Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Kein Spielzeug für Milliardäre Er sollte Twitter nicht bekommen
Multimilliardär und Tech-Zampano Elon Musk will Twitter kaufen. Warum? Vermutlich einfach, weil er es kann – und weil es in seine kommunikative Agenda passt. Gut wäre das höchstens für ihn selbst.
Elon Musk ist unterhaltsam, das muss man ihm lassen. Selbst als mittlerweile reichster Mensch der Erde – die Zeitschrift Forbes schätzte sein Vermögen jüngst auf 219 Milliarden US-Dollar – verzichtet er auf die typische Gravitas im Auftreten, die den wirklich Mächtigen meist zu eigen ist.
Statt dezent und langweilig im Hintergrund zu wirken und geräuschlos die großen Hebel der Macht zu bewegen, setzt Musk lieber auf exzentrische Shows, gezielte Sticheleien gegen Gegner – und jede Menge platte Scherze.
Dass die Tesla-Modelle ursprünglich "S", "E" und "X" heißen sollten, ist kein Zufall. Nach einer juristischen Drohung von Ford gegen die Modellbezeichnung "E" entschied Musk sich stattdessen für "3". Der Kalauer überlebte fast unbeschadet:
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Als Musk 2018 twitterte, dass er erwäge, alle Tesla-Aktien aufzukaufen und das Unternehmen von der Börse zu nehmen (ein Tweet, der ihm großen Ärger mit der Börsenaufsicht einbrachte), steckte in der vorgeschlagenen Summe von 420 US-Dollar pro Aktie auch eine Anspielung auf seinen Cannabis-Konsum – denn im US-amerikanischen Raum ist die Zahl 420 ein gängiger Code dafür. Den gleichen Pennäler-Witz erlaubte sich Musk übrigens jetzt wieder: Der vorgelegte Preis pro Twitteraktie liegt bei 54,20 Dollar.
Pennäler-Scherze statt Superreichen-Gebaren
Es sind solche Scherze, die Elon Musk bei seinen Fans so beliebt machen: Er mag der reichste Mensch der Welt sein, aber wer solch platte Witze reißt, der ist doch irgendwie einer von uns.
Was spräche also dagegen, ihm tatsächlich die Hoheit über Twitter, eines der wichtigsten sozialen Netzwerke, in die Hände zu legen? Vermutlich bereits sein eigenes Gebaren auf der Plattform.
Denn bei alledem darf man auch nicht die weniger rühmlichen Tweets vergessen, die Musk in den vergangenen Jahren abgesetzt hat. Dem 80-jährigen US-Senator Bernie Sanders schrieb er "Ich vergesse immer, dass du noch lebst", den kanadischen Premier verglich er mit Hitler, die Liste ließe sich seitenweise fortsetzen. Musk, so scheint es, liebt die Provokation – und die gelingt auf Twitter eben am besten.
Und jetzt will er sein Lieblingsspielzeug Twitter ganz für sich: Ein bloßer Platz im Verwaltungsrat war ihm nicht genug, er will die volle Kontrolle. Sollte der Deal tatsächlich klappen, gäbe es niemanden, der ihm bei Twitter mehr reinreden oder im Zweifel das Wort verbieten könnte.
In der Vergangenheit hatte sich der Milliardär immer wieder für rigorose Meinungsfreiheit auf der Plattform ausgesprochen. In den Unterlagen zum geplanten Kauf schreibt er, dass Twitter eine Plattform für freie Rede sein könne, dafür aber von der Börse genommen – und in seine Hände gelegt – werden müsse.
Mehr Meinungsfreiheit? Aber die gibt es bei Twitter doch
Aber wovon spricht er da? Für mehr Meinungsfreiheit und gegen Zensur? Wüsste man nicht, worum es geht, man könnte meinen, Musk will hier ein russisches Staatsmedium zurück auf den rechten Weg führen. Bezogen auf Twitter klingt das alles dann doch mehr nach Donald Trump und dessen Weg nach rechts außen.
Kein Wunder, dass die Übernahmeankündigung in der Trump-Blase bereits begeistert gefeiert und die Forderung immer lauter wird, dessen dauerhaft gesperrten Account wieder zu reaktivieren.
All das sollten sich die Aktionäre von Twitter vor Augen führen – denn jetzt sind nur noch sie es, die eine Übernahme durch Elon Musk verhindern können. Und wer Twitter führt, ist nicht egal.
Twitter ist wichtig – es ist nicht egal, wer es führt
Twitter ist längst kein belangloser Ort für knappes Geplänkel mehr: Hier wachsen in kürzester Zeit kleine Rufe für den guten Zweck zur dröhnenden Stimme des Volkes, hier brauen sich Shitstorms zusammen, die Regierungen stürzen und Existenzen vernichten können – ganz gleich ob zu Recht oder zu Unrecht.
Natürlich braucht es hier Meinungsfreiheit statt Zensur, aber eben auch Grenzen, dort wo eine Meinung etwa mutwillig verleumdet und Gesetze verletzt werden. Deshalb ist eine besonnene Führung mindestens genauso wichtig, um die Wirkmacht der Plattform zu erhalten und vor Missbrauch zu schützen. Wohin es führt, wenn diese immense Macht rücksichtslos und ausschließlich in den Dienst der eigenen (Unternehmens-)Interessen gestellt wird, kann man an den zahllosen Flächenbränden ablesen, die Facebook in den vergangenen Jahren entfacht hat.
Elon Musk mag ein genialer Geschäftsmann und Visionär sein, aber er ist auch Egozentriker, ein Clown, ein Provokateur. Der besonnene, verbindende und weise agierende Unternehmenslenker, den wir heute in den sozialen Medien dringender denn je brauchen, ist er ganz sicher nicht.
Es wäre ein Fehler, diese Aufgabe dem reichsten Twitter-Troll der Welt zu geben.
- Eigene Recherche