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VW-Krise: Werksschließung in Deutschland? Wo es passieren könnte


Konzern in der Krise
Dieses ostdeutsche Werk könnte VW dicht machen


02.09.2024Lesedauer: 4 Min.
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Arbeitnehmervertreter und Gewerkschaft sind entsetzt.

Volkswagen steckt in der Krise – und vor einem historischen Schritt: Erstmals könnte ein Werk in Deutschland geschlossen werden. t-online weiß, welches zur Disposition stehen könnte.

Es ist ein Paukenschlag in Wolfsburg: Volkswagen verschärft seinen Sparkurs drastisch und stellt erstmals in seiner Geschichte Werke in Deutschland auf den Prüfstand. Ohne schnelles Gegensteuern könne nicht ausgeschlossen werden, dass Autowerke und Komponenten-Fabriken geschlossen würden, teilte das Unternehmen am Montag intern mit. Neben dem Stammwerk in Wolfsburg unterhält VW Fabriken in Hannover, Emden, Osnabrück, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Zwickau, Dresden und Chemnitz.

Zudem soll die seit 1994 geltende und bis 2029 laufende Beschäftigungssicherung aufgekündigt werden. t-online beantwortet die wichtigsten Fragen rund um die Krise bei dem Autobauer.

Was besagt die VW-Beschäftigungsgarantie?

Durch die Beschäftigungsgarantie im VW-Konzern sind betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland eigentlich ausgeschlossen. Bislang galt diese bis 2029. Doch nun plant das Unternehmen, die Vereinbarung aufzukündigen. Für den VW-Betriebsrat sei das eine rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe, hieß es.

Die Beschäftigungsgarantie bei Volkswagen gilt seit 1994. Bereits Anfang der 1990er-Jahre durchlebte Volkswagen eine schwere Krise und wollte 30.000 Arbeitnehmern kündigen. Damals einigten sich die Gewerkschaft IG Metall und der damalige VW-Chef Ferdinand Piëch auf eine radikale Senkung der Arbeitszeit durch Einführung einer Viertagewoche – und eine gleichzeitige Senkung der Einkommen um zehn Prozent.

In diesem Zuge wurde auch die Beschäftigungsgarantie vereinbart. Die Arbeitszeit wurde zwar gut zehn Jahre später wieder angehoben – doch die Jobgarantie gilt noch immer und wurde stets auf Drängen des Betriebsrats verlängert.

Wie tief steckt VW in der Krise?

Sehr tief. Nach Angaben des Konzerns reicht ein Umbau allein entlang der demografischen Entwicklung nicht aus, um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Konzernchef Oliver Blume begründete den jetzigen Kurs mit der sich zuspitzenden Lage. "Die europäische Automobilindustrie befindet sich in einer sehr anspruchsvollen und ernsten Lage. Das wirtschaftliche Umfeld hat sich nochmals verschärft", sagte er laut Mitteilung.

Um die angepeilten Ergebnisverbesserungen von zehn Milliarden Euro bis 2026 zu erreichen, müssten die Kosten nun stärker als bisher geplant sinken. "Der Gegenwind ist deutlich stärker geworden", sagte Markenchef Thomas Schäfer laut Mitteilung. "Wir müssen deshalb jetzt noch mal nachlegen und die Voraussetzungen schaffen, um langfristig erfolgreich zu sein."

Einsparungen von bis zu vier Milliarden Euro nötig?

Die Kernmarke Volkswagen hat seit Jahren mit hohen Kosten zu kämpfen und liegt bei der Rendite weit hinter Konzernschwestern wie Skoda, Seat und Audi zurück. Ein 2023 aufgelegtes Sparprogramm sollte hier die Wende bringen, das Ergebnis bis 2026 um zehn Milliarden Euro verbessern. Unter anderem sollen die Personalkosten in der Verwaltung um 20 Prozent sinken. Beim Personalabbau setzte VW bisher auf Altersteilzeit und Abfindungen, entsprechende Programme wurden im Frühjahr noch einmal ausgeweitet und 900 Millionen Euro für Abfindungen von bis zu 474.000 Euro für besonders altgediente Mitarbeiter zurückgelegt.

Laut "Handelsblatt" geht es um bis zu vier Milliarden Euro, die zusätzlich eingespart werden müssen. Das Blatt zitiert einen Insider mit den Worten, es handle sich um ein so umfassendes Sparpaket, "wie man es bei VW seit Jahrzehnten nicht gesehen hat".

