Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Dieter Bohlen wird 70 Vergesst seine Musik
Dieter Bohlen ist nicht ohne Grund umstritten. Wie man die sozialen Netzwerke nutzen kann, um sich und andere zu schützen, beherrscht er aber wie kaum ein anderer.
Dieter Bohlen hat viel verbrochen in seinem Leben. Sein Umgang mit dem ein oder anderen "Deutschland sucht den Superstar"-Kandidaten: inakzeptabel. "Cheri Cheri Lady" – eine Lied gewordene Todsünde. Und auch zum unfassbar netten Thomas Anders könnte Poptitan Bohlen freundlicher sein. Schließlich waren es nicht nur Bohlens Kompositionen, sondern auch Anders' makelloser Teint, seine weichen, spannkräftigen Locken und dieses Lächeln, das die beiden als Modern Talking regelmäßig an die Spitze der Charts katapultierte – und ihre Kontostände in galaktische Höhen.
In Social Media wirklich gut unterwegs
Frei von Tadel ist Bohlen, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, also nicht. Trotzdem taugt er als Vorbild. Dafür nämlich, wie man vernünftig sowohl mit der eigenen Privatsphäre umgeht als auch mit der anderer Menschen. Und zwar, jetzt kommt der Oberhammer, wie Bohlen sagen würde: nicht TROTZ Social Media, sondern MIT Social Media.
Bohlen ist da unterwegs – und zwar wirklich gut. In Zahlen ausgedrückt: Auf Instagram folgen ihm eineinhalb Millionen Menschen. Zum Vergleich: Helene Fischer hat eine Million Follower, Klaas Heufer-Umlauf knapp 370.000, Cathy Hummels rund 690.000.
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Aber auch inhaltlich gelingt Bohlen der Umgang mit Insta. Er gibt seinen Fans dort das Gefühl, sie an seinem gut gelaunten Leben teilhaben zu lassen. Er vermittelt ihnen die Illusion, ihnen mit lässiger Leichtigkeit Einblicke in seinen Alltag zu gewähren – und vermischt das Ganze mit Selbstironie. Zusammen mit seiner Partnerin Carina, die er wohl demnächst heiraten will, dreht er Videos, in denen er sich einerseits wohlwollend darüber lustig macht, wie stark Carina sich schminkt (als hätte Bohlen je auf den Natural Look bei Frauen gestanden!). Andererseits aber wie der liebenswerte Trottel wirkt, den Carina um den Finger wickelt.
Auf Bohlens Kanal wird nicht gemotzt, es wird nicht ernst – und es wird niemand in die Öffentlichkeit gezerrt, der oder die es nicht möchte.
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Denn Privatsphäre ist für jemanden wie Dieter Bohlen heilig. So wie sie es ja für viele ist, die in der Öffentlichkeit stehen. Andere würden dort auch gerne stehen. Sie schaffen es aber aus eigener Kraft nicht. Für diese Menschen ist Privatsphäre ein lästiges Hindernis, das es mit aller Macht zu überwinden gilt. Ohne Rücksicht auf Verluste. Was sich da teilweise an Spektakeln bietet – dafür ist die Umschreibung "menschliche Abgründe" ungefähr so passend, als würde man den Reaktorunfall von Tschernobyl als kurzen Aussetzer in einem Atomkraftwerk verharmlosen.
Ich denke da zum Beispiel an die Frau, die hier stellvertretend für den bestürzend offenherzigen Umgang vieler anderer im Netz mit den ihnen Anvertrauten stehen soll. Diese Frau tritt unter ihrem Klarnamen in Erscheinung und thematisiert fortlaufend ihre Kinder. Auch das jüngste, das nicht geplant war. Seine Mutter ließ damals bei Twitter darüber abstimmen, ob sie abtreiben soll oder nicht. Das Publikum sprach sich anscheinend mehrheitlich gegen die Abtreibung aus. Mittlerweile schreibt diese Mutter, dass sie am liebsten gar keine Kinder bekommen hätte.
Zu viele wollen zu viel Ruhm
Nun will ich den emanzipatorischen und damit gesamtgesellschaftlichen Wert von Debatten wie "Regretting Motherhood" (deutsch: Bedauern der Mutterschaft) nicht kleinreden. Keine Frau sollte heutzutage überhaupt noch dazu genötigt werden, sich auch nur mit einer Silbe für ihren Lebensstil zu rechtfertigen. Die oben genannte Frau geht aber zu weit.
Das Beispiel mag extrem wirken. Ist es aber nicht. Leider. Zu viele Menschen wollen zu viel Ruhm. Und haben zu wenig Skrupel.
Bohlen macht so gesehen zumindest in den sozialen Netzwerken alles richtig. Von seinen Kindern gibt es auf seinem Kanal keine Bilder. Im Laufe der Jahre erschienen die hin und wieder in der Presse – aber lediglich nach dem Motto: "Die Affen kriegen Zucker, aber kontrolliert und in einer für alle verträglichen Dosis."
Die Royals fahren eine ähnliche Strategie
Eine Strategie, von der ich jetzt nicht behaupten würde, dass das englische Königshaus sie von Dieter Bohlen kopiert hat. Die sie aber sehr wohl genauso fährt: Bereits beim Tod der Queen war das sehr eindrücklich zu beobachten. Ebenso bei der aktuellen Kommunikation über die Krebserkrankung ihres Nachfolgers, König Charles III. Sie wurde auf dem offiziellen Instagram-Account namens theroyalfamily zuerst mitgeteilt.
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Das Signal lautet: Wir sind vor der Welle. Wir sind diejenigen, die die Fäden in der Hand halten. Ein kluger Schachzug. Wo offen thematisiert wird, ist weniger Platz für Geraune. Fakten fressen Tratsch auf. Und gleichzeitig nutzt man die Gelegenheit, um die Wahrung der Privatheit zu bitten. Man richtet das eigene Teleobjektiv namens Instagram-Kanal auf sich selbst, in der Hoffnung, sich nicht vor allzu vielen verstecken zu müssen. Weil man die Neugier da draußen schon bedient und damit zumindest Teile des Marktes bereits abgeräumt hat.
Öffentliche Gier nach privaten Einblicken
Auf den ersten Blick mag das überraschen: ausgerechnet die Royals als Digitalexperten? Die von nicht wenigen als aus der Zeit gefallenes und überflüssiges Überbleibsel längst vergangener Epochen betrachtet und zum Teil auch verachtet werden? Auf den zweiten Blick ist es aber folgerichtig: Wenn eine prominente Familie um den Schmerz weiß, den die öffentliche Gier nach privaten Einblicken verursachen kann, dann sind es die Windsors. Lady Diana würde womöglich noch leben, gäbe es keine Paparazzi – und keine Abnehmer für ihre Bilder.
Natürlich lässt sich die Yellow Press mit all ihren unsäglichen Mechanismen durch Social Media nicht komplett aushebeln. Aber besänftigen kann man das unersättliche Monster in seinem Hunger nach Klatsch schon. Der erste Appetit ist gestillt.
Wir können übrigens davon ausgehen, dass Charles' Krebserkrankung real ist und kein fragwürdiger PR-Stunt wie der vorgetäuschte Tod infolge von Gebärmutterhalskrebs durch ein indisches Model.
Aber das ist eine andere Geschichte. Keine rühmliche. Mit Social Media muss man umgehen können. In dieser Hinsicht ist Dieter Bohlen ein König.
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