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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Statt Hartz IV So funktioniert das Bürgergeld der Ampel
Schon in wenigen Wochen soll Hartz IV vom Bürgergeld abgelöst werden. t-online erklärt, wer es bekommt und welche Kritikpunkte es gibt.
Inhaltsverzeichnis
- Warum heißt Hartz IV jetzt Bürgergeld?
- Wie hoch fällt das Bürgergeld aus?
- Was passiert mit den Sanktionen?
- Wie viel darf hinzuverdient werden?
- Welche Kritik gibt es?
- Was gilt künftig für die Weiterbildung?
- Können Bürgergeldbezieher ihre bisherige Wohnung behalten?
- Was bedeuten die Änderungen für Jobcenter?
- Wie geht es jetzt weiter?
Aus Hartz IV soll zum 1. Januar das Bürgergeld werden. Am Donnerstag diskutierte erstmals der Bundestag über den Gesetzentwurf. Demnach sollen die bisherigen Leistungen erhöht und mehr auf Vertrauen zwischen Leistungsbeziehern und Jobcentern aufgebaut werden. Doch die umstrittenen Sanktionen wird es auch künftig geben. Betroffen davon sind zunächst rund 5,4 Millionen Menschen, die derzeit Grundsicherung für Arbeitsuchende beziehen. t-online erklärt, wie hoch das Bürgergeld ausfällt, wie es mit den Sanktionen weitergeht und wie viel Bezieher hinzuverdienen dürfen.
Warum heißt Hartz IV jetzt Bürgergeld?
Weil die Bundesregierung verhindern will, dass irgendetwas auch nur im Entferntesten an den Namen Hartz IV erinnert. Insbesondere die Sozialdemokraten verbinden mit diesem Begriff ihre ganz eigene, parteipolitische Misere:
Die Sozialreformen, die auf den früheren VW-Vorstand Peter Hartz zurückgehen und Anfang der 2000er vom damaligen Kanzler Gerhard Schröder umgesetzt wurden, haben die Sozialdemokraten nicht nur bei weiten Teilen ihrer Kernklientel unbeliebt gemacht; sie haben auch zur Gründung der Linkspartei geführt, die sich seither als neue soziale Kraft links der SPD etablierte.
Hartz IV mit seinen geringeren Sätzen und schärferen Sanktionen betrachten viele Genossen deshalb als historischen Fehler. Diesen soll das Bürgergeld nun korrigieren.
Wie hoch fällt das Bürgergeld aus?
Die Regelsätze sollen im Vergleich zum aktuellen Hartz-IV-Satz um rund 50 Euro steigen. So sollen Alleinstehende 502 Euro im Monat erhalten und Jugendliche 420 Euro. Heute erhalten Alleinstehende 449 Euro.
Die Weiterqualifizierung soll zusätzlich mit 150 Euro belohnt werden. Die Kosten für die Wohnung sollen in den ersten beiden Jahren künftig auf jeden Fall voll übernommen werden. Auch Ersparnisse bis zu 60.000 Euro soll man, anders als heute, in dieser Zeit behalten dürfen.
Was passiert mit den Sanktionen?
Im neuen System soll es weniger Sanktionen geben. Strafmaßnahmen wegen mangelnder Kooperation mit dem Jobcenter waren bereits im Vorfeld gesetzlich ausgesetzt worden.
Künftig sollen die Möglichkeiten zur Kürzung der Leistungen stark begrenzt werden. So sollen im ersten halben Jahr nur eingeschränkt Leistungsminderungen möglich sein, wenn jemand Termine beim Jobcenter versäumt hat. Bei sogenannten Pflichtverletzungen hingegen, wenn also eine zumutbare Arbeit nicht angenommen wurde, soll es im ersten halben Jahr gar keine Sanktionen mehr geben.
Zudem sollen Arbeitssuchende in den Jobcentern künftig weniger Druck ausgesetzt sein. Abgeschafft werden soll das Prinzip, nach dem die Vermittlung in einen Job Vorrang hat. Stattdessen soll Weiterbildung gestärkt werden.
Wie viel darf hinzuverdient werden?
Bürgergeld-Bezieher sollen mehr von ihrem selbst verdienten Geld behalten dürfen als bisher. Konkret sollen sie von einem Verdienst zwischen 520 und 1.000 Euro 30 Prozent (statt bisher 20 Prozent) einstreichen dürfen.
Schüler, deren Familien Bürgergeld beziehen, dürfen künftig ihr Einkommen aus Minijobs in voller Höhe behalten. Das entspricht bis zu 520 Euro pro Monat. Einkommen aus Ferienjobs in unbegrenzter Höhe werden ebenfalls nicht auf das Bürgergeld angerechnet.
