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Regierungskritiker im Koma: Erstmals seit Erkrankung – Deutsche Ärzte dürfen zu Nawalny


Regierungskritiker im Koma
Erstmals seit Erkrankung: Deutsche Ärzte dürfen zu Nawalny

Von dpa, rtr
Aktualisiert am 21.08.2020Lesedauer: 3 Min.
Die Polizei hat ein gefährliches Mittel im Organismus des Regierungskritikers Nawalny entdeckt. In Russland halten Proteste zum mutmaßlichen Giftanschlag weiter an.Vergrößern des Bildes
Die Polizei hat ein gefährliches Mittel im Organismus des Regierungskritikers Nawalny entdeckt. In Russland halten Proteste zum mutmaßlichen Giftanschlag weiter an. (Quelle: ITAR-TASS/imago-images-bilder)

Kreml-Kritiker Alexej Nawalny liegt wegen einer mutmaßlichen Vergiftung im Krankenhaus, er schwebt in Lebensgefahr. Seine Vertrauten sprechen von einem "tödlichen Mittel"

Deutsche Ärzte sind am Freitag erstmals zu dem in Lebensgefahr schwebenden Kreml-Kritiker Alexej Nawalny vorgelassen worden. Nawalnys Unterstützer werteten dies als "positive Entwicklung", sagte sein Stabschef Leonid Wolkow auf einer Pressekonferenz von "Cinema for Peace" in Berlin. Nach Angaben der Organisation halten die deutschen Mediziner Nawalny für transportfähig.

Die Klinik hatte berichtet, Nawalny leide an einer Stoffwechselstörung. Das sei die Haupt-Diagnose für den 44-Jährigen, sagte der ärztliche Klinik-Leiter Alexander Murachowski am Freitag. Ursache für die Stoffwechselerkrankung sei ein niedriger Blutzucker-Wert Nawalnys. Allerdings seien an Kleidung und Finger des Patienten auch Spuren von "industriellen chemischen Substanzen" gefunden worden.

  • Tagesanbruch: Die Schamlosigkeit kann einem die Sprache verschlagen


Nawalny kämpft nach Angaben von Ärzten in dem Krankenhaus um sein Leben. Eine von seinen Anhängern gewünschte Verlegung in ein deutsches Krankenhaus haben die Ärzte in Omsk mit Verweis darauf abgelehnt, dass Nawalny nicht transportfähig sei. Sein Zustand sei noch nicht stabil genug, sagte Murachowski vor Journalisten. "Ich kann noch keine Prognosen abgeben."

Doch keine Vergiftung? Widersprüchliche Aussagen

Die Polizei habe den Ärzten zu Beginn mitgeteilt, dass sie einen gefährlichen Stoff gefunden hätten, sagte der Chef von Nawalnys Anti-Korruption-Fonds, Iwan Schdanow. Das Gift sei demnach nicht nur gefährlich für den 44-Jährigen selbst, sondern auch für die Umgebung, weshalb das Tragen von Schutzanzügen angewiesen worden sei. Um welchen Stoff es sich handeln könnte, blieb aber zunächst offen.

Der Vize-Chefarzt Anatoli Kalinitschenko widersprach dieser Darstellung gegenüber der Agentur Interfax. Im Blut und im Urin seien weder Gift noch Spuren davon nachgewiesen worden. "Wir gehen nicht davon aus, dass der Patient eine Vergiftung erlitten hat."

Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch war bereits nach der plötzlichen Erkrankung am Donnerstag überzeugt, dass der Oppositionelle "absichtlich vergiftet wurde". Nawalny wollte nach einer politischen Reise in Sibirien zurück nach Moskau fliegen. Am Flughafen in Tomsk habe er noch einen Tee getrunken, sagte sie. Während des Flugs habe er sich unwohl gefühlt und noch an Bord das Bewusstsein verloren. Das Flugzeug landete außerplanmäßig in Omsk.

Vorwurf: Ärzte "spielen auf Zeit"

Nach Angaben des Chefarztes hat sich Nawalnys Gesundheitszustand über Nacht "etwas verbessert". Er sei aber noch immer nicht bei Bewusstsein. Spezialisten aus Moskau hätten geprüft, ob er für die Verlegung in eine andere Klinik transportfähig sei. Jarmysch warf den Ärzten vor, auf Zeit zu spielen – "bis das Gift in seinem Körper nicht mehr nachgewiesen werden kann". Jede weitere Stunde ohne eine Verlegung sei eine Gefahr für Nawalnys Leben.

Ein Spezialflugzeug des Typs CL60, das ihn von Omsk nach Berlin zur Charité bringen soll, war um 3.13 Uhr am Freitagmorgen in Nürnberg gestartet, wie t-online.de öffentlichen Flugdaten entnahm. Das Betreiberunternehmen FAI bestätigte die Informationen auf Anfrage von t-online.de. Es sind rund 4.000 Kilometer Entfernung zwischen beiden Orten. Demnach befand sich auch ein Team von Medizinern an Bord der Maschine.

Bereits vor zwei Jahren war der Aktivist Pjotr Wersilow, Mitglied der russischen Polit-Punk-Gruppe Pussy Riot, aus Moskau zur Behandlung nach Berlin geholt worden. Wersilow verdächtigte den russischen Geheimdienst, ihn vergiftet zu haben. Pussy Riot ist mit Aktionen gegen Justizwillkür und Korruption international bekannt.

Merkel bot Behandlung in Deutschland an

Noch am Donnerstag hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel angeboten, dass Nawalny in deutschen Krankenhäusern behandelt werden könnte. Auch der Kreml sicherte Unterstützung bei der Genehmigung eines Fluges zu. Sprecherin Jarmysch rief die internationale Gemeinschaft zum Handeln auf, um den Transport zu erzwingen.

Chefarzt Murachowski sagte der Agentur Interfax zufolge auf die Frage von Journalisten, ob die russischen Mediziner ihre Kollegen in der Berliner Charité konsultieren werden: Er halte seine Kollegen für nicht weniger qualifiziert als die in Deutschland. Die Berichte über Nawalnys Erkrankungen seien sehr beunruhigend und besorgniserregend, sagte eine Sprecherin des UN-Büros für Menschenrechte in Genf. Es sei sehr wichtig, dass Nawalny alle nötige Pflege erhalte. "Wir hoffen, dass er sich schnell erholen kann", sagte die Sprecherin.

Nawalny gilt als Staatsfeind Nummer eins

Nawalny hatte sich in Sibirien aufgehalten, um die Regionalwahlen im September vorzubereiten. Er warb dort für seine Strategie einer so bezeichneten "klugen Abstimmung", die darauf gerichtet ist, jede beliebige Partei zu wählen – nur nicht die Kremlpartei Geeintes Russland. Er will damit deren Dominanz in Russland brechen. Nawalny gilt innenpolitisch als Staatsfeind Nummer eins des Kreml.

Er ist der führende Kopf der liberalen Opposition. Der studierte Jurist wirft der Regierung und Oligarchen regelmäßig Korruption und Machtmissbrauch vor. Auf den prominenten Kämpfer gegen Korruption hatte es in der Vergangenheit mehrfach Anschläge gegeben.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagentur dpa und Reuters
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