"Tatort" mit der Kölner Version von Bonnie und Clyde Wenn das "Kartenhaus" zusammenfällt: Der Mörder als tragische Figur
"Sie lügt. Er träumt. Eine gefährliche Mischung." Treffender hätten es die Kölner "Tatort"-Kommissare Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Schenk (Dietmar Bär) nicht ausdrücken können. In ihrem Fall "Kartenhaus" drehte sich alles um das ungleiche Bonnie-und-Clyde-Pärchen Laura und Adrian. Die beiden machten den Fall, der mehr Sozialdrama als Krimi war, erst richtig packend und sehenswert.
Der Einstieg in den "Tatort" beeindruckte mit seiner Intensität: Adrian Tarrachs (Rick Okon) Mord an Lauras (Ruby O. Fee) Stiefvater Klaus Hartmann (Thomas Bastkowski) holte den Zuschauer qualvoll nah an die Tat heran. Regisseur Sebastian Ko inszenierte Klaus‘ Überlebenskampf in der Küche zu den Klängen einer tragischen Opern-Arie, während Tochter Laura gleichzeitig in ihrem Zimmer vergnügt tanzend zu "When The Rain Begins To Fall" ihre Kleider zusammenpackte. Eine kurze, blutige Szene, die nachwirkte.
Im Anschluss daran befanden sich Adrian und die (noch) ahnungslose Laura auf der Flucht, während Ballauf und Schenk sich auf die Suche nach den beiden und nach dem Motiv begaben. Und genau das sollte im Lauf des Falls wie das titelgebende "Kartenhaus" in sich zusammenfallen.
Das Highlight: Adrian und Laura
Denn Adrian und Laura, die Kölner Version von Bonnie und Clyde beziehungsweise Mickey und Mallory Knox (aus "Natural Born Killers"), entpuppten sich als tragische Gestalten. Er - der blind Verliebte aus der Sozialbausiedlung, der für Laura zum Mörder wurde. Sie - die laszive, egoistische und notorisch lügende reiche Göre, die das Drama erst ins Rollen brachte und am Ende durch eigenes Verschulden ohne Vater und ohne Freund dastand.
Adrian hatte keine Sekunde an Lauras Behauptung gezweifelt, ihr Stiefvater hätte sie vergewaltigt, schließlich kannte er Misshandlungen aus seiner eigenen Familie nur zu gut. In seinem Versuch, Laura zu retten und mit ihr ein neues Leben zu beginnen, verstrickte sich der Getriebene immer tiefer in kriminelle Handlungen, beging sogar einen weiteren Mord. Erst als Laura im Showdown auf dem Hochhausdach mit der Wahrheit herausrückte, stürzte Adrians Kartenhaus endgültig in sich zusammen - mit fatalen Folgen.
Weitere Stärken
Regisseur Ko und Drehbuchautor Jürgen Werner gelang es darüber hinaus hervorragend, die Trostlosigkeit und Perspektivlosigkeit von Adrians Heimat, der Sozialbausiedlung, einzufangen. Die Bilder, Kamerafahrten und die clever eingesetzte musikalische Untermalung unterstützten eindringlich die düstere Stimmung des "Tatorts".
Schön auch der Einsatz zweier Nebenfiguren: Ballaufs und Schenks Assistent Tobias (Patrick Abozen) durfte diesmal mehr zeigen als seine Recherche-Fähigkeiten - was ihn im Außeneinsatz sogleich in Lebensgefahr brachte. Auch Bettina Stucky lieferte als Adrians pflegebedürftige Mutter Pia eine überzeugende Darstellung ab.
Die Schwächen
Nichtsdestrotrotz fielen die Rollen der Mütter im Vergleich ab: Pia sowie Lauras Mutter Carmen (Julika Jenkins) waren doch arg klischeehaft und oberflächlich angelegt. Zudem blieb der "Tatort" eine Erklärung schuldig, warum Laura letztlich zur notorischen Lügnerin wurde. Ihre Mitschüler hielten sie schlicht für "durchgeknallt", der Zuschauer durfte Egoismus, Langeweile und Wohlstandsverwahrlosung vermuten, aber tiefergehende Begründungen waren nicht drin.
Weil es in diesem "Tatort" nicht klassisch darum ging, den Mörder zu ermitteln, sondern vielmehr ihm hinterherzuhetzen, hatten Ballauf und Schenk auch einen geringeren Anteil an der Handlung und waren immer einen Schritt hintendran. Für ein paar trockene Bemerkungen und ein, zwei humorvollere Szenen reichte es aber.
Das Fazit
Dass Adrians und Lauras Flucht ein tragisches Ende nehmen würde, war früh absehbar. Trotzdem - oder gerade deshalb - überzeugte "Kartenhaus" als mitreißender, atmosphärisch dichter und ergreifender "Tatort".