R+V-Chef Rollinger "10 Milliarden Euro sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein"
Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wie geht's weiter mit der privaten Altersvorsorge? Und was wird aus der Riester-Rente? R+V-Chef Norbert Rollinger im Interview.
Die Inflation und steigende Zinsen gehen auch an der Versicherungswirtschaft nicht spurlos vorüber. Die Beiträge steigen, zugleich fällt es den Versicherern leichter, die Gelder ihrer Kunden anzulegen.
Im Interview mit t-online erklärt Norbert Rollinger, Chef der genossenschaftlichen Versicherung R+V, was das für die Branche bedeutet – und was aus seiner Sicht mit der Riester-Rente geschehen sollte.
t-online: Herr Rollinger, der vorherigen Bundesregierung haben Sie vorgeworfen, die Rentenreform zu verschleppen. Macht die Ampel da aktuell einen besseren Job?
Norbert Rollinger: Ja, in der kommenden Woche startet eine entsprechende Renten-Arbeitsgruppe, an der wir als Versicherungswirtschaft teilnehmen. Wir hoffen auf einen konstruktiven Austausch, denn es geht um nichts Geringeres als den Kampf gegen die Altersarmut in Deutschland.
Kern der Reform ist die Aktienrente. Mit 10 Milliarden Euro "Generationenkapital" will die Ampel nun Geld an den Finanzmärkten erwirtschaften. Macht der Staat Ihnen damit Konkurrenz?
Das kann man so noch nicht sagen, denn 10 Milliarden Euro sind nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aktuell muss der Bund jährlich eine Lücke von rund 100 Milliarden Euro bei der Rente mit Steuergeldern schließen. Berechnungen zeigen: Bis 2050 wird diese Summe auf mehr als 200 Milliarden Euro ansteigen. Das heißt: Selbst, wenn die kommenden 28 Jahre jährlich 10 Milliarden Euro gespart werden, dann wären das etwa 300 Milliarden Euro. Doch egal wie gut diese Summe angelegt wird, kann sie niemals jährlich 200 Milliarden Euro Rendite abwerfen.
Eine andere Idee des Wirtschaftsweisen Martin Werding lautet, die Abschläge für Frührentner zu erhöhen, damit mehr Menschen länger arbeiten. Zudem schlägt er vor, die Rente mit 63 abzuschaffen. Was halten Sie davon?
Fakt ist, dass die Deutschen immer älter werden. Welche Maßnahmen daraus abgeleitet werden, ist eine politische Entscheidung. Als Vorstandsvorsitzender einer großen deutschen Versicherung ist mir aber besonders wichtig: Es sollte gemeinsame Anstrengung aller sein, die Eigenvorsorge der Bundesbürger weiter zu stärken, damit sie später im Alter ihren Lebensstandard durch ein lebenslang garantiertes, planbares Zusatzeinkommen sichern können. Beispielsweise mit einer betrieblichen oder privaten Rente. Wir bieten hier attraktive Lösungen.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, dem Sie als Präsident vorstehen, schlägt hingegen die sogenannte Bürgerrente vor. Dieser Vorschlag wurde vor Kurzem in der Presse bekannt. Was hat es damit auf sich?
Die geförderte private Altersvorsorge muss und kann verbessert werden. Zum Beispiel mit einer stark vereinfachten Förderung. Hierfür haben wir eine Reihe von Vorschlägen. Sobald es ein abgestimmtes Konzept gibt, werden wir es zeitnah vorstellen.
Im Raum steht ein Nachfolger für die Riester-Rente. Ist Riester gescheitert?
Die Riester-Rente ist ein wichtiger Baustein der Altersvorsorge. Immerhin haben mehr als 10 Millionen Menschen einen solchen Vertrag abgeschlossen. Das ist fast ein Viertel der Erwerbstätigen in Deutschland. Diese Riester-Rentner dürfen wir nicht im Regen stehen lassen – das ist, denke ich, auch der Regierung klar.
Aber?
Wir sagen schon lange, dass Riester reformiert werden muss und kann. Doch trotz gegenteilig lautendem Koalitionsvertrag hat die vorherige Bundesregierung das Thema nicht angepackt.
Norbert Rollinger, Jahrgang 1964, stammt aus Luxemburg. Er studierte Rechtwissenschaften und Betriebswirtschaft in München. 2009 wurde er in den Vorstand der genossenschaftlichen R+V-Versicherung berufen, seit Januar 2017 ist er dessen Chef. Die R+V-Versicherung mit Sitz in Wiesbaden zählt mit 8,9 Millionen Kunden zu den größten Versicherern Deutschlands. Seit 2022 ist er zudem Präsident des Gesamtverbands der Versicherungswirtschaft.
Im vergangenen Sommer hat die EZB die Zinswende eingeläutet. Was bedeutet das für die Altersvorsorge?
Das ist gut für die Lebensversicherung, denn der Zinseszins – das achte Weltwunder – gewinnt wieder an Bedeutung. Das heißt, derjenige, der vorsorgt und Geld zur Seite legt, bekommt am Ende mehr heraus. Aktuell verhindert allerdings die hohe Inflation, dass die Menschen überhaupt genug Geld zum Sparen haben.
Wichtig bei der Lebensversicherung ist der Garantiezins. 2021 lag dieser noch bei 0,9 Prozent. Seit vergangenem Jahr steht er nun bei 0,25 Prozent. Womit rechnen Sie für die kommenden Jahre?
Das kann ich nicht sagen, die Höhe des Garantiezinses ist eine politische Entscheidung. Als Versicherer haben wir lediglich Einfluss auf die Überschussbeteiligung. Bei der R+V haben wir diese zum Jahresbeginn 2023 um bis zu 0,75 Prozentpunkte erhöht.