Auch Experte Jürgen Pieper, lange Zeit Director Research für die Automobilbranche beim Bankhaus Metzler und jetzt freiberuflicher Analyst, sagte t-online: "Dass VW die Beschäftigungsgarantie aufkündigt, zeigt, wie tief der Konzern in der Krise steckt." Und weiter: "Dies ist ein einmaliger Schritt in der Konzerngeschichte." Die Krise sei zwar nicht existenziell, "doch wohl die größte seit dem Dieselskandal".

Wie wahrscheinlich ist es, dass es zu betriebsbedingten Kündigungen kommt?

Nicht unwahrscheinlich. "Mit dem jetzigen Schritt bereitet sich das Unternehmen auf betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen in Deutschland vor", sagte Experte Pieper. "Ausgemacht ist dieser Schritt noch nicht. Aber das Management hat jetzt freie Bahn, kann mit dieser Option zumindest arbeiten." Allerdings hat der Volkswagen-Betriebsrat bereits deutlichen Widerstand angekündigt.

"Anstatt sich einseitig zulasten der Belegschaft kaputtzusparen, muss jetzt ein strategischer Befreiungsschlag her mit Schub für die eigentlichen Baustellen: Produkt, Komplexität, Prozessabläufe, Synergien", sagte Betriebsratschefin Daniela Cavallo. Das sei kein Thema für die Marke VW, sondern für den gesamten Konzern.

Auch IG-Metall-Bezirksvorstand Thorsten Gröger sprach von einem "unverantwortlichen Plan", der die Grundfesten von Volkswagen erschüttere. "Dieser Kurs ist nicht nur kurzsichtig, sondern hochgefährlich – er riskiert, das Herz von Volkswagen zu zerstören", sagte er. "Wir werden mit aller Kraft, notfalls im harten Konflikt, für den Erhalt aller Standorte sowie der Jobs unserer Kolleginnen und Kollegen kämpfen."

Jürgen Pieper sagte: "Der Betriebsrat bringt sich in Kampfbereitschaft." Für wahrscheinlicher als betriebsbedingte Kündigungen hält der Experte einen sozialverträglicheren Weg – etwa eine Reduzierung der Arbeitszeit wie Anfang der 1990er-Jahre (siehe oben).

Welches Werk könnte dichtgemacht werden?

Bislang ist noch nichts Konkretes dazu durchgedrungen. Konkrete Zahlen, wie viele der rund 120.000 Stellen in Deutschland wegfallen könnten, nannte VW auf Nachfrage bisher nicht. Auch zu möglichen Standorten, die geschlossen werden könnten, gab es noch keine Angaben.

In Deutschland ist die Zukunft kleiner Standorte wie Dresden oder Osnabrück schon länger ungewiss. Die Konzernspitze hielt jedoch stets daran fest, dass Standortschließungen nur das letzte Mittel sein könnten.

Die letzte Schließung eines Produktionsstandorts liegt bei VW mehr als 30 Jahre zurück: 1988 hatte VW seine Fabrik in Westmoreland in den USA dichtgemacht. Die Tochter Audi hatte jüngst bereits ihr Werk in Brüssel auf den Prüfstand gestellt. In Deutschland wurde noch nie ein VW-Werk geschlossen. Dazu könnte es nun kommen.

Experte Jürgen Pieper hat eine Vermutung: Ausgerechnet das VW-Werk in Zwickau "steht zur Disposition". Es ist das erste Werk des Konzerns in Europa, das ausschließlich E-Autos produziert. Aufgrund der geringen Nachfrage nach den Wagen ist die Auslastung in dem Werk sehr niedrig. Im vergangenen Jahr liefen nur 220.000 Autos vom Band – von geplanten 360.000 Fahrzeugen. Dieses Jahr dürfte es noch schlechter aussehen. "Das Zwickauer Werk dürfte die schlechteste Auslastung in Deutschland aufweisen", sagte Pieper.

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Bis Ende 2025 könnten bereits mehr als 1.000 Jobs in dem Werk wegfallen, wenn befristete Verträge auslaufen. Aktuell arbeiten in dem Werk rund 9.400 Menschen. Zum August wurde die Fertigung in Zwickau bereits auf einen Zweischichtbetrieb ohne Nachtdienst umgestellt.

Und Pieper äußert einen Verdacht: "Die Vermutung liegt nahe, dass VW mit der jetzigen schlechten Nachricht bis nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland gewartet hat – wohl auch, um der AfD nicht weitere Stimmen zu bringen."

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