Interaktive Deutschlandkarte Hier leben die Menschen mit den höchsten Schulden
Die Zahl der überschuldeten Haushalte erreicht in diesem Jahr ein Rekordtief. Ein Bundesländer-Vergleich offenbart allerdings große regionale Unterschiede.
Auf den ersten Blick wirkt es paradox: Seit Monaten schießen die Kosten für Energie und Lebensmittel in die Höhe. Immer mehr Menschen kämpfen damit, mit ihrem Geld überhaupt noch über die Runden zu kommen. Und gleichzeitig ist die Zahl der überschuldeten Haushalte in Deutschland in diesem Jahr auf ein Rekordtief gesunken.
Zu diesem Ergebnis kam die Wirtschaftsauskunftei Creditreform in ihrem in Neuss veröffentlichten "Schuldneratlas Deutschland 2022". Insgesamt sind demnach in Deutschland knapp 5,9 Millionen Personen überschuldet, was rund 274.000 oder 4,4 Prozent weniger sind als im Vorjahr.
Dies sei der niedrigste Wert seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2004, berichteten die Experten. Überschuldung liegt demnach vor, wenn der Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen mit hoher Wahrscheinlichkeit über einen längeren Zeitraum nicht begleichen kann – oder kurz: seine Gesamtausgaben seine Einkünfte übertreffen.
Höchste Überschuldung in Bremerhaven
Zum besseren Vergleich einzelner Regionen, Städte und Kreise hat die Auskunftei für ihren "Schuldneratlas" eine sogenannte Überschuldungsquote gebildet. Sie setzt die Anzahl der überschuldeten Personen an einem Ort ins Verhältnis zur Zahl aller Erwachsener, die dort leben. In ganz Deutschland sind demzufolge 8,48 Prozent aller Menschen überschuldet.
Die höchsten Überschuldungsquoten erfasste Creditreform in Kreisen, die im Norden und Westen Deutschlands liegen: Mit 19,7 Prozent bildet Bremerhaven die Spitze des Rankings, die zweithöchste Überschuldungsquote hat Gelsenkirchen (16,94 Prozent), gefolgt von Pirmasens (16,92 Prozent), Neumünster (16,60 Prozent) und Herne (16,44 Prozent).
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Im Bundesländer-Vergleich fällt auf, dass nicht nur in Nordrhein-Westfalen, sondern auch in Sachsen-Anhalt deutlich mehr Kreise mit einer hohen Überschuldungsrate liegen als im Rest des Landes. So waren zum 1. Oktober rund 208.380 Menschen in Sachsen-Anhalt überschuldet, was immer noch rund 8.200 weniger Menschen als im Vorjahr entspricht.
Wenige Schulden in Bayern
Besonders niedrig ist die Überschuldungsquote wiederum in Bayern. Das zeigt sich auch, wenn man abermals die Landkreise und kreisfreie Städte betrachtet. So belegen die ersten fünf Ränge mit der geringsten Überschuldung ausschließlich bayerische Kreise.
Eichstätt in Oberbayern liegt mit einer Quote von 3,55 Prozent im Ranking auf Platz eins, gefolgt von dem Landkreis Erlangen-Höchstadt (4,06 Prozent) in Mittelfranken und dem schwäbischen Landkreis Aichach-Friedberg (4,23 Prozent). Rang vier belegt Schweinfurt (4,27 Prozent) in Unterfranken – gerade noch in der "Top fünf" ist Neumarkt in der Oberpfalz (4,34 Prozent).
Nach Altersgruppen haben weiterhin die 30- bis 39-jährige Privatleute die meisten Schulden, gefolgt von den 40- bis 49-Jährigen. Insgesamt ging die Quote aber in jeder Altersgruppe zurück.
