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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Produktwächter packt aus "Es wollten schon Menschen ihr Kind auf Ebay anbieten"
Wolfgang Weber ist oberster Produktwächter bei Ebay. Im Interview verrät der Jurist, womit er zu kämpfen hat, was er von "Wish" hält und warum Ebay oft strenger ist als die meisten Behörden.
Wer etwas auf Ebay verkaufen möchte, muss zunächst an ihm und seinem Team vorbei: Wolfgang Weber. Er stellt sicher, dass keines der weltweit auf Ebay eingestellten Angebote gegen gesetzliche Vorgaben oder Ebays Grundsätze verstößt. Weber arbeitet bereits seit 2003 bei dem Unternehmen und hat in dieser Zeit einige verrückte Angebote gesehen.
Im Interview mit t-online berichtet er, wie oft sein Team eingreift, ob die Billig-Plattform "Wish" sein Leben leichter macht und wann es besonders schnell gehen muss. Bei selbstgebastelten Laserbohrern oder zum Kauf angebotenen Babys versteht der Jurist zudem keinen Spaß – und erklärt, warum Toilettenpapier und Hefe zu Wucherpreisen zwar nicht gegen Gesetze verstoßen, auf Ebay aber trotzdem nicht verkauft werden können.
t-online: Herr Weber – wer ein Angebot bei Ebay einstellen will, muss dazu erst einmal an Ihnen und Ihrem Team vorbei. Was genau machen Sie eigentlich? Und braucht es dafür nicht unzählige Mitarbeiter?
Wolfgang Weber: Mein Team ist in der Rechtsabteilung angesiedelt, wir sind sozusagen die Richter und Staatsanwälte von Ebay. Wir machen die Einschätzung was legal und was nicht legal ist. Mein eigentliches Kernteam ist relativ klein, aber die Leute, die wir dann mit den Aufgaben betrauen können, das sind schon viele. Man muss sich nur mal die Dimensionen klarmachen: Wir haben derzeit jederzeit 1,7 Milliarden Angebote auf der Seite.
Eine kaum vorstellbare Zahl. Wie viele Produkte davon mussten Sie und Ihr Team denn aussortieren?
Im Jahr 2020 haben wir im Bereich Prohibited and Restricted Items 258 Millionen Angebote blockiert. Das sind also lauter Angebote, die dank ausgefeilter Filter-Algorithmen gar nicht das Licht der Welt erblickt haben. Das bekommt dann außer uns und dem Verkäufer kein Mensch mit. Was noch dazukommt, sind Meldungen, die wir etwa von Nutzern bekommen. Die haben dazu geführt, dass wir 1,1 Millionen Angebote gelöscht haben. Und dann gibt es noch mal 1,3 Millionen Angebote, die wir gelöscht haben, ohne dass wir irgendwelche konkreten Hinweise dazu bekommen hätten.
Unsere Filter müssen wir stetig weiterentwickeln. Denn es gibt auch Anbieter, die wollen sich nicht belehren lassen. Wurde ihr Angebot durch unsere Filter blockiert, probieren sie es dann trotzdem noch mal anders. Da müssen unsere Teams dann kontinuierlich nachsteuern.
Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel: Ein No-Name-Ladegerät fängt an zu brennen. Wie spüren Sie so was überhaupt auf? Da muss es ja Hunderttausende ähnliche Angebote geben?
Das ist extrem schwierig. Relativ einfach ist es bei einem Markenprodukt mit ganz klarem Produktnamen. Da kann man verhältnismäßig einfach nach suchen. Oft bekommen wir auch von Behörden, die uns auf das Problem mit dem Produkt hingewiesen haben, viele Informationen, die helfen können, solche Produkte zu identifizieren.
Und wenn wir erkennen, dass solche Produkte zum Beispiel aus China kommen, dann treten wir auch an unsere Kollegen in China heran, die die dortigen Verkäufer betreuen und ihnen sagen: Mit diesem Produkt gibt es Probleme. Bitte informiert die Verkäufer darüber, dass das ein unsicheres Produkt ist und dass sie überprüfen, ob sie das vielleicht anbieten und wenn ja, dass sie es runternehmen.
