So funktioniert"s Prozessfinanzierung: Wenn andere das Risiko übernehmen
Vor Gericht das eigene Recht einzufordern, kann eine unsicherere und teure Sache sein - wenn man nicht einen Prozessfinanzierer einbindet. Doch wie funktioniert das? Und wer hat welche Möglichkeiten?
Klagen, um zu seinem Recht - und möglicherweise auch seinem Geld - zu kommen? Nicht jede und jeder in Deutschland begibt sich in dieses Risiko. Immerhin kann ein Gerichtsverfahren - nicht nur im Falle der Niederlage - viel Geld kosten. Bei einer Prozessfinanzierung übernimmt der Finanzierer Kosten und Risiken. Zu schön, um wahr zu sein? Zwei Experten erklären das Prinzip und zeigen auf, was für wen infrage kommen könnte.
Wie funktioniert die Prozessfinanzierung?
In der Regel gilt bei Gerichtsverfahren: Der Verlierer trägt die Kosten, bei einem Vergleich zahlt grundsätzlich jeder die eigenen. "Das heißt, jedes Gerichtsverfahren ist mit einem Kostenrisiko behaftet", sagt Rechtsanwalt Markus Hartung. Er ist Mitglied im Berufsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins (DAV).
Prozessfinanzierer sind Finanzdienstleister. Übernehmen sie den Fall, tragen sie das Kostenrisiko. Damit es sich für sie lohnt, erhalten sie bei erfolgreichem Prozessausgang einen Anteil des erstrittenen Geldes. Daher prüfen sie jeden Fall vorab. "Ist es sehr wahrscheinlich, dass Sie gewinnen, wird der Fall übernommen", erklärt Michael Sittig, Rechtsexperte bei der Stiftung Warentest.
"Bleibt Ihr Fall erfolglos, haben Sie keine Kosten", sagt der Jurist. "Wenn Sie Erfolg haben, geben Sie einen erheblichen Teil der erstrittenen Summe als Erfolgsprovision an das Unternehmen ab, das Ihr Verfahren finanziert hat." Das sei in der Regel eine Größenordnung von 20 bis 50 Prozent.
Wann bietet sich eine Prozessfinanzierung für Verbraucher an?
Das Modell macht natürlich nur bei Klägern Sinn, die Geld wollen, nicht bei Beklagten, die einen Anspruch abwehren möchten. Häufig komme Prozessfinanzierung im Insolvenz-, Erb- und Baurecht zum Einsatz, sagt Markus Hartung. "Es geht um hohe Beträge und es besteht ein tatsächliches Risiko."
Hin und wieder geht es auch ums Arbeitsrecht, wenn etwa jemand nach einer Kündigung klagt, um eine Abfindung zu erhalten. Das Risiko, hier zu verlieren, ist Hartung zufolge jedoch sehr klein. Darum empfindet er es als unfair, "wenn ein Arbeitnehmer von dem Geld, das er für den Verlust seines Arbeitsplatzes bekommt, 30 Prozent an einen Prozessfinanzierer abgeben muss".
Noch ein typischer Bereich sind laut Michael Sittig Beratungsfehler bei Geldanlagen - etwa wenn eine konservative, sichere Geldanlage gefordert war, der Berater aber ein extrem riskantes Produkt verkauft hat, das am Ende schiefgegangen ist. Oder auch bei Komplikationen nach medizinischen Eingriffen.
Mit solchen Fällen, bei denen es um sehr hohe Beträge geht, hat das Modell der Prozessfinanzierung vor rund zwei Jahrzehnten in Deutschland begonnen, sagt der Jurist. Inzwischen gebe es das Angebot für Prozessfinanzierungen aber auch in anderen Bereichen, in denen es um geringere Summen geht.
Worum geht es und wie funktionieren diese kleineren Fälle?
Klassiker ist das Fluggastrecht. EUclaim, Flightright oder Fairplane sind zum Beispiel Prozessfinanzierer für solche Fälle. "Das heißt nicht Prozessfinanzierung, ist es aber von der Sache her", sagt Markus Hartung. Dasselbe gebe es auch für Mietpreissteigerungen. "Es ist ein Rundum-Sorglos-Paket für Verbraucher: Sie riskieren nichts und geben bei Gewinn einen Teil ab."
Aus seiner Sicht hat das nur Vorteile für Verbraucher. Wer sich wegen Flugausfall oder -verspätung selbst an die Fluggesellschaft wendet, lande meist bei einer Ablehnung. "Und einen Anwalt für einen Streitwert von 250 Euro findet man kaum."
Für auf solche Fälle spezialisierte Unternehmen ist es ein Massengeschäft. Sittig zufolge läuft das in der Praxis so: Statt eines Beratungsgesprächs geben Betroffene ihre Daten und ihren Fall einfach online ein. Der Abwickler kümmert sich dann um den Rest. Am Ende gibt es für Verbraucherinnen und Verbraucher entweder Geld oder eben nicht. Das macht es bequem.
Wie finde ich einen Prozessfinanzierer?
In Bereichen mit einem geringen Streitwert ist der Schritt zur Prozessfinanzierung oft nur einen Online-Klick entfernt. Geduld brauche es aber auch hier mitunter, sagt Warentester Sittig. "Viele stellen sich vor, dass sie innerhalb von drei Wochen ihr Geld haben. Das kann zwar vorkommen, aber als wir mal getestet haben, haben sich Fälle auch ein Jahr hingezogen."
Bei den klassischen Prozessfinanzierungen ist der Aufwand größer. Oft wenden Verbraucher sich wegen eines konkreten Falls für eine Erstberatung an einen Anwalt. Schätzt dieser die Erfolgsaussichten als gut ein, könnte der Prozess aber langwierig und teuer werden, rät er vielleicht zu einem Prozessfinanzierer und empfiehlt jemanden.
Genauso gut können sich Verbraucher aber auch selbst jemanden im Internet suchen. "Die großen Versicherer haben alle Tochtergesellschaften, die Prozessfinanzierung betreiben", sagt Markus Hartung. "Sie können aber auch im Freundes- und Familienkreis herumfragen, ob jemand einen Tipp hat."
Für die Prüfung sind dann viele Unterlagen einzureichen. "Prozessfinanzierer übernehmen nur Elfmeter", sagt Michael Sittig. Eine Ablehnung bedeute daher, dass der Fall dem Finanzierer zu riskant sei, weil er einen Erfolg für nicht sehr wahrscheinlich halte. "Daher wird ihnen auch oft der Vorwurf gemacht, sie pickten sich die Rosinen heraus."
Woran erkenne ich seriöse Finanzierer?
Manche Anbieter seien nur eine Art Vermittler, warnt Markus Hartung, die dann auch noch einmal Gewinn einstrichen. Für Verbraucher sei das aber schwer zu erkennen. "Wenn Ihnen ein Anwalt, dem Sie vertrauen, einen Prozessfinanzierer empfiehlt, und Ihnen der Name vielleicht schon etwas sagt, können Sie davon ausgehen, dass er seriös ist", sagt der Rechtsanwalt.
Allerdings könne man als Mandant auch nachfragen, ob es eine wirtschaftliche Verbindung gebe, der Anwalt etwa an der Gesellschaft beteiligt sei. "Hat ein Anwalt eine Beteiligung über 50 Prozent an dem Unternehmen, ist eine Empfehlung unzulässig", sagt Hartung.
Es kann sein, dass man bei einer Übernahme durch einen Prozessfinanzierer nicht selbst einen Anwalt aussuchen darf. Das ist Sittig zufolge aber üblich. Wichtig sei vielmehr eine gewisse Größe des Prozessfinanzierers. "Damit ihm nicht unterwegs das Geld ausgeht, sodass ich als Verbraucher doch die Kosten zahlen muss."
Sein Tipp: Prozessfinanzierer gezielt nach Fällen fragen, die sie übernommen und gewonnen haben. Vielleicht lässt sich sogar der Kontakt zu einem ehemaligen Kunden herstellen. Auch die Fachzeitschrift "Anwaltsblatt" bietet eine Übersicht über einige Prozessfinanzierer (Stand: Mai 2021).
- Nachrichtenagentur dpa