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Stefan Raab: RTL mit Comeback im Risiko? Experte spricht Klartext


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RTL im Wandel?
"Für seine Rückkehr gab es monetäre Gründe"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 21.09.2024Lesedauer: 6 Min.
Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan RaabVergrößern des Bildes
Stefan Raab: Mit 57 Jahren macht er plötzlich wieder Fernsehen – obwohl er fast ein Jahrzehnt von der Bildfläche verschwunden war. (Quelle: RTL / Raab Entertainment)
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Stefan Raabs Comeback wirft Fragen auf. Wird RTL mit dem Millioneninvestment wirklich Erfolg haben – oder ist das Risiko zu hoch? Ein Experte äußert sich deutlich.

Erst dieser Samstagabend vergangene Woche: Stundenlang zögert RTL das "Comeback des Jahres" heraus – und dann lässt sich Stefan Raab ein drittes Mal von Regina Halmich im Boxring vermöbeln. Anschließend verkündet der ehemalige "TV total"-Erfinder und Dauerunterhalter von ProSieben seine Rückkehr ins Mediengeschäft: Künftig ist er wieder wöchentlich mit einer Show zu sehen, auf dem Streamingdienst RTL+.

Doch was er dort macht, wirkt alles andere als innovativ. Der 57-Jährige zeigt hauptsächlich Altbekanntes. Was erhofft er sich davon, nachdem er neun Jahre lang fernab der Öffentlichkeit seinen Ruhestand genossen hat? Und warum zahlt RTL dafür kolportierte 90 Millionen Euro? Medienexperte Christian Richter hat dazu eine klare Meinung.

t-online: Stefan Raab und RTL wollen im Streamingbereich und gegen Bezahlung von mindestens sechs Euro monatlich Zuschauer locken. Herr Richter, klingt das vielversprechend?

Christian Richter: Das erklärte Ziel der RTL-Geschäftsführung besteht darin, neue Abonnements für den Streamingdienst RTL+ herbeizuführen. Das ist deswegen nötig, weil sowohl die Sehbeteiligungen als auch die Werbeeinnahmen des klassischen Fernsehens mit einem linearen Programm seit Jahren rückläufig sind. Gerade jüngere Generationen nutzen eher On-Demand-Angebote oder Streamingplattformen. Die Investition von RTL in seinen Streamingdienst RTL+ ist die Antwort auf diese Entwicklung und der Versuch, das bisherige Geschäftsmodell zukunftsfähig zu machen.

Aber warum Raab?

Es zeigte sich in der Vergangenheit, dass vor allem bekannte und vertraute Marken oder Personen eine größere Zugkraft entfalten als neu entwickelte Inhalte. Daher setzte in den USA der Konzern Warner bei der Einführung seines neuen Dienstes HBO Max auf die Sitcom "Friends", sicherte sich die Rechte an der Serie und gab ein Reunion-Special mit der originalen Besetzung in Auftrag. Die Rückkehr von Stefan Raab ist das deutsche Pendant zur lang erwarteten "Friends"-Reunion in den USA.

RTL feiert den Start bereits als großen Erfolg. Sehen Sie das genauso?

Der Einstand verlief zunächst erfolgreich. Nach der ersten Ausgabe von "Du gewinnst hier nicht die Million" sollen laut RTL rund 73 Prozent der neu abgeschlossenen Abos auf ihn zurückzuführen sein.

Also Ziel erreicht?

Abwarten. Die Herausforderung besteht nun darin, die neuen RTL+-Kunden und Kundinnen dauerhaft zu binden. Ob dafür eine rückwärtsgewandte wöchentliche Show ausreicht, bleibt fraglich.

Stefan Raab war nie ein politischer Kommentator wie Harald Schmidt, kein deutscher John Oliver, wie es Jan Böhmermann sein will: Für was steht Raab?

