe es Branchen, in denen nicht einfach weniger gearbeitet werden könne. "Pflegekräfte können nicht von jetzt auf gleich weniger arbeiten – das klappt nicht", sagte Schäfer. Funktionieren könne dies nur mit mehr Personal. "Aber das ist derzeit sehr unrealistisch."
Ein weiterer – entscheidender – Kritikpunkt ist die sogenannte Tarifautonomie. Das bedeutet: Der Staat darf sich nicht einmischen, wenn es um gemeinsame Vereinbarungen zu Arbeitszeiten oder Löhnen geht.
"Es steht jedem Arbeitnehmer selbst zu, mit seinem Arbeitgeber über eine verkürzte Arbeitszeit zu reden – und jeder Arbeitgeber kann seine Beschäftigte früher gehen lassen", sagte Schäfer. Aber staatlich gelenkt dürfe dies nicht sein.
Wo hat man eine Vier-Tage-Woche noch probiert?
Immer wieder tauchen Meldungen zu verschiedenen neuen Arbeitszeitmodellen auf. In Schweden etwa gab es Experimente zu einem Sechs-Stunden-Tag in einem Altenheim. Dies scheiterte an dem hohen Personalbedarf, der nicht erfüllt werden konnte.
Anfang des Jahres ging die Meldung durch die Medien, dass die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin eine Vier-Tage-Woche einführen wolle. Das stellte sich jedoch als Falschmeldung heraus – die finnische Regierung plante einen solchen Schritt nicht. Marin hatte sich lediglich ein halbes Jahr zuvor auf einer Parteiveranstaltung für eine solche Regelung ausgesprochen.
In Deutschland ist zum Beispiel der Chef der Digitalagentur Rheingans Digital Enabler, Lasse Rheingans, Vorreiter eines neuen Arbeitszeitmodells: Seine Mitarbeiter arbeiten jeden Tag nur von 8 bis 13 Uhr, also fünf Stunden lang.
Stattdessen verzichten sie etwa auf Pausen oder Gespräche – und arbeiten angeblich konzentriert durch. IW-Ökonom Schäfer sieht auch das kritisch: "Es gibt mit Sicherheit viele Personaler, die ein Gespräch zwischen Mitarbeitern für sehr wichtig halten."
- Eigene Recherche
- Gespräch mit Holger Schäfer
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Die große Sehnsucht nach mehr Freizeit"
- Zeit: "Um 13 Uhr ist normalerweise Feierabend"
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa