Kieler "Tatort" war spitze Borowski kämpfte gegen gewissenlose IS-Rekrutierer
Eine brandaktuelle Story, eine grandiose Hauptdarstellerin, kinoreife Bilder und ein cooler Jürgen Prochnow als Gaststar machten den "Tatort: Borowski und das verlorene Mädchen" zum Highlight dieses Sonntagabends.
"Ich werde dahin gehen, wo alles anders ist. Euer Leben ist nicht mein Leben. Will nicht mehr die sein, die ich bin. Ich will einen Gott finden, der meine Wunden heilt." Mit diesen Worten verabschiedet sich Julia Heidhäuser - herausragend gespielt von Mala Emde ("Meine Tochter Anne Frank") - von ihrer Familie.
Nach dem Tod des Vaters ist die junge Frau in den islamischen Extremismus abgerutscht. Was dieser "Tatort" sehr anschaulich darstellt: Sie ist eine "verlorene Seele", hätte auch genauso gut rechtsradikal oder drogenabhängig werden können.
Hä? Wer war nochmal die Mörderin?
Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) untersuchen den Mord an der 17-jährigen Schülerin Maria. Julia gehört zu den Verdächtigen. Leider wirkt die Aufklärung des Falles am Ende völlig hanebüchen. Die einzige Schwachstelle dieses "Tatorts". Ausgerechnet Marias beste Freundin hat sie "im Affekt" überfahren, weil sie zuvor von ihr immer so schlecht behandelt worden war. Eine unvorhergesehene Wendung, auf die man getrost hätte verzichten können.
Kinoreife Bilder und Darsteller
Ansonsten hatte dieser Borowski jedoch Kino-Qualität: Das kongeniale Team Raymond Ley (Regie, "Oh Boy") und Philipp Kirsamer (Kamera, "Oh Boy") zauberte atemberaubende Bilder. Auch die Hauptdarstellerin Mala Emde spielte ihre Rolle bemerkenswert intensiv. Und das, obwohl sie erst 20 Jahre jung ist und noch am Anfang ihrer Ausbildung zur Schauspielerin steht.
Erschütternd realitätsnah
Darüber hinaus zeigten die Kieler, dass sie schwierige Stoffe gekonnt in ein spannendes Krimi-Gewand hüllen können. Das gezeigte Schicksal der verlorenen jungen Frau ist heute erschütternde Realität: Laut Info des "Norddeutschen Rundfunks" sind 2016 viele Jugendliche als "religiöse Touristen" unterwegs. Bis Anfang September reisten 850 deutsche Islamisten nach Syrien aus, ein Drittel davon waren junge Frauen.
Fazit: Dieser Borowski-"Tatort" war top - auch wenn das Mordmotiv am Ende total absurd war. Das wahre Highlight dieses Krimis war die Story in der Story: Die Geschichte von Julia, die einsam und orientierungslos um ihren toten Vater und das Auseinanderbrechen ihrer Familie trauert und deshalb ein leicht verführbares Opfer für IS-Rekruten ist. Sie soll das Liebchen eines Dschihad-Kämpfers werden, den sie nur vom Skypen her kennt. Vor allem Julias innere Monologe machen deutlich, was vielen jungen Menschen heute fehlt: "Alles ist zu haben, und nichts ist von Wert. Es gibt zu essen, aber keine Nahrung. Es gibt Wohnungen, aber kein Zuhause. Es gibt viele Götzen, aber keinen Gott."
Durchschnittliche Einschaltquoten
Für "Borowski und das verlorene Mädchen" entschieden sich am Sonntagabend 8,43 Millionen Zuschauer (22,6 Prozent Marktanteil). Zweitbeste Sendung um 20.15 Uhr wurde der ZDF-Film "Wenn es Liebe ist" mit Jutta Speidel (4,47 Millionen/12,0 Prozent), gefolgt von der Sat.1-Castingshow "The Voice of Germany" (4,19 Millionen/11,8 Prozent). In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen landete die Castingshow mit 2,45 Millionen Zuschauern allerdings nur ganz knapp hinter der ARD-Krimiserie (2,5 Millionen).