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Verstoß gegen EU-Recht: Deutsches Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt


Wegweisendes Urteil
EU-Gericht kippt deutsches Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung

Von dpa, afp
Aktualisiert am 20.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Symbolbild "Vorratsdatenspeicherung"Vergrößern des Bildes
Eine Lupe vergrößert einen Ordner zu "gespeicherten Verbindungen" (Symbolbild): Der EuGH hat die deutsche Regelung zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gekippt. (Quelle: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild/dpa-bilder)
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Internetprovider und Telekommunikationsanbieter müssen die Daten ihrer Kunden nicht für den Zugriff von Behörden speichern, urteilte der Europäische Gerichtshof. Bislang sieht das deutsche Telekommunikationsgesetz dies vor.

Die deutsche Vorratsdatenspeicherung ist mit EU-Recht nicht vereinbar. Ohne Anlass dürften die Kommunikationsdaten aller Bürgerinnen und Bürger nicht gespeichert werden, entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Dienstag in Luxemburg. Nur unter bestimmten strengen Voraussetzungen sei eine begrenzte Datenspeicherung zulässig. (Az. C-793/19 und C-794/19)

Bei einer ernsten aktuellen oder vorhersehbaren Bedrohung für die nationale Sicherheit dürften Verkehrs- und Standortdaten allgemein vorübergehend gespeichert werden, erklärte der EuGH. Zum Schutz der nationalen Sicherheit, zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit dürften Telekommunikationsanbieter für einen begrenzten Zeitraum dazu verpflichtet werden, bestimmte Daten zu speichern.

Die Vorratsdatenspeicherung ist in Deutschland derzeit ausgesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Frage nach der Rechtmäßigkeit dem EuGH vor. Es muss über Klagen von Telekom und Spacenet entscheiden. Die Bundesregierung kündigte bereits an, die Regelung reformieren zu wollen. Der EuGH erklärte am Dienstag auch die französische Regelung zur Vorratsdatenspeicherung gegen Marktmissbrauch für rechtswidrig.

Urteil reiht sich in vergleichbare europäische Entscheidungen der vergangenen Jahre ein

Das Urteil passt zu den Entscheidungen, die der Gerichtshof in den vergangenen Jahren regelmäßig über die Vorratsdatenspeicherung in verschiedenen Ländern gefasst hat. Meistens wurden die nationalen Regelungen gekippt. Die Linie der Richter war dabei recht eindeutig: Das anlasslose Speichern von Kommunikationsdaten verstößt demnach grundsätzlich gegen EU-Recht.

Die geltenden Ausnahmen sind zudem eng gefasst. Erst im April entschied der EuGH zur Vorratsdatenspeicherung in Irland, dass schwere Straftaten wie Mord nicht darunter fallen. In seinem Gutachten zum vorliegenden deutschen Fall bekräftigte der EuGH-Generalanwalt die vorherigen Urteile und stärkte die Position von Datenschützern. Der Einschätzung des Generalanwalts folgt der Gerichtshof oft, aber nicht immer.

Schon vor dem Urteilsspruch war klar, dass es in der Koalition schwierig werden wird, hier eine gemeinsame Linie zu finden. Denn in den Koalitionsverhandlungen hatte die FDP mit Macht auf eine Vereinbarung zur Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung gedrungen. Die Grünen sehen dieses Instrument ebenfalls kritisch. Anders positioniert sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Die SPD-Politikerin hatte kürzlich beim Jahresempfang der Sicherheitsbehörden betont, Polizei und Verfassungsschutz bräuchten Eingriffsbefugnisse auf der Höhe der Zeit.

Justizminister kündigt baldige Neuregelung an

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Vorratsdatenspeicherung hat Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) eine baldige Neuregelung angekündigt. Er sprach am Dienstag im Kurzbotschaftendienst Twitter von einem "guten Tag für die Bürgerrechte". Der EuGH habe in einem "historischen Urteil" bestätigt, dass die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland rechtswidrig sei.

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Buschmann favorisiert als Alternative eine sogenannte Quick-Freeze-Regelung. Bei ihr werden Verbindungsdaten nur bei einem konkreten Anlass und auf richterliche Anordnung hin gespeichert. FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle verwies darauf, dass der EuGH in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung ausdrücklich eine solche Regelung zulasse.

"Der deutsche Gesetzgeber sollte sich einer solchen Lösung öffnen, um die Sicherheitsbehörden mit den nötigen Instrumenten auszustatten", sagte Kuhle. Damit würden gleichzeitig die Bürgerrechte jener großen Mehrheit der Menschen geschützt, "die nicht einer Straftat verdächtigt werden".

Neben der FDP begrüßten auch die Grünen das EuGH-Urteil: "Die Vorratsdatenspeicherung gehört auf die Müllhalde der Geschichte", erklärten die Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz und Helge Limburg.

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU), derzeit Vorsitzender der Justizministerkonferenz, forderte, Spielräume müssten "vor allem zum Schutz der Kinder vor schweren Verbrechen genutzt werden". Niedersachsens Justizministerin Barbara Havliza (CDU) erklärte, bei der Verfolgung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie sei "die Zuordnung von IP-Adressen zu konkreten Anschlussinhabern oft der einzige Ansatz unserer Ermittler".

Weitere Reaktionen zum Urteil

Auch der Hauptgeschäftsführer des Internet-Branchenverbands Bitkom, Dr. Bernhard Rohleder, begrüßt die Entscheidung: "Mit seinem heutigen Urteil beerdigt der EuGH faktisch die Vorratsdatenspeicherung. Es macht keinen Sinn, sich weiterhin an diesem Instrument der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten abzuarbeiten. Die Politik ist aufgefordert, andere und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik zu nutzen."

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) fordert eine ersatzlose Streichung der Regelungen. "Das ist ein glasklares Votum der europäischen Richter für die Pressefreiheit", erklärte der DJV- Bundesvorsitzende Frank Überall am Dienstag. Er hoffe, dass damit Gedankenspiele innerhalb der Regierungskoalition über eine Neuauflage der Datenspeicherung damit ein Ende fänden.

Der Deutsche Richterbund (DRB) hat indes die Bundesregierung dazu aufgerufen, schnell eine Alternative zur bisherigen Vorratsdatenspeicherung zu schaffen. "Verkehrsdaten sind in vielen Fällen ein wichtiger Ansatzpunkt für die Strafverfolger, um die Täter einer Straftat zu ermitteln", erklärte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn am Mittwoch. Die Vorgaben des EuGH müssten nun "in eine rechtssichere und praxistaugliche Neuregelung" überführt werden. Es sei zu hoffen, "dass es dabei in der Ampelkoalition nicht zu einem langwierigen politischen Streit kommt, der eine Neuregelung über Monate blockiert", erklärte Rebehn. "Die Praxis wartet auf eine Lösung des Gesetzgebers."

Die zwei deutschen Polizeigewerkschaften fordern ebenfalls eine Nachfolgeregelung. Mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), der die aktuelle Regelung in Deutschland gekippt hat, werde die polizeiliche Ermittlungsarbeit erschwert, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, am Dienstag. Der Kampf gegen Organisierte Kriminalität, Kindesmissbrauch im Internet sowie terroristische Straftaten erleide einen Rückschlag.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa, afp
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