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Inflation: Manche trifft es härter als andere


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Steigende Preise
"Wir werden im Winter frieren"


30.08.2022Lesedauer: 5 Min.
Eine Frau beim Einkauf in einem Supermarkt (Symbolbild): Viele Deutsche müssen an anderer Stelle sparen, um sich Lebensmittel noch leisten zu können.Vergrößern des Bildes
Eine Frau beim Einkauf in einem Supermarkt (Symbolbild): Viele Deutsche müssen an anderer Stelle sparen, um sich Lebensmittel noch leisten zu können. (Quelle: IMAGO/Martin Wagner)

Die Inflation liegt im August bei 7,9 Prozent. Doch vor zwei Supermärkten zeigt sich: Nicht alle sind gleichermaßen von den steigenden Preisen betroffen.

Dienstag, kurz vor zehn Uhr, ein grauer Vormittag vor dem Penny-Supermarkt in Berlin-Wedding. Die automatischen Türen öffnen sich, herauskommen grimmig dreinblickende Rentner, Mütter und Studierende.

Einkaufen macht seit einigen Monaten den wenigsten gute Laune: Die Preise in Deutschland ziehen spürbar an, manche Lebensmittel, etwa Milchprodukte, sind teilweise um bis zu 50 Prozent teurer geworden.

Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, legten die Verbraucherpreise im August um 7,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zu. Nach zwei Monaten mit leicht rückläufiger Inflation scheint die Entspannung verpufft.

"Vor allem beim Öl ist mir das aufgefallen"

Auch beim Penny-Markt in Berlin lässt sich das feststellen. Eine kurze Bestandsaufnahme: Sechs Bio-Eier 2,39 Euro, Bio-Vollmilch 1,69 Euro, eine Flasche Olivenöl 4,29 Euro. Die 36-jährige Firdevs spürt die steigenden Preise: "Wir merken ganz deutlich, dass im Supermarkt alles teurer geworden ist", sagt sie, während sie, eine Einkaufstüte in der Hand haltend, ihren Sohn im Kinderwagen aus dem Laden schiebt. "Vor allem beim Öl ist mir das aufgefallen." Aus der Tüte ragt eine Packung mit Tiefkühllachs. Firdevs schaut auf den Kassenzettel, der Preis: 6,39 Euro. "Das war früher günstiger."

Diese Entwicklung zeigt auch der t-online-Warenkorb, in dem die gängigsten Alltagsprodukte liegen. Seit Januar notiert t-online für Sie rund um den Monatswechsel die Preisveränderung bei Lebensmitteln und Drogerieartikeln im Rewe-Supermarkt und im Online-Shop des Händlers.

Nachdem sich der fiktive Einkauf seit Beginn der Aufzeichnung im Januar stetig verteuert hat, gibt es im August eine Überraschung: Entgegen der offiziell gemessenen Teuerungsrate ist der Einkauf sogar etwas günstiger geworden. Für die gleichen Produkte standen Ende August drei Euro beziehungsweise drei Prozent weniger auf dem Kassenbon als vier Wochen zuvor.

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Neben Kartoffeln, die nach einem satten Preisanstieg im Juli nun wieder günstiger sind (2,79 Euro für 2,5 Kilogramm), kostet auch Paprika rund 36 Prozent weniger als noch am Monatsanfang. Saisonale Preisschwankungen bei Obst und Gemüse sind nicht ungewöhnlich, dauerhafte Preisrückgänge lassen sich aus diesen kurzfristigen Vergünstigungen leider nicht ableiten.

Dennoch wird deutlich: Verglichen mit Januar ist der Preisanstieg für den t-online-Warenkorb mit knapp 18 Prozent noch immer happig. Fast jedes Produkt ist gegenüber dem Jahresanfang teurer geworden. Spitzenreiter sind Hackfleisch, dessen Preis sich mehr als verdoppelt hat, und Bio-Vollmilch (plus 55 Prozent). Auch Gemüse ist auf breiter Front teurer geworden, sogar auf Konserven trifft dies zu: Mais und Sauerkraut verteuerten sich um mehr als 20 Prozent.

Angesichts solcher Preissteigerungen ist klar: Die Deutschen müssen sich im Alltag einschränken. Das trifft auch auf Angela, 48 Jahre, zu. Im Juni hat sie die Preisanstiege erstmals ganz deutlich wahrgenommen.

Händewaschen nur noch kalt

"Fleisch und Fisch kaufe ich kaum noch", erzählt die Mutter von zwei Kindern nach dem Einkauf im Penny-Markt. "Da habe ich früher immer Bio-Produkte gekauft – das ist jetzt nicht mehr drin." Bevor sie jedoch Fleisch aus konventioneller Viehzucht kauft, verzichtet sie lieber ganz darauf. "Insgesamt ist weniger im Einkaufswagen, aber die Summe auf dem Kassenbon ist trotzdem höher."

Um im Winter nicht in Schwierigkeiten zu geraten, spart Angela an vielen Stellen. "Erst heute", erzählt sie, "habe ich mich gegen Konzertkarten entschieden." Und zu Hause gelte seit ein paar Wochen die Devise: Händewaschen nur noch kalt.

Die Familie heizt ihre Wohnung mit einer Gasetagenheizung, die Gasumlage, die im Oktober erstmals fällig wird, bereitet den Eltern große Sorgen. "Ich sollte anfangen, dafür Geld zurückzulegen", so Angela. Doch bereits jetzt brauche die Familie jeden Monat einen kleinen Teil ihrer Ersparnisse auf.

Bei wem man sich vor dem Penny auch umhört: Die Preise gehen hier an niemandem spurlos vorüber, die Ängste vor den kommenden Monaten sind groß. Der Stadtteil Wedding gilt als besonders einkommensschwach, rund jeder Dritte bezieht Hartz 4, beliebte Google-Anfragen in Kombination mit dem Stadtteil sind "Kriminalität", "Schüsse" und "Ghetto". Die Armut ist hier allgegenwärtig, fotografieren lassen will sich niemand.

"Wir werden im Winter frieren", sagt ein Rentner, der seinen Namen lieber nicht nennen möchte. "Meine Familie in Spanien werde ich nur noch selten sehen", so ein 35-jähriger Mann, der seit einigen Jahren in Berlin lebt. Und ein älterer Herr mit Rucksack und weißem Haar berichtet: "Früher habe ich gekauft, worauf ich Lust hatte, jetzt greife ich nur noch zu den Produkten, die ich wirklich brauche."

Seine Rente steige schließlich nicht wegen der Inflation. Er fordert, die Milliardengewinne von Energiekonzernen zu besteuern. "Das sind Kriegsprofiteure", schimpft er. Außerdem solle die Bundesregierung bei Grundnahrungsmitteln einen Preisdeckel einführen.

Beschwerden beim Kartellamt

Auch beim Kartellamt äußern immer mehr Menschen ihren Unmut über die Preise in den Supermärkten. "Wir kriegen viele Beschwerden zu den Preissteigerungen", sagte der Präsident der Wettbewerbsbehörde, Andreas Mundt, am Dienstag bei der Vorstellung des Jahresberichts seiner Behörde.

Im Lebensmittelhandel habe sich die Behörde deshalb bereits an die Branche gewandt und um Aufschluss über die Hintergründe von Preiserhöhungen gebeten. "Wir verfolgen das mit Argusaugen", sagte Mundt.

Doch macht die Inflation allen gleichermaßen zu schaffen? Gut eine Stunde später und keine fünf Kilometer entfernt ergeben sich vor einem Edeka-Markt im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg Zweifel. Junge Mütter schlurfen in beigen Overalls durch die Automatiktür mit gelbem Herz, frisch frisierte Herren laufen, einen Smoothie und ein Brötchen unter dem Arm, im Stechschritt über den Bürgersteig.

"Also bewusst einschränken tue ich mich jetzt eigentlich nicht", sagt Pascal, 23. "Noch nicht, zumindest." Der Student arbeitet in seinen Semesterferien bei einem Tech-Start-up, das nur ein paar Blocks von dem Edeka-Markt entfernt liegt.

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"Wir Studierenden werden immer vergessen"

Trotzdem, sagt er, spüre er die steigenden Preise. Er glaube, dass das einige seiner Freunde in Schwierigkeiten bringe – auch wenn niemand so offen darüber spricht. "Diejenigen, die viel verdienen, merken natürlich nicht so sehr, dass das Leben teurer wird." Aber für viele Kommilitonen sei es hart. In die Politik setzt er keine großen Hoffnungen: "Wir Studierenden werden immer vergessen, das kennen wir ja schon aus der Coronazeit."

Auch wenn die meisten Kundinnen und Kunden des Edekas in Prenzlauer Berg sicherlich weniger unter den steigenden Preisen leiden als im Wedding, verändern sie ihr Verhalten: weniger Kinobesuche, den täglichen Kaffee to go sparen. "Aber auch diesen Verzicht muss man sich ja überhaupt erst leisten können", so eine ältere Dame. "Ich bin da noch in einer sehr privilegierten Situation."

Lucie, die grade aus dem Schwimmbad kommt und noch kurz einen Stopp im Supermarkt eingelegt hat, war über den Preis des heutigen Einkaufs überrascht: 25 Euro hat sie bezahlt – obwohl sie meist zu den günstigen Produkten greift.

"Ehrlich gesagt", so die 40-Jährige, "hatte ich mit 20 Euro gerechnet." Aber auch an anderer Stelle macht sich die Inflation bemerkbar: Neulich, als sie im Restaurant war, klebte ein Sticker auf dem Menü: Alle Preise plus 15 Prozent. Sie geht nun seltener essen.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • t-online Warenkorb
  • Nachrichtenagentur dpa
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