Besser als befürchtet RTL-"Winnetou" ist kein Fall für den Marterpfahl
Es ist nicht ohne Risiko, was RTL da in Angriff genommen hat. Der Sender, sonst bekannt für schrille Castingshows oder Doku-Soaps, hat die "Winnetou"-Trilogie für das Weihnachtsprogramm neu verfilmt. Doch wer befürchtet, eine Art "Alarm für Cobra 11" in der Prärie serviert zu bekommen, wird eines besseren belehrt. Statt eines Krawallspektakels wird gediegene Familienunterhaltung geboten.
Drei Abende lang (25., 27. und 29. Dezember jeweils um 20.15 Uhr) kann man Winnetou und Old Shatterhand beim Kampf gegen das Böse und die Ungerechtigkeiten im Wilden Westen zuschauen. Behutsam und mit Respekt nähert sich die RTL-Adaption den legendären Vorlagen aus den Karl-May-Romanen und -Verfilmungen. Von Anfang an stellte man klar - hier handelt es sich um eine moderne Neuinterpretation des Klassikers.
Und die ist durchaus gelungen. Auch wenn die Story weder der des Romans, noch der des Films von 1963 entspricht. In epischen Einstellungen schwelgt die Kamera in der Landschaft, während die altbekannte "Winnetou"-Melodie in einem leicht geändertem Arrangement erklingt. Gedreht wurde größtenteils an jenen Schauplätzen in Kroatien, wo vor mehr als 50 Jahren die Original-"Winnetou"-Filme entstanden.
Böse Bahnarbeiter
So schlicht und einfach die Rollenverteilung - so gut und gelungen ist die Besetzung: Die grobschlächtigen Bahnarbeiter um den gewalttätigen Vorarbeiter Rattler (Jürgen Vogel) sind von Anfang an so unsympathisch inszeniert, dass ihnen sofort das Stigma des unrechtmäßigen Eindringlings anhängt. Dabei sind die Rollen von Rattler und seinem fiesen Kompagnon Ugly Joe (Oliver Masucci) nah an der Überzeichnung: Zwei Kautaback schmatzende Revolverhelden, wie man sie aus klassischen Italo-Western kennt - brutal, hinterhältig, ehrlos.
Dass sie dann auch noch ein Maschinengewehr zur Indianerbekämpfung einsetzen, ist aber neben dem Begriff "Rothaut-Nigger" zum Glück die einzige überflüssige Erfindung des Films. Zwar gab es die von den Bahnarbeitern benutzte Waffe zur damaligen Zeit schon. Doch stand diese nur den Garnisonen der Armee zur Verfügung.
Edel sei der Wilde
Die Apachen um Häuptling Intschu tschuna (Gojko Mitic) dagegen werden als edle Wilde dargestellt. Sie sprechen im Film eine eigene Sprache, pflegen ihre Riten und Bräuche, leben mit der Natur im Einklang und sehen ihre Welt durch das Eindringen der Weißen bedroht.
Selbst die Nebenrollen überzeugen mit viel Authentizität und Liebe zum Detail. Da ist die Hure Belle (Henny Reents), die von ihrem verdienten Geld in der Bahnarbeitersiedlung ein Geschäft eröffnen will. Oder die Frau des Bauleiters Bancroft, die sich ihre Träume von einem schicken Leben in New York schön säuft. Und natürlich Sam Hawkins (Milan Peschel) - wenn ich mich nicht irre - der seinem Vorbild aus den Originalfilmen am nächsten kommt.
Wie aus Karl May Old Shatterhand wird
Die Geschichte des ersten RTL-"Winnetou"-Teils mit dem Untertitel "Eine neue Welt" erzählt die Ankunft des deutschen Ingenieurs und Landvermessers Karl May (Wotan Wilke Möhring) in Amerika. Doch schnell wird der Auswanderer mit dem großen Traum von einer besseren und fortschrittlicheren Welt beim Bau der Eisenbahn von der Realität eingeholt. Aus dem Sachsen Karl May wird der Indianerfreund Old Shatterhand. Eine Wandlung, die TV-Star Möhring - vielleicht einen Tick zu rot im Gesicht - überzeugend spielt.
Von einem Indianerpfeil verwundet lernt er erst die Schamanin Nscho-tschi (Iazua Larios) kennen, die ihn gesund pflegt. Dann trift er auf den Häuptlingssohn Winnetou (Nik Xhelilaj), der den Tod des Bleichgesichts fordert. Als die Verhandlungen über den Verlauf der Eisenbahntrasse um das Apachengebiet herum mit einem Eklat enden, stellt Old Shatterhand sich auf die Seite der Einheimischen. Gemeinsam schmieden sie einen Racheplan.
Ein langer Ritt
Wenn man der RTL-Version des Karl-May-Klassikers einen Vorwurf machen kann, dann den, dass "Winnetou - Eine neue Welt" hier und da etwas langatmig geraten ist. Mit einer Stunde und 50 Minuten ist er zwar nur zehn Minuten länger als sein Vorbild. Doch in manchen Szenen wünscht man sich, mit etwas mehr Tempo auf den Punkt zu kommen. Bedenkt man, dass der Sender sein Werk an Weihnachten zur besten Sendezeit mit ordentlich Werbung vollballern wird, hat man pro "Winnetou"-Film bestimmt zweieinhalb Stunden Sendezeit vor der Brust.
Teil zwei und drei der Trilogie mit den Titeln "Winnetou - Das Geheimnis vom Silbersee" und "Winnetou - Der letzte Kampf" laufen am 27. und 29. Dezember um 20.15 Uhr.