Welche Kritik gibt es?
Die Arbeitgeber und die oppositionelle Union kritisieren die Reform scharf. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hält das Bürgergeld für eine "arbeitsmarktpolitisch fatale Wegmarke". "Damit werden keine Brücken ins Arbeitsleben, sondern in das Sozialtransfersystem geschlagen", so Dulger weiter.
Doch auch von der anderen Seite des politischen Spektrums gibt es Kritik. Angesichts der Inflation und der hohen Energiepreise hält etwa der Sozialverband VdK die angepassten Bezüge für zu niedrig. "Die Erhöhung um 50 Euro im Monat ist nur ein längst überfälliger Inflationsausgleich, der ein Jahr zu spät kommt", sagte Verbandspräsidentin Verena Bentele.
Nach Darstellung von DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel ist eine stärkere Erhöhung der Regelsätze an der FDP gescheitert: "So behält aber das Bürgergeld den alten Makel des Hartz-IV-Systems: Es schützt nicht wirksam vor Armut."
Arbeitsminister Hubertus Heil verteidigte das Bürgergeld. Vor allem der Vorwurf, es würde weitgehend ohne eigenes Engagement der Bezieher gezahlt, sei falsch. "Das Thema Mitwirkungspflichten, das bleibt. Aber das konzentrieren wir auf das, wo es notwendig ist", sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Deutschlandfunk. "Menschen, die chronisch keine Termine (beim Jobcenter, Anm. d. Red.) wahrnehmen, die haben auch mit Rechtsfolgen im neuen System zu rechnen."
Was gilt künftig für die Weiterbildung?
Bislang scheiterte die Berufsausbildung eines Arbeitslosen oft daran, dass er vorrangig einen Aushilfsjob annehmen muss. Dieser "Vermittlungsvorrang" entfällt künftig.
Eingeführt wird ein monatliches Weiterbildungsgeld in Höhe von 150 Euro. Außerdem gilt nun, dass eine entsprechende Umschulung bei Bedarf auch drei Jahre besucht werden kann. Bislang lag die Grenze bei zwei Jahren.
Können Bürgergeldbezieher ihre bisherige Wohnung behalten?
In den ersten beiden Jahren überprüfen die Jobcenter dem Entwurf zufolge nicht, ob eine Wohnung angemessen ist. Menschen, die arbeitslos sind und sich einen neuen Job suchen müssen, sollen sich nicht auch noch um ihre Wohnung sorgen müssen, argumentiert Minister Heil.
Was bedeuten die Änderungen für Jobcenter?
Auf die Jobcenter könnte eine Doppelbelastung zukommen, warnte der frühere Gewerkschaftsboss und heutige Grünen-Bundestagsabgeordnete Frank Bsirske. Neben den Änderungen durch das Bürgergeld müssten Hunderttausende ukrainische Geflüchtete vermittelt werden.
"Umso wichtiger ist es, dass sie mit ausreichend Finanzmitteln ausgestattet werden", sagte Bsirske der Nachrichtenagentur dpa. "Das ist mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf noch nicht gesichert." Der frühere Verdi-Chef forderte: "Hier muss deutlich nachgebessert werden."
Unter Arbeitsvermittlern ist die Stimmung gemischt. Vor allem die Änderungen bei den Sanktionen werden unterschiedlich aufgenommen. An vielen Orten sei es aber ohnehin gang und gäbe, mit Kulanz zu reagieren und sich auf die einzelnen Personen einzulassen, berichtet ein Angestellter einer Agentur für Arbeit – da würde sich nun wenig ändern. Was hingegen vielen Vermittlern fehle, sei Zeit, etwa für die Beratung zu Weiterbildungen, aber auch, um die Probleme der Menschen zu verstehen und helfen zu können.
Wie geht es jetzt weiter?
Mit dem Kabinettsbeschluss ist der Weg für die parlamentarischen Beratungen der Sozialreform frei. Dass die Änderungen die nötige Zustimmung erhalten, gilt dabei als sicher. Immerhin handelt es sich um einen Vorschlag, den die Ampelparteien bereits im Koalitionsvertrag verankert hatten.
Die Grünen wollen dabei nun Tempo machen. "Gerade jetzt in einer Krise ist das Signal klar: Wir lassen Menschen, die wenig haben, nicht allein", sagte Fraktionschefin Britta Haßelmann am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. "Wir werden die Bürgergeldreform deshalb jetzt im Bundestag auch mit voller Kraft vorantreiben."
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- Eigene Recherche
- spiegel.de: "So funktioniert das neue Bürgergeld"
- Pressemitteilung BDA
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa