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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Dreiste Abzocke? Experte enthüllt riesigen Blitzer-Murks
Dreiste Abzocke oder fehlplatzierte Verschwendung? Viele Radarfallen schaffen nicht, was sie tun sollen. Warum? Unfallforscher Siegfried Brockmann erklärt Deutschlands großes Blitzer-Problem.
Rund 4.700 feste Blitzer zählen Statistiker in Deutschland. Hinzu kommen unzählige mobile Radarfallen. Sie machen unsere Straßen sicherer, indem sie Raser zwingen, sich ans Tempolimit zu halten. Das sagen die einen. Schikane und Abzocke, aufgestellt zum Abkassieren, schimpfen die anderen über die Geräte. Welches Lager hat nun recht? Was sagen die Fakten?
Siegfried Brockmann kennt diese Fakten wie kaum ein anderer. Ortsfeste Anlagen leisteten nicht, was sie könnten, sagte der Leiter der Unfallforschung der Versicherer (UDV). Denn sie stünden oft an den falschen Stellen. Und mit mobilen Blitzern werde viel Akzeptanz verspielt. Da könne man vieles besser machen, erklärt Brockmann im Gespräch mit t-online.
t-online: Herr Brockmann, viele Blitzer bringen überhaupt nichts. So lässt sich das Ergebnis Ihrer neuen Untersuchung etwas salopp zusammenfassen. Wie kommt das?
Siegfried Brockmann: Das wäre mir jetzt zu salopp. Man muss genau hinschauen. Zum einen geht es um stationäre Blitzer, sogenannte ortsfeste Anlagen. Die sollen nicht irgendwo stehen, sondern an einer konkreten Stelle aufs Tempo der Autofahrer einwirken. Etwa, wenn dort ein Kindergarten, ein Altenheim oder etwas Ähnliches steht – oder wenn dort viele Unfälle geschehen. Im Grunde ist die ortsfeste Tempomessung nur dafür da, um an solchen Punkten das Tempo zu senken. Und dort ist sie extrem wirksam: Unsere Studie zeigt, dass dort die Geschwindigkeitsbegrenzungen eingehalten und die Unfälle reduziert werden.
Und entsprechen die Standorte dem Ideal?
Es könnte besser sein. Wir haben dazu die Kommunen befragt: Nur 40 Prozent von ihnen sagen, die Standorte der Radarfallen hätten etwas mit dem Unfallgeschehen zu tun. Dieses Unfallgeschehen haben wir uns genauer angesehen: Nur an jedem vierten Blitzer-Standort gab es mehr als drei Unfälle in drei Jahren. Daraus folgt: An 75 Prozent der Anlagen knallte es in diesen drei Jahren höchstens dreimal, meist weniger. Und an 40 Prozent der Anlagen hatten wir gar keine Unfälle. Diese ortsfesten Anlagen können gar nicht leisten, wozu sie imstande sind – denn sie stehen einfach an den falschen Stellen.
Nämlich an nicht sehr unfallträchtigen. Aber an besonders einträglichen?
Das heißt es im Umkehrschluss nicht zwangsläufig. Vermutlich ist es nicht so. Denn die Standorte sprechen sich relativ schnell herum, und dann fährt dort kaum mehr jemand zu schnell.
Wie kommt man dann zu diesen falschen Standorten?
Es ist einfach nur schlecht gemacht.
Mobile Messungen sollen Unfälle vermeiden, sagen 90 Prozent der befragten Behörden. Deshalb würden Messstandorte anhand von Unfallzahlen bestimmt, geben 40 Prozent davon an. An drei von vier Messanlagen gab es aber vorher höchstens drei Unfälle in drei Jahren. Und an 40 Prozent von ihnen gar keine.
Feste Blitzer könnten also Sicherheit bringen, tun es aber nicht ausreichend. Wie sieht es mit mobilen Geräten aus?
Diese Geräte haben eine andere Aufgabe, als Unfallschwerpunkte zu entschärfen: Sie sollen Flächendruck erzeugen. Deshalb müssen sie ständig woanders stehen. Unsere Messungen zeigen, dass sehr bald nach dem Abbauen der Anlagen wieder genauso schnell wie vorher gefahren wird. Für den konkreten Standort bringen diese Anlagen also überhaupt nichts. Flächendruck entsteht aber nur, wenn viele Anlagen in Betrieb sind. Lange Zeit war das nicht möglich. Das hat sich nun aber gebessert durch die Messanhänger, die manchmal am Straßenrand zu sehen sind. Man stellt sie einfach für einige Tage ab, danach kommen sie an einen anderen Standort. Damit lässt sich tatsächlich Flächendruck erzeugen.
Trotzdem sind Sie auch hier mit den Standorten unzufrieden.
Für Flächendruck spielt es zwar keine Rolle, wo die Anlage steht – ob an einer breiten, viel befahrenen Straße oder in einer ruhigen Parkstraße. Diese Beliebigkeit ist aber aus meiner Sicht nicht gut. Denn man will ja bei den Autofahrern auch Akzeptanz erzeugen. Durch das Messen an bestimmten Stellen entsteht Verdruss – aber keine Einsicht. Deshalb sehe ich solche Standorte kritisch.
Und wie bringt man Autofahrer auf sinnvollem Weg zur Einsicht?
Man muss nachvollziehbare Standorte wählen. Jeder Autofahrer kennt hingegen die Situation: eine breite Ausfallstraße, kein Haus, keine Schule – nichts. Und genau hier wird manchmal gemessen. Das schadet der Akzeptanz. Autofahrer sollten schon das Gefühl haben, dass man ihnen nicht auflauert – sondern die Sicherheit erhöhen will. Öffentlichkeitsarbeit kann das aufgreifen und über Geschwindigkeit als Ursache verstärkt informieren. Ich bin auch der Meinung, dass solche Bußgelder für die Verkehrssicherheit zur Verfügung stehen sollten. Dann hätten die Unbelehrbaren wenigstens noch ein gutes Werk getan und das Abzocke-Gerede wäre auch weg.
Ohnehin werden Blitzer ja im Radio angesagt und in Apps angezeigt. Was halten Sie als Unfallforscher von diesen Radarwarnungen?
Polizei und Kommunen melden teilweise selbst ihre Aktionen. Das ist dann Teil der Öffentlichkeitsarbeit zum Thema. Dass Apps über stationäre Blitzer informieren, ist aus meiner Sicht sogar gewünscht. Denn diese Blitzer sollen ja an einem konkreten Schwerpunkt zu angemessenem Tempo führen. Mobile Blitzer zu melden, erschwert allerdings den Flächendruck. Es ist schon schwierig genug, diesen Druck mit zu wenigen Anlagen aufzubauen. Wenn die Standorte aber obendrein bekannt sind, dann gibt es keinen Effekt mehr. Das Schlimmste daran: Man muss befürchten, dass genau diejenigen sich diese Apps besorgen, die mit Absicht zu schnell fahren wollen.
Haben Sie so eine App?
Nein, erstens brauche ich die nicht und zweitens wäre die Nutzung auch illegal. Ich habe als Forscher mal eine App ausprobiert, um zu sehen, was die kann. Aber zumindest die kostenfreie Version war nicht sehr effektiv. Sie meldete Blitzer, wo keine standen. Wenn alle Apps so funktionieren sollten, kann ein Unfallforscher natürlich nichts dagegen haben (lacht).
Herr Brockmann, vielen Dank für das Gespräch.