Das konnten Sie sich als R+V-Versicherung auch deshalb leisten, weil Sie trotz Inflation, Corona-Pandemie und den Nachwirkungen der Ahrtal-Katastrophe ein gutes Geschäft gemacht haben.
Stopp, das mit dem guten Geschäft kann ich so nicht ganz stehen lassen. Durch den schnellen Zinsanstieg haben wir stille Lasten in den Büchern. Jahrelang mussten wir unsere Gelder zu sehr niedrigen Zinsen anlegen. Diese Anlagen haben nun an Wert verloren. Aber die Neuanlage bringt jetzt wieder höhere Zinsen – auch für unsere Kundinnen und Kunden.
Auf Kundenseite sind zuletzt die Preise bereits deutlich gestiegen. Bei Wohngebäudeversicherungen sogar im zweistelligen Bereich. Woran liegt das?
Das hängt mit der Inflation zusammen. Um Unterversicherung zu vermeiden, sind unsere Preise im Gebäudebereich an den Baupreisindex gekoppelt, mit dem das Statistische Bundesamt die Preisentwicklung ausweist. Dieser Index ist im vergangenen Jahr um fast 15 Prozent angestiegen, was die hohe Nachfrage nach Handwerkern und Baumaterialien bei gleichzeitig geringem Angebot widerspiegelt. In manchen Regionen ist dieser Mangel schon vor dem Ukraine-Krieg und der hohen Inflation durch Naturkatastrophen ausgelöst worden, etwa im Ahrtal.
Klimaforscher sind sich sicher, dass Extremwetter in den kommenden Jahren häufiger auftreten werden. Welche Schlüsse ziehen Sie für die Versicherungsbranche daraus?
Wir setzen alles daran, dass die Menschen sich versichern. Mittlerweile sind mehr als 50 Prozent der Kunden gegen Elementarschäden versichert. Bei der R+V sind es sogar fast 70 Prozent und im Ahrtal sogar 75 Prozent der Kunden. Daran sieht man: Mit einer guten Beratung ist eine Pflichtversicherung nicht nötig. Gleichzeitig stellen wir fest, dass die Schäden zunehmen, das treibt neben den direkten Erstattungskosten auch die Preise für die Rückversicherung in die Höhe. Der Klimawandel schlägt sich also in steigenden Kosten nieder. Die Folge sind auch höhere Beiträge.
Halten diese hohen Kosten auch Menschen davon ab, sich für entsprechende Policen zu entscheiden?
Natürlich kommen höhere Versicherungsbeiträge zu den ohnehin schon steigenden Kosten für Bau, Energie und Lebensmittel hinzu. Um Geld zu sparen, können Kunden aber höhere Selbstbehalte im Schadensfall vereinbaren und ergänzend selbst Vorsorge treffen, um das Schadenausmaß zu begrenzen.
Nimmt die Anzahl der Menschen zu, die solche Lösungen wählen?
In unserer Wohngebäudeversicherung sehen wir bei der R+V aktuell noch keinen Trend zu günstigeren Varianten oder vermehrten Selbstbehalten. Wir gehen aber davon aus, dass dies künftig der Fall sein wird. Entscheidend bleibt, dass unsere Versicherten in der Gebäudeversicherung vernünftig gegen Naturgefahren abgesichert werden können.
Auch das Gesundheitswesen befindet sich weiter im Krisenmodus: Fachkräftemangel, steigende Personal- und Materialkosten. Was bedeutet das für die Krankenversicherungsbeiträge?
Die R+V hat die Beiträge in der Krankenversicherung insgesamt sehr moderat erhöht. In der privaten Pflegepflichtversicherung für Nicht-Beihilfeberechtige gab es dagegen branchenweit zum Teil deutliche Steigerungen. Dabei handelte es sich um die erste Anpassung seit drei Jahren, sodass es diverse Nachholeffekte gab. Hier spielten vor allem die letzten Pflegereformen eine große Rolle: Mit der neuesten wurden beispielsweise der Eigenanteil im Pflegeheim deutlich reduziert und erstmals die generelle Bezahlung von Pflegekräften nach Tarif vereinbart. Das alles führte, wie auch die Inflation, zu erhöhten Mehrausgaben.
Haben die Deutschen dafür Verständnis?
Der Staat hat die Bevölkerung mit Milliardenpaketen entlastet, um vor allem im Energiebereich die Preisspitzen abzufedern. Die Frage ist: Wie lange geht das? Darüber hinaus glaube ich, dass die Menschen durchaus bereit sind, für existenzielle Dinge mehr zu bezahlen. Das sehen wir aktuell auch bei den knappen Medikamenten für Kinder. Gleichzeitig stellen viele Deutsche auch fest: Preissteigerungen sind Luxusprobleme verglichen damit, was die Menschen in der Ukraine erleben. Insofern glaube ich auch, dass wir aus dieser Krise etwas lernen können.
Was meinen Sie damit konkret?
Viele Selbstverständlichkeiten werden gerade infrage gestellt, sei es billige russische Energie oder auch der Schutz durch die amerikanische Großmacht. Ich hoffe, wir führen uns dadurch vor Augen, welche Dinge uns wirklich wichtig sind, und strengen uns dafür auch wieder mehr an. Ich sage immer: Zum Optimismus gibt es keine Alternative.
Viele Menschen sehen aktuell allerdings wenig Anlass für Optimismus.
Dabei zeigen die Krisen auch, was möglich ist: Der Ausbau von LNG-Terminals ging auf einmal rasend schnell, Biontech hat es in kurzer Zeit geschafft, einen Corona-Impfstoff zu entwickeln. Von diesem Ideenreichtum und der Kreativität brauchen wir mehr.
Herr Rollinger, vielen Dank für dieses Gespräch.
- Video-Interview mit Norbert Rollinger