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Bremer "Tatort" im Faktencheck: Wer hält sich heute noch für einen Vampir?


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Der "Tatort"-Faktencheck
Wer hält sich heute noch für einen Vampir?

Von Barbara Schaefer

Aktualisiert am 29.10.2018Lesedauer: 4 Min.
Im Dunkeln: Nora Harding (Lilith Stangenberg) und ihr Vater Wolf (Cornelius Obonya) gehen selten raus. Denn Blut ist ein besondrer Saft – und dicker als Wasser.Vergrößern des Bildes
Im Dunkeln: Nora Harding (Lilith Stangenberg) und ihr Vater Wolf (Cornelius Obonya) gehen selten raus. Denn Blut ist ein besondrer Saft – und dicker als Wasser. (Quelle: Radio Bremen/Christine Schröder)
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Drei junge Frauen schauen Gruselfilme und mokieren sich darüber, wie schlecht die seien. Aber kurze Zeit später sind zwei der drei Frauen tot und Stedefreund wird am Hals verwundet. Aber wer glaubt ernsthaft an Vampire?

Eine junge Frau hat Sturm, so heißt das heute, wenn die Eltern nicht zuhause sind. Sie lädt Freundinnen in die schicke Erdgeschosswohnung ein, man schaut Gruselfilme, eine Balkontüre steht offen, und weit nach Mitternacht treten zwei junge Frauen einzeln den Heimweg an. Natürlich durch Unterführungen und einen Park. Wie sonst.

Als wäre das nicht gruselig genug, kommt es zu einem grässlichen Mord: Eine Frau liegt am Boden, eine andere saugt ihr den Hals aus, eine dritte wird Zeugin. Wer jetzt noch nicht weggezappt hat, muss Gruselfan sein. Dieser Bremer "Tatort" ist nichts für Zartbesaitete (Buch: Philip Koch und Holger Joos), es wird weiter unappetitlich und eklig bis zur Menschenblutkonserve in der Mikrowelle, immerhin läuft er ja auch kurz vor Halloween.

Die Bremer Hauptkommissare Inga Lürsen (patent: Sabine Postel) und Stedefreund (verstört: Oliver Mommsen), die einen angenehm freundlichen Umgangston pflegen, müssen sich also allen Ernstes mit Vampirismus befassen. Stedefreund mehr, als ihm lieb ist. Bei einer Verfolgungsjagd beißt die Täterin ihm in den Hals. Beängstigend am weiteren Verlauf ist, wie sehr Stedefreund sich irritieren lässt und beinahe den Verstand verliert. Sind es Träume, ist es Fieberwahn, was ist real? Stedefreund hat Fieber. Hohes Fieber. Da träumt man schon mal Mist. Doch auch die Zuschauer werden mit viel Blut, flackerndem Neonlicht und Traumgesichten an der Nase herumgeführt.

Das Ende ist – natürlich – ein realistisches. Die Mörderin stirbt an Genickbruch und Kollegin Lürsen beruhigt Stedefreund mit den Worten, daran stürben Vampire nicht. Was Stedefreund nicht weiter hilft. Hat er noch Fieber? Warum sieht er die Tote weiter so lebendig? Rätsel über Rätsel, vor allem aber bleibt die Frage: Wer glaubt wirklich an Vampire? t-online.de macht den Faktencheck.

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Der Faktencheck

Fragen an Rainer Maria Köppl, Vampirismusexperte, Professor am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaften der Universität Wien

t-online.de: Herr Köppl, wie kam es dazu, dass Sie sich für Vampire interessieren?

Rainer Maria Köppl: Mein Zugang war ursprünglich streng wissenschaftlich soziologisch-statistisch: Ich wollte herausfinden, warum so viele Menschen sich seit so vielen Jahrhunderten für Vampire interessieren oder gar begeistern. Dracula gehört als Best- und Longseller zu den wichtigsten Filmfiguren überhaupt. Wenn sich ein Produkt so gut verkauft, dann kann man daraus auf eine Sehnsucht des Publikums, ein Bedürfnis schließen. Außerdem hat mich der Vampir persönlich interessiert, weil er ungehorsam ist. Alle müssen sterben und sind tot, - heißt es - nur der Vampir ist untot und damit antiautoritär.