Jetzt sind die gesetzlichen Bestimmungen, was etwa die Sicherheit von Elektrogeräten angeht, ja von Region zu Region, oft von Land zu Land unterschiedlich. Wie gehen Sie damit um?
Das ist in der Tat ein schwieriges Problem. Wir haben uns aber bereits 2010 dazu entschieden, nicht zuerst danach zu fragen, wie die rechtliche Situation ist, sondern wie wir die Käufer am besten schützen können. Und wenn zum Beispiel bei einem Produkt die Gefahr eines Stromschlags oder ein ähnliches Risiko besteht, verbieten wir es daher gleich global. Dies hat den Vorteil, dass wir wesentlich schneller Entscheidungen treffen können, als wenn wir erst einmal in rechtliche Prüfungen in verschiedenen Ländern mit verschiedenen Regularien einsteigen.
Flankiert wird diese Vorgehensweise zudem dadurch, dass wir vor allem in unseren vier Hauptmärkten USA, Großbritannien, Deutschland und Australien direkte Beziehungen mit den Produktsicherheitsbehörden haben. Und wenn uns dann die ACCC in Australien oder das amerikanische Pendant, die CPSC, mitteilt: 'Hier von diesem Produkt geht eine materielle Gefahr für den Benutzer au'’, dann verbieten wir das gleich global.
Aber ist das denn auch bei jedem regionalen Verbot sinnvoll?
Es gibt natürlich Compliance-Anforderungen, die sehr regional sind und nicht zu irgendwelchen Risiken für Verbraucher führen. Ein Beispiel: In Europa kennen Sie ja die Kennzeichnungen zur Energieeffizienz. Die Australier haben aufgrund der dortigen Beschränkungen der Ressource Wasser das Gleiche auch für Geräte und Produkte, die den Wasserverbrauch steigern oder reduzieren können.
Das heißt, wenn ich mir einen Duschkopf für meine Dusche in Australien kaufen möchte, dann muss der entsprechend dieser Regulierungen zertifiziert sein. Derselbe Duschkopf darf aber ohne jede Einschränkung in Europa und Nordamerika verkauft werden. Und da müssen wir natürlich schon unterscheiden.
Werden Sie da dann auch manchmal zum Mittler zwischen Verkäufer und Behörde?
Ja, und ich glaube, das ist auch ein ganz wichtiger Punkt, der uns von anderen Plattformen unterscheidet. Viele Behörden haben natürlich kein Problem damit, eine Marktaufsicht durchzuführen, wenn der Verkäufer sich in ihrem Land befindet. Wenn der Verkäufer aber im Ausland sitzt, haben viele Behörden kaum irgendwelche Einflussmöglichkeiten. Hier haben wir schon relativ früh versucht zu helfen.
Wenn uns zum Beispiel die WELS Authority in Australien sagt 'Dieser chinesische Verkäufer führt Duschköpfe nach Australien ein, die nicht den Bestimmungen entsprechen und wir haben versucht ihn zu kontaktieren, aber er meldet sich nicht'. Dann greifen wir ein und sagen dem Verkäufer: 'Du meldest dich jetzt bitte bei der Behörde. Denn wenn du das nicht machst, werden wir dein Geschäft einschränken'. Das tun wir im Zweifel auch – und schalten das Konto erst wieder frei, wenn wir von der Behörde hören, dass alles in Ordnung ist. Das führt dann zu einem wirklich konstruktiven Austausch zwischen den Verkäufern und den Behörden, auch wenn die Verkäufer sich nicht im gleichen Land wie die Behörde befinden.
Das klingt so, als würden Sie jetzt schon sehr eng mit den Behörden zusammenarbeiten. Vor ein paar Tagen haben Sie jetzt das "Regulatory Portal" gestartet. Was soll sich dadurch denn verbessern?
Es bringt einfach sehr viel mehr Effizienz. Es gibt in der EU das Product Safety Pledge. Das war eine der ersten Initiativen weltweit. Dazu hat uns die EU-Kommission vor einigen Jahren auch kontaktiert, weil wir relativ lange am Markt sind und hat uns gefragt ‘Was macht ihr eigentlich im Bereich der Produktsicherheit?’ Das ist dann mehr oder weniger die Blaupause für das Product Safety Pledge geworden. Unter anderem ist da enthalten, dass wir eine E-Mail-Adresse für Behörden haben, unter der sie uns kontaktieren können, wenn es Angebote gibt, die wir löschen sollen.
Wir sehen allerdings, dass das Kommunikationsmedium E-Mail nicht unbedingt das effizienteste ist. Wir bekommen dann zum Beispiel eine E-Mail von der dänischen Produkte-Sicherheitsbehörde. Die wissen manchmal noch gar nicht so genau, dass wir ein Marktplatz und kein Verkäufer sind. Oft gibt es erst mal auch keine Artikelnummer ohne die wir das Angebot nur schwer oder gar nicht identifizieren können. Dann geht es oft hin und her. Aber wenn es um Themen wie Produktsicherheit geht oder gefährliche Stoffe, wollen wir, dass unzulässige Angebote so schnell wie möglich entfernt werden.
Das neue Portal fragt jetzt direkt alle Daten ab die wir brauchen, um ein Angebot schnell zu löschen und erledigt dann auch das Löschen automatisiert. Das klappt jetzt innerhalb von zwei Stunden. Oft geht's auch noch ein bisschen schneller, aber nach spätestens zwei Stunden ist das Angebot weg und die Gefahr für potenzielle Käufer beseitigt.
Wie lange hat so was denn bisher gedauert?
Im Einzelfall konnte das auch vorher schnell gehen. Wir haben einmal den Fall gehabt, dass uns Trading Standards aus U.K. über einen selbstgebauten Laser-Bohrer informiert haben. Die E-Mail kam mit rotem Ausrufezeichen und der Markierung “Urgent”. Die habe ich sofort in meiner Inbox gesehen und das Angebot war ruckzuck weg. Aber das lässt sich nicht skalieren.
Das Regulatory Portal automatisiert Arbeit, die vorher manuell gemacht worden ist. Und das führt dazu, dass die Ressourcen, die dadurch frei werden, für wichtigere Aufgaben genutzt werden können, die noch größeren Einfluss auf die Markplatz-Sicherheit haben.
Was macht denn den größten Teil der beanstandeten Artikel aus? Müssen Sie sich auch um Produktfälschungen kümmern?
Produktfälschungen werden von dem System nicht erfasst. Denn das betrifft die Zusammenarbeit mit den Rechteinhabern. Dafür bietet Ebay ein separates Programm an, das VeRI-Programm. Die Zusammenarbeit mit Rechteinhabern im Bereich Fälschungen liegt nicht in meiner Verantwortung. Es gibt natürlich eine Überlappung, etwa gefälschte Produkte, die zusätzlich noch unsicher sind. Und da ist es mir dann ehrlich gesagt vollkommen egal, ob das unsichere Produkt ein Original oder eine Fälschung ist. Es wird in jedem Fall vom Marktplatz genommen.
Am meisten beschäftigt uns die Produktsicherheit. Es gibt aber auch viele andere Themen. In Deutschland haben wir zum Beispiel eine Polizeidienststelle die das Portal nutzt, um Angebote mit Medien zu melden, die auf der BPJM-Liste stehen und nicht verkauft werden dürfen. Ebenso gibt es Chemikalien, die gemeldet werden, oder auch Pflanzenschutzmittel und Produkte, die nicht den Bestimmungen im Telekommunikationsbereich entsprechen.
Plattformen wie "Wish" sind mittlerweile berüchtigt dafür, voller Technikschrott und Fälschungen zu sein. Sind Sie für solch schlecht regulierte Konkurrenz vielleicht insgeheim auch dankbar, weil der Schrott jetzt dort landet?
Wir beobachten, dass unsere effektiven Maßnahmen dazu führen, dass die beanstandeten Phänomene nicht aus dem Internet verschwinden, sondern sich verlagern. Das führt auf Seiten der Behörden manchmal zu einem lachenden und einem weinenden Auge: Wir haben zum Beispiel schon 2008 Elfenbein verboten und dann festgestellt, dass im englischsprachigen Raum die Verkäufer anstelle von ‘Ivory’ das Codewort ‘ox bone’ also Ochsenknochen verwendet haben. Wir haben daraufhin ‘ox bone’ in der Artikelüberschrift blockiert.
Danach habe ich von einer Behörde aus dem englischsprachigen Raum einen Anruf erhalten, warum wir das denn gemacht hätten. Das wäre doch total blöd, denn sie hatten das sehr erfolgreich für die Suche eingesetzt. Jetzt würde es für sie sehr viel schwieriger, denn die Leute, die die Codes benutzen, gingen auf andere Plattformen und seien dort schwerer zu ermitteln. Aber unser Job ist es nun mal die "Bad Actors", wie wir sie nennen, von Ebay fernzuhalten. Und letztendlich kann man es ja auch positiv sehen, denn wenn die Leute auf andere Plattformen mit geringerer Reichweite ausweichen, dann ist ja insgesamt trotzdem ein höheres Sicherheitsniveau erreicht.
Wie gehen Sie denn mit Scherzanzeigen um? Da gibt es ja harmlose, wie das 50 Meter WLAN-Kabel, das im Beschreibungstext als Luft ausgewiesen wird oder aber auch Fälle wie den, als 2016 eine Familie ihr 40 Tage altes Baby für 5.000 Euro auf Ebay anbot und es hinterher als Scherz deklarierte.
Ja, da muss man heute zunächst einmal zwischen Ebay und Ebay Kleinanzeigen differenzieren. Viele von diesen scherzhaften Angeboten landen mittlerweile auf Ebay Kleinanzeigen, das ist eine separate Plattform. In der Zeit vor Ebay Kleinanzeigen fanden sich tatsächlich die Angebote, die Sie gerade erwähnt haben, vor allem auf Ebay. Es gab auch tragische Geschichten, dass Menschen Organe anbieten wollten zur Transplantation, aber auch die Familie, die ihr "nerviges Kind" verkaufen wollte.
Wenn eine Familie ihr Kind anbietet, dann geben wir das direkt an die Behörden weiter. Und die Behörden verstehen da keinen Spaß. Die Kinder wurden dann teilweise aus der Familie rausgeholt. Und auch in Fällen, in denen jemand seine Niere oder dergleichen angeboten hat: Das waren oft ganz tragische Fälle, in denen Leute in großer finanzieller Not waren. Das 50 Meter WLAN-Kabel, da mache ich mir dagegen erst mal keine Sorgen.
Im vergangenen Jahr sind Sie außerdem auch im Rahmen der Pandemie über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus gegangen. Warum?
Medizinische Schutzausrüstung gehört zu den Produktkategorien, die wir tatsächlich dahingehend eingeschränkt haben, dass nicht alle Verkäufer das anbieten durften. Da wollten wir auch dafür Sorge tragen, dass unsere Käufer keinen Risiken ausgesetzt sind. Das war ja am Anfang alles relativ unklar. Welche Normen müssen die erfüllen? Es gab Notfallzulassungen und das war alles sehr, sehr kompliziert und für einen privaten Verkäufer gar nicht durchschaubar.
Und dann gab es natürlich auch diese Glücksritter, die in den Supermarkt gegangen sind, die Regale mit dem Toilettenpapier leergeräumt haben und bei Ebay im Auktionsformat anbieten wollten – genauso bei Hefe. Und da haben wir gesagt: nicht bei Ebay. Es gab vor der Pandemie kein Geschäft von privaten Verkäufern mit Toilettenpapier. Und wir haben nicht eingesehen, dass das ausgerechnet während der Pandemie zum Geschäftsmodell werden sollte.
Vor Kurzem haben wir über zwei Fälle berichtet, in denen Personen Impftermine auf Ebay angeboten haben. Ist das erlaubt?
Nein, medizinische Dienstleistungen dürfen nicht angeboten werden. Was angeboten werden dürfte, wäre, wenn jemand Hilfe braucht, einen Impftermin auszumachen. Oder wenn jemand einen Impftermin hat und dann Unterstützung bräuchte, um dahin zu kommen. Das wären Dienstleistungen quasi drumherum, die nicht das Medizinische betreffen. Sobald es aber um medizinische Dienstleistungen geht, ist dies bei Ebay nicht erlaubt.
Herr Weber, vielen Dank für das Gespräch
- Interview mit Wolfgang Weber