Tatort Blutiger "Tatort" zerrte an den Nerven von Zuschauern und TV-Ermittlern
Tiefe Schnittwunden. Diffuse Aufnahmen von einem Menschen, komplett eingewickelt in Frischhaltefolie. Das überlaute Geräusch eines Messers, wenn es wiederholt in Fleisch sticht. Mit brutalen Bildern verstörte am Sonntag die Frankfurter "Tatort" -Folge "Es ist böse", die sich Niveau-technisch durchaus mit ausgezeichneten skandinavischen oder britischen Polizeifilmen messen lassen konnte.
Mit den Worten "Es ist böse" empfängt Frank Steier (Joachim Król) Kollegin Conny Mey (Nina Kunzendorf) am Tatort eines Mordes in der Frankfurter Innenstadt. Das Mordopfer ist eine Prostituierte, die neben Unmengen an Stichverletzungen einen tiefen Kehlkopfschnitt aufweist, der ihr jedoch erst postmortal zugefügt worden ist. Sie ist nur die erste Tote in einer Serie blutig zerstückelter Huren-Morde, deren bestialische Ausmaße die hessischen Kommissare an den Rand ihrer Belastbarkeit treiben.
Conny Mey zeigt Nerven
Vor allem Conny Mey geht der Fall mehr und mehr an die Nieren. In Zusammenarbeit mit dem von ihr wenig geliebten Kommissar Seidel (Peter Kurth) tritt sie an die vorderste Ermittlungsfront ("Ich hab' vor nichts Angst!"), während Partner Steier sich lieber im Hintergrund mit dem Profil des Mörders beschäftigt. Mey reagiert im Verlauf der Ermittlungen immer unbeherrschter, leidet bald unter einem Tinnitus und wird schließlich von ihrem Chef in den Bereitschaftsdienst zwangsversetzt. Das Gemüt soll gekühlt werden, die Nerven beruhigt.
Den Täter halten die Kommissare schließlich schon in Händen und müssen ihn aus Mangel an Beweisen dennoch laufen lassen. Als sie ihn schließlich in einer Psychiatrie wieder treffen, sehen sie sich mit einem geistig schwer kranken Mann konfrontiert, der aufgrund von Schuldunfähigkeit wohl nie wirklich belangt werden kann. Dieser Umstand und das überwältigend eindringliche Schauspiel von Marc Bischoff lassen alle Beteiligten, Darsteller wie Zuschauer, hart schlucken und seltsam verunsichert aus diesem Krimi herausgehen.
Verstörend und schockierend
Ganz klar: Ein gemütlicher Sonntagabendkrimi war "Es ist böse" nicht. Es gelang Drehbuchautor Lars Kraume und Regisseur Stefan Kornatz, den Spannungsbogen nahezu ohne Unterbrechung die kompletten 90 Krimi-Minuten hoch zu halten. Kraume, der bereits zum dritten Mal in Folge die Story für einen Fall des Frankfurter Ermittlerduos beisteuerte, mutete es dem Zuschauer zu, sich am Schluss des Filmes so zu fühlen wie die von Nina Kunzendorf sehr überzeugend gespielte, arg gebeutelte Mey: Atemlos und erschöpft harrte man der Dinge aus, die da auf einen einprasselten. Diese Dinge waren blutig, gnadenlos, am Rande des Ertragbaren. Die Auflösung am Schluss führte zu keiner Beruhigung.
Ungeschönte Inszenierung von Gewalt
Gewalt wurde in diesem Tatort nicht nur angedeutet. Sie wurde in kalten, grell ausgeleuchteten Bildern immer wieder gezeigt. Blutspritzer auf hellen Möbeln, entstellte Leichen mit verdrehten Augen, hilflose Opfer. Immer wieder schockartiges Aufblitzen der furchtbaren Bilder, so dass man sich einer permanenten Konfrontation mit "dem Bösen" ausgesetzt sah. Der im Vorspann eingeblendete Hinweis "Nach einer wahren Begebenheit" verhalf der Story zusätzlich zu einem hohen Maß an Glaubwürdigkeit.
Zu zwischenzeitlichen Entspannung von Blick und verkrampftem Magen streuten Kraume und Kornatz viele vermeintlich ruhige Straßentotalen ein. Die anonyme Großstadt mit ihren grauen Straßenschluchten und gigantischen Häuserfassaden: Was passiert da wirklich hinter den dunklen Fenstern? Ein mörderischer Schlund, der Täter wie Opfer gleichsam verschlang. Die eingestreuten, mitunter sehr zarten musikalischen Töne führten zu einer trügerischen Leichtigkeit, die die nach harten Schnitten herein prasselnden Bilder eines erneuten Tatorts nur umso brutaler erscheinen ließen.
Schnoddrigleit und Gossencharme
Die in den ersten beiden Fällen oft proletenhaft auftretende Figur der Conny Mey wurde dieses Mal weniger aufreizend und billig inszeniert - das Milieu gab schon ausreichend Schnoddrigkeit und Gossencharme her. Auch die üblichen, mitunter fiesen Sticheleien zwischen Mey und Steier blieben im Angesicht des nervenzermürbenden Falls aus - viel mehr nahm der Hauptkommissar seine Kollegin ein ums andere Mal offensiv in Schutz, so dass trotz der konsequent geführten, förmlichen "Sie"-Anrede zwischen den beiden erstmals ein Hauch von Zuneigung zu spüren war.
Fazit: "Es ist böse" war böse. Und das war gut. Mit ihrer konsequenten Inszenierung, die nichts beschönigte, riskierten Kornatz und Kraume mitunter den Verlust des ein oder anderen zart besaiteten Zuschauers, eröffneten jedoch in Sachen innovativer Bildsprache und glaubwürdiger Figurenführung für den "Tatort" neue Dimensionen. Bewunderer englischer oder skandinavischer TV-Produktionen à la "Inspektor Lynley", "Kommissar Wallander" oder "Kommissarin Irene Huss - Kripo Göteborg" dürften dagegen voll auf ihre Kosten gekommen sein. Mehr davon.
Der Quotenstürmer am Sonntag
Auch quotentechnisch war der "Tatort" ein absoluter Abräumer: 9,50 Millionen Zuschauer schalteten "Es ist böse" ein, selbst beim jüngeren Publikum gelang der ARD der Sieg mit starken 20,3 Prozent Marktanteil. Dagegen konnte RTL selbst mit dem ansonsten stets funktionierenden Publikumsmagneten "Pretty Woman" mit Richard Gere und Julia Roberts nicht punkten und fiel mit insgesamt nur 3, 36 Millionen Zuschauern empfindlich ab.