Nosferatu, Dracula, Twilight: Woher kommt diese Lust am Grusel, am Vampirbuch und -film?

Sigmund Freud meint, dass wir in der Literatur, im Theater und - man kann ergänzen - im Film, Fernsehen, auf Facebook, Youtube usw. - unseren unterdrückten Trieben ungestraft freien Lauf lassen können. Freud spricht von Identifikation und - das ist ein besonders treffender Begriff - Austoben. Wir können für ein paar Stunden Vampir sein oder es mit einem Vampir, einer Vampirin treiben. Am Ende wechseln wir blitzschnell die Identifikationsfigur und versetzen uns in den Vampirjäger, der gleichsam von Rechts wegen den Vampir blutig pfählen darf. So können wir sowohl Ängste als auch Sehnsüchte ausleben, wieder in den Worten von Freud: Es geht bei Vampiren immer um Eros (Lust, Liebe) und Thanatos (Destruktion, Tod) zugleich. Das ist das Erfolgsgeheimnis.

Hatte das früher andere Gründe als heute?

Auf jeden Fall. Früher war der Vampir vor allem eine Zombie-artige Angstfigur. Da beinahe jede Religion den Menschen versprach, es gebe ein Leben nach dem Tod, lag immer schon der Gedanke nahe, dass der Weg ins Jenseits keine Einbahnstraße sein muss. Wer hinüber geht, so fürchtete man, könnte vielleicht auch wieder herüber kommen und sich z.B. an den Lebenden rächen. Der alte Vampir kann als eine Art Inkarnation des schlechten Gewissens gesehen werden.

Und der moderne Vampir?

Der ist eher eine Lustfigur: er/sie nimmt sich Freiheiten heraus, kümmert sich nicht um Vorschriften. Spätestens seit Twilight erscheint der Vampir als der bessere Mensch, als romantisch verklärtes Objekt der Sehnsucht. Dazu ist ein Aspekt besonders hervorzuheben: Liebesgeschichten funktionieren nur dann wirklich gut, wenn zwischen den Liebenden ein unüberwindbares Hindernis steht. Denken wir an Romeo und Julia. Heutzutage sind jedoch Klassenschranken, religiöse Vorurteile, etc. - zumindest im politisch korrekten Kino - gefallen. Aber einen Vampir oder eine Vampirin heiraten wollen, das geht noch immer zu weit.

Gibt es heute noch Menschen, die ernsthaft an Vampire glauben?

Wenn man auf diese Frage antwortet, läuft man Gefahr, Menschen zu beleidigen oder gar mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen. Ich formuliere daher sehr vorsichtig: Ja, es gibt zweifellos auch heute Menschen, die ernsthaft an Vampire glauben. Der Glaube an Vampire ist – vorurteilsfrei betrachtet – nicht absurder als der Glaube an Wunder, an das Ewige Leben, an Ostern, die Auferstehung, das Jüngste Gericht. Wer an einen allmächtigen Gott glaubt, der muss diesem Gott auch zugestehen, Vampire schaffen zu können, - wer an den Teufel glaubt, erst recht.

Und gibt es Menschen, die glauben, Sie seien Vampire?

Ja, ich treffe immer wieder Menschen, die angeben, sie seinen Vampire, hätten in früheren Jahrhunderten gelebt, etc. Viele davon behaupten, Blut sei ihr Lieblingsgetränk. Diese Menschen werden "Sanguiniker" genannt, der Begriff leitet sich vom lateinischen "sanguis" ab, was Blut bedeutet. In Nachtbars bestellen die Sanguiniker Bloody Mary.

In der "Tatort"-Folge kommt es zu grausamen Morden, weil eine junge Frau glaubt, sie sei ein Vampir. Kam es je zu solchen Fällen?

In der Kriminalgeschichte kommt es immer wieder zu den abseitigsten Verhaltensweisen: Vampirismus, Kannibalismus, Nekrophilie. Um abschließend noch einmal einen Begriff von Sigmund Freud zu verwenden: Nichts und Niemand ist UNHEIMLICHER als der Mensch. Es ist unheimlich, dass wir nicht in die Köpfe unserer Mitmenschen hineinschauen können, es wäre aber wohl noch unheimlicher, wenn wir (oder die Medizin, der Staat) das könnten.

Verwendete Quellen
  • "Tatort" vom 28. Oktober 2018
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