Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Der "Tatort" aus dem Norden Eine Tat, die Fragen aufwirft, die uns alle angehen
Grosz und Falke sind dieses Mal einer rechtspopulistischen Politikerin als Personenschützer zugeteilt, die diversen Morddrohungen ausgesetzt ist. Schließlich trifft ein Anschlag ihren Mann – eine Tat, die Fragen aufwirft, die uns alle angehen.
Selten war ein "Tatort" so hochaktuell und brisant wie der neue Fall des Bundespolizei-Duos Grosz (Franziska Weisz) und Falke (Wotan Wilke Möhring). In "Dunkle Zeit" müssen die beiden ungleichen Beamten als Bodyguards für die rechtspopulistische Politikerin Nina Schramm (hervorragend gegen ihr Rollenbild besetzt Anja Kling) herhalten.
Obwohl die Polizisten dem daraus resultierenden Arbeitsumfeld diametral gegenüberstehen, müssen Grosz und Falke als Diener des Staates ihren Einsatzbefehlen gehorchen. Was Grosz mit Bravour meistert, indem sie der rechten Logik mit kühler Professionalität begegnet, lässt ihren Kollegen Falke dagegen unbeholfen durch platte Attitüden samt Eva Braun- und Joseph Goebbels-Vergleiche stolpern.
Der Mord am Ehemann der Politikerin (Udo Schenk) erhöht den Druck. Kommen die Täter aus dem Umfeld des "linken Mobs" oder gibt es gar Kräfte im rechten Spektrum, die von Schramms Ableben profitieren?
Die beiden Kommissare stehen dabei als Paradebeispiel für eine Gesellschaft, durch die sich seit einigen Jahren ein immer tiefer werdender Graben zieht. Wachsende Kriminalität, Unterbesetzung der Polizei und das zum Weltuntergangsszenario hochstilisierte Zuwanderungsproblem. Jeder hat seine Meinung dazu.
Die einen werden als naive und weltfremde Gutmenschen abgewatscht, den anderen wird das Wiedererstarken und Herbeisehnen des braunen Monsters vorgehalten. Was dabei alle zu einen scheint, ist die Angst – Angst vor einer ungewissen Zukunft, bei deren Mitgestaltung sich jeder außen vor sieht.
Wir ersticken an unseren Vorurteilen
Regisseur und Autor Niki Stein schafft es im Sonntagabendkrimi, die Spitzenkandidatin der fiktiven "Neuen Patrioten" Nina Schramm nicht nur als bösen und giftsprühenden Dämon darzustellen. Ihre Beweggründe scheinen anfänglich gar einer aufrechten Sorge um ihr Land und um ihre Mitmenschen entsprungen zu sein. Doch einige der unzähligen Abfahrten, Umwege und karrieretechnischen Entscheidungen waren zu viel.
Schramms Pfad ist nur noch von Furcht geprägt. Fakten werden verdreht und Ursachen ignoriert. Es geht nicht mehr um die Heimat, es geht nur noch um die Macht. Hier steht sie nun symptomatisch für viele Politiker der realen Welt, von denen nicht wenige die Regierungen bilden.
Die sogenannten etablierten Parteien scheinen auf die dringenden Fragen unserer Zeit keine gültigen Antworten mehr zu haben. Sinnfrei wird da in jede Kamera und auf jedem Parteitag in die Luft palavert. Ansichten und Pläne aus einem Wertesystem, auf dem jahrzehntealter Staub liegt, werden als Novum angepriesen. Dem gegenüberstehen extreme Strömungen, seien sie nun politisch oder religiös motiviert, die abgesehen vom Heraufbeschwören des kulturellen oder gesellschaftlichen Kollapses auch keine passenden Antworten bieten. Das Dilemma einer Welt, die an Falschinformationen und Vorurteilen erstickt.
Verzweifelte Ohnmacht wird zur blinden Wut
Die aus diesen realen Sorgen stetig wachsende Ohnmacht schleicht sich in die Gehirne der Menschen und verwandelt sich allzu oft in blinde Wut. Wut auf "die da oben". Wut auf alles Fremde. Wut auf was auch immer. Im "Tatort: Dunkle Zeit" sind es letzten Endes die Rechtspopulisten selbst, die sich zerlegen und den Mann ihrer Galionsfigur Nina Schramm ermordeten, weil dieser über zwielichtige Geschäftspraktiken seiner Partei plaudern wollte. Auf den ersten Blick mag einem dieses Selbstzerfleischen akzeptabel vorkommen, doch auf lange Sicht birgt dieser Umstand ungeahnte Konsequenzen.
Denn das Karussell dreht sich weiter. Eine zu lange ignorierte oder schöngeredete Gefahr kann eines Tages die ganze Gesellschaft mit in ihren Abgrund reißen. Und treffen wird dieses Schicksal dann jeden, egal ob reich, arm, religiös, fanatisch, freidenkend oder weltfremd.
Die Geschichte hatte noch nie Mitleid mit Ignoranten. Wer eine bessere Welt will, der muss, auch wenn es schwer ist, anfangen mitzugestalten. Und wer eine gute und gerechte Gesellschaft haben möchte, der muss einsehen, dass diese für alle gut und gerecht sein muss. Und wenn sie für alle gerecht sein soll, dann geht das nur miteinander. Jeder andere Weg ist über kurz oder lang zum Scheitern verurteilt.
Kommissar Thorsten Falke blickt am Ende von "Dunkle Zeit" paralysiert auf seinen Fernseher, als die "Neuen Patrioten" in einem Pressestatement der Polizei für ihre hervorragende Arbeit bei der Aufklärung des Mordes an einem ihrer Mitglieder danken. Er scheint nach einer Antwort nach dem "wie sollen wir das schaffen" zu suchen und wir alle sollten es ihm gleichtun. Denn eine Antwort muss es geben, bevor alles total aus dem Ruder läuft.