Bereits im Jahr 2006 wurde eine Befragung unter jungen Erwachsenen durchgeführt. Sie war zwar nicht repräsentativ, ist aber dennoch recht aufschlussreich. Sie ergab nämlich, dass im Gegensatz zu den anderen Befragten "TV Total"-Fans eine eher rechte und konservative Grundhaltung hatten. Sie bevorzugten demnach eher eine gesellschaftliche Schließung als Öffnung, eine Zurückhaltung staatlicher Einrichtungen sowie ein traditionelles Rollen- und Familienbild. Zugleich sollen sie von Eigenverantwortlichkeit sowie vom Leistungsprinzip überzeugt sein. Nur wer hart arbeitet, wird auch belohnt.

Medienexperte Christian Richter.
Medienexperte Christian Richter. (Quelle: christianrichter)

Christian Richter, Jahrgang 1981

Dr. Christian Richter ist Fernseh- und Medienwissenschaftler. Er beschäftigt sich mit der Theorie und Programmgeschichte des Fernsehens, den Mechanismen und Ästhetiken von On-demand-Angeboten sowie mit Medienbildung und digitaler Bildung.

Was bedeutet das im Hinblick auf Raabs Wirken?

Raab gelingt es offenbar, diese Werte mit seinem provokanten Humor und seinen kompetitiven Wettbewerben effektiv zu bedienen. Hierfür leistet insbesondere seine Schadenfreude einen gewichtigen Beitrag, die sich oft gegen die Missgeschicke oder das Aussehen von sogenannten "normalen" Menschen richtet. Unter den "TV-Total"-Fans dominierte nämlich die Ansicht, dass Raabs "Opfer" selbst schuld an ihren Schwächen seien, weswegen sie auch nicht schützenswert seien.

Klingt nicht nach einem progressiven Weltbild …

Absolut. Stefan Raab steht für ein reaktionär-konservatives und leistungsorientiertes Wertebild. Anstatt Ungleichheit in der Gesellschaft zu adressieren, etabliert er mit dem Mittel der Schadenfreude ein Gefühl von eigener Überlegenheit und förderte damit die eigene Aufwertung.


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Mit Stefan Raab sind viele nostalgische Gefühle und romantisierte Erinnerungen an die eigene Jugend und Kindheit verbunden, die durch seine Rückkehr gezielt reaktiviert werden sollen.


Christian richter


Ist Stefan Raab insofern überhaupt perfekt geeignet, um mit seinen Qualitäten neue Zielgruppen für RTL zu erreichen?

Das Ziel besteht nach meiner Einschätzung nicht darin, mithilfe von Stefan Raab neue Zielgruppen zu erreichen. Vielmehr sollen die bestehenden Zuschauenden dadurch gehalten oder vom traditionellen Fernsehen zum Streamingdienst gelockt werden.

Welche Zielgruppe steht dabei im Zentrum?

Die heute 30- bis 40-jährigen Menschen bilden die letzte Generation, die ohne Internet, Streamingdienste oder YouTube aufgewachsen ist. In deren Sozialisation und in deren Kindheit hat das Fernsehen noch eine zentrale Rolle gespielt. Es ist überall zu beobachten, dass diese letzte Fernseh-Generation mit aller Kraft beim Fernsehen gehalten werden soll.

Das heißt: Diese Generation soll Raab nun für RTL an eine Streamingwelt heranführen?

Diese Generation ist mit Stefan Raab aufgewachsen. Als sie Jugendliche waren, begleitete er sie bei Viva. Dann folgte der Wechsel zum erwachseneren ProSieben. Mit Stefan Raab sind viele nostalgische Gefühle und romantisierte Erinnerungen an die eigene Jugend und Kindheit verbunden, die durch seine Rückkehr gezielt reaktiviert werden sollen. Deswegen erfolgte sein Comeback im Rahmen der Re-Inszenierung eines alten Events (dem dritten Boxkampf gegen Regina Halmich). Deswegen bestand die erste Hälfte der zugehörigen Übertragung nur aus Rückblicken. Und deswegen setzt sich seine neue Show "Du gewinnst hier nicht die Million" ausschließlich aus kopierten Versatzstücken seiner früheren Formate "TV total" und "Schlag den Raab" zusammen.

