Mobilfunkfirmen scheuen Kosten Der große 5G-Knatsch: Turbo-Internet nicht überall?
Berlin (dpa) - Es ist eine Entscheidung mit enormer Tragweite für Bürger und Unternehmen: Zwischen Regierung und Netzbetreibern ist ein heftiger Streit über die Einführung des neuen Mobilfunkstandards 5G entbrannt.
Dieser soll für viel schnelleres Internet als bisher sorgen. In einem Brandbrief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) drohen Manager von Deutscher Telekom, Vodafone und Telefónica mit Klagen und warnen vor einer "extensiven Ausweitung von Versorgungsauflagen" - also der Pflicht, auch alle ländlichen Regionen zu hundert Prozenz mit teuren 5G-Masten abdecken zu müssen.
Die Manager werfen der Politik eine Erwartungshaltung vor, "die ökonomisch in keiner Weise darstellbar und rechtlich nicht haltbar" sei. Bis Ende des Monats will die Bundesnetzagentur festlegen, unter welchen Auflagen im Frühjahr 2019 5G-Frequenzen versteigert werden.
Möglicherweise am Freitag, vielleicht erst nächste Woche verschickt die Behörde das Regelwerk an den Beirat - stehen die Bedingungen da schwarz auf weiß drin, dürften wesentliche Änderungen schwer machbar sein. Die Zeit drängt also - für die Netzbetreiber, um die Auflagen niedrig zu halten, und für die Politiker, um den Bürgern und damit ihren Wählern ein umfassendes mobiles Internet verkünden zu können.
Das Thema 5G sorgt auch innerhalb der Berliner Regierungskoalition für Knatsch. Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) betont seit längerem, ein flächendeckender 5G-Ausbau sei "unfassbar teuer". Die Haltung von Braun passt aber mehreren Ministern, auch aus der Union, und dem Koalitionspartner SPD gar nicht. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sprach am Donnerstag von einer "politischen Bankrotterklärung", wenn Braun sich mit einer 5G-Versorgung der Ballungsgebiete zufriedengebe.
Das 5G-Thema beschäftigte am Donnerstag auch das Bundeskabinett bei einer Klausurtagung zum Thema Digitalisierung in Potsdam. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bekannte sich dort zum Ausbau des mobilen Internets in Deutschland, sagte aber, dass dies "natürlich nicht jetzt für alle 5G umfassen kann."
Klingbeil betonte hingegen für die SPD-Spitze: "Wir brauchen eine Ausschreibung, die sicherstellt, dass alle Menschen in Deutschland Zugang zu 5G bekommen, unabhängig davon, wo sie wohnen". Merkels Kanzleramtschef Braun bekam auch von Unionskollegen Gegenwind: Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) forderten auch 5G für alle.
Eine Sprecherin Seehofers sagte, das Ziel müsse eine 100-prozentige Abdeckung sein. Eine Versorgung mit dem Hochgeschwindigkeits-Internet nur für 98 Prozent der Haushalte, wie es bisher die Vorgaben für die 5G-Versteigerung der Bundesnetzagentur vorsehen, bedeute, dass rund 15 bis 20 Prozent der Fläche nicht damit versorgt würden. "Und das sind naturgemäß ländliche Regionen."
Klöckner sagte der "Rheinischen Post": "Es gibt zu viele weiße Flecken auf der Landkarte." Ziel sei eine "zeitnahe Abdeckung von 99 Prozent aller Haushalte", die restliche Lücke solle dann über Förderprogramme geschlossen werden.
Hinter vorgehaltener Hand heißt es aus der Mobilfunk-Branche, die Erwartung einer Vollabdeckung sei ein völlig unrealistisches Wunschkonzert. Würde man Vorgaben zu einem flächendeckenden 5G-Ausbau umsetzen, käme es zudem zu einer "Verspargelung" der Landschaft. Denn die leistungsstarken 5G-Masten haben eine geringere Reichweite als 4G-Anlagen, es müssten deutlich mehr gebaut werden als beim aktuellen 4G-Netz. Außerdem: Privatkunden bräuchten ohnehin kaum 5G, für die meisten Mobilsurfer reiche 4G völlig aus, heißt es aus der Branche.
Aus der Industrie hingegen kommen Forderungen nach einem umfassenden 5G-Netz. Die Technologie wird zum Beispiel für das autonome Fahren gebraucht. Zudem befürchten Mittelständler auf dem Land, ohne flächendeckende Versorgung wirtschaftlich abgehängt zu werden, wenn sie nur ein zweitklassiges Netz haben oder gar weiterhin Funklöcher.
Der bisherige Plan sieht vor, dass bis Ende 2022 die 5G-Technologie, die auch Funklöcher beim Zugfahren beheben soll, entlang der Autobahnen und an 5300 Kilometer Bundesstraßen verfügbar sein sollen, nicht aber an Landstraßen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass es ab 2025 bundesweit einen Rechtsanspruch auf schnelles Internet geben soll. Zwar werden Milliardensummen auch für den Glasfaserkabelausbau zur Verfügung gestellt, aber es mangelt mitunter weniger am Geld, als an Kapazitäten bei den hierauf spezialisierten Bauunternehmen.
Das Kabinett hatte im August den Aufbau eines Sondertopfes "Digitale Infrastruktur" mit einem Startvolumen von zunächst 2,4 Milliarden Euro beschlossen. Damit soll neben dem Breitbandausbau besonders die Digitalisierung tausender Schulen erreicht werden - der Topf soll auch gespeist werden aus den Einnahmen der 5G-Lizenzversteigerung.
Die Mobilfunkriesen gehen nun auf die Barrikaden: Die 5G-Vergabe drohe zu "einem industriepolitischen Desaster zu werden", heißt es in dem Brief, der der dpa vorliegt. Das Schreiben wurde unterzeichnet von den Deutschlandchefs der Deutschen Telekom, Dirk Wössner, von Vodafone, Hannes Ametsreiter, und von Telefónica, Markus Haas. Auch das "Nationale Roaming" ist ihnen ein Dorn im Auge. Hierbei müssten sie ihr Netz Wettbewerbern öffnen, die keine eigenen Antennen haben. Sollten die Auflagen wie von den Netzbetreibern befürchtet beschlossen werden, wären die Vergabebedingungen "klar rechtswidrig".
Aus ihrer Sicht stünde der Wert der Auktion in keinem angemessenen Verhältnis zu den immensen Kosten, welche durch die Auflagen verursacht würden. "Gerichtliche Auseinandersetzungen würden voraussichtlich zur Rückabwicklung des gesamten Vergabeverfahrens und damit zu einer massiven Verzögerung bei der Einführung von 5G führen", heißt es in dem Brief.
Erstaunlich: Die Firmen, die Deutschland endlich auf die digitale Überholspur bringen wollen, drohen nun auf die Bremse zu treten. Andere Länder sind längst weiter. So soll der 5G-Standard bei Olympia 2020 in Tokio überall verfügbar sein und Autos ohne Fahrer sollen die Gäste transportieren.