Anstieg der Überschuldungszahlen erwartet
Das aktuelle Tief ist in den Augen der Experten nur die Ruhe vor dem Sturm. "Die guten Zahlen sind leider trügerisch", sagte der Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung Patrik-Ludwig Hantzsch. "Wir fürchten in den kommenden Monaten eine Trendwende." Nach Einschätzung von Creditreform werden die Überschuldungszahlen sehr bald wieder "deutlich steigen".
Dass die Überschuldungsquote zurzeit so niedrig ist, ist nach Einschätzung der Experten auch eine Folge der Corona-Pandemie. Staatliche Hilfsprogramme, pandemiebedingte Einschränkungen der Konsummöglichkeiten, aber auch Vorsicht der Verbraucher angesichts der neuartigen Krise hätten zu einem sprunghaften Anstieg der Sparquote und aber auch zu ungewöhnlich starker Schuldentilgung geführt.
Der Haken bei der Sache: Nach einer Studie des Ifo-Instituts unter dem Titel "Inflation frisst Überschussersparnis" waren die Corona-Ersparnisse bereits Mitte 2022 wieder ausgegeben. Dank der Sparpolster hätten die Verbraucher in der ersten Jahreshälfte trotz Rekordinflation ihren Konsum ausweiten können, berichtete das Institut. Doch diese Phase sei nun vorbei.
Viele Verbraucher greifen auf Ersparnisse zurück
Bei einer in dieser Woche veröffentlichten Umfrage im Auftrag der Auskunftei Schufa ging gut ein Drittel der rund 1000 Befragten (35 Prozent) davon aus, dass ihr Einkommen nicht ausreichen werde, um weiterhin den Lebensstandard zu halten. Die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher (50 Prozent) gab an, in den vergangenen sechs Monaten auf Ersparnisse zurückgegriffen zu haben.
Dabei sind die hohen Belastungen durch die hohe Inflation und vor allem die ansteigenden Energiekosten laut Creditreform noch längst nicht vollständig beim Verbraucher angekommen. "Der kommende Energiepreisschock zu Beginn des neuen Jahres wird für viele zu einer finanziellen Überforderung", prognostizierte der Geschäftsführer von Creditreform Boniversum, Michael Goy-Yun.
Nicht mehr genügend Geld für Strom, Wasser und Wärme
Die Überschuldungsgefährdung vieler Verbraucher nehme derzeit drastisch zu und übersteige das Risikopotenzial der letzten Jahre bei weitem, heißt es warnend im Schuldneratlas. Nach Berechnungen der Creditreform-Tochter Microm laufen bis zu 19 Prozent der deutschen Haushalte Gefahr, ihre Rechnungen für Versorgungsleistungen wie Strom, Wasser, Gas und Wärme nicht sofort bezahlen zu können. Betroffen seien damit rund 7,8 Millionen Haushalte oder 15,6 Millionen Personen, sagte Goy-Yun.
Zum Vergleich: Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes konnten 2021, also vor der Preisexplosion bei Haushaltsenergien, schon 2,6 Millionen Menschen oder 3,2 Prozent der Bevölkerung in Deutschland ihre Wohnung aus Geldmangel nicht angemessen heizen.
Die derzeit drohenden Nachzahlungen für die Heizkosten seien geeignet, viele Verbraucher in nachhaltige Zahlungsschwierigkeiten, zum Teil auch direkt in die Überschuldung zu führen, heißt es im Schuldneratlas. Die Experten rechnen deshalb für das kommende Jahr mit einer deutlichen Verschlechterung der Verschuldungssituation in vielen Haushalten.
"Ein Anstieg der Überschuldungszahlen um rund 600.000 Fälle ist nicht unrealistisch", heißt es im Schuldneratlas. Und es sei nicht auszuschließen, dass die Wucht des Nachzahlungsschocks und die schwer kalkulierbare Dauer der inflationären Tendenzen noch mehr Haushalte in die Überschuldung treiben.
- Schuldneratlas Deutschland 2022
- Nachrichtenagentur dpa