 
 
 
 
 
 
 

Also das, was die Kritik einhellig moniert, diese Kreativlosigkeit: Sie ist ein bewusst gewähltes Stilmittel?

Ich denke schon. Schauen Sie: Bühnenbild, Personal, Musik, Erzählweise der Einspieler, sogar seine Klamotten. Es ist bemerkenswert, wie sehr sich Raab jeder Veränderung widersetzt – die Verweigerung einer Weiterentwicklung geradezu zelebriert. All die Krisen der vergangenen Jahre, die Herausforderungen unserer Zeit, all die Debatten um Sensibilität für Minderheiten, Geschlechter, Identitäten, Lebensweisen, kulturelle Aneignungen, systemischen Rassismus oder um eine heterogene und achtsame Gesellschaft, all das spielt bei ihm keine Rolle. In seiner Welt ist es eben witzig und zulässig, sich als Mann über die blauen Flecken einer Frau zu belustigen, die er ihr selbst verpasst hat.

Das passt zur Tonalität der Gegenwart: einer Zeit, die von "Früher war alles besser"-Rufen, AfD-Sprech und konservativen Werten geprägt ist. Die sich einer Öffnung verschließt und eine zu große "Wokeness" beklagt …

Raabs Rückkehr passt perfekt in dieses derzeit festzustellende gesamtgesellschaftliche Klima der Rückgewandtheit. Angesichts der anhaltenden Krisen, der großen Herausforderungen und Veränderungen im Kontext einer pluralistischen Gesellschaft ist bei vielen Menschen ein Konservatismus zu beobachten. Ein Wunsch nach Vereinfachung, eine Ablehnung von Wandel oder Weiterentwicklung, ein Streben nach "so wie früher". Das drückt sich nicht zuletzt in ihrem Wahlverhalten aus. Diese Sehnsucht nach Beständigkeit bedient Raab in bemerkenswerter Weise. Er macht exakt dort weiter, wo er vor knapp einer Dekade aufgehört hat. Als habe es die vergangenen zehn Jahre und ihre Errungenschaften oder (Weiter-)Entwicklungen nicht gegeben.

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Aber was genau verspricht sich Stefan Raab selbst von seiner Rückkehr?

Das kann ich schwer beantworten. Inwieweit hierbei auch narzisstische Motive eine Rolle spielen, kann ich nur vermuten. Stefan Raab gilt als ehrgeiziger Geschäftsmann. Auch im Vorfeld seines Comebacks ging er durch die Abwicklung seiner alten und die Gründung seiner neuen Produktionsfirma geschäftlich sehr strategisch vor. Allem Vernehmen nach hat er von RTL für seinen neuen Fünf-Jahres-Vertrag ein sehr lukratives Angebot erhalten. Insofern gab es für seine Rückkehr wohl auch monetäre Beweggründe.

Gefährdet Raab damit aber nicht sein Vermächtnis? Der Mann, der stilprägend dafür war, den Absprung geschafft zu haben, kommt nach neun Jahren zurück. Das ist doch eine Gefahr für sein Erbe.

Die Frage ist, worin genau besteht sein Vermächtnis? Seine Show-Konzepte "TV total" und "Schlag den Raab" haben auch ohne ihn überdauert und sich als beständig erwiesen, sich sogar etwas modernisieren können.


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Im Laufe der Jahre aber wurden sie genau zu diesen Figuren, die die Weiterentwicklungen der Branche und der Gesellschaft nicht vollends antizipieren konnten.


Christian richter


Worauf wollen Sie hinaus?

Raab galt schon bei seinem Abschied vor neun Jahren als überholt, ausgebrannt und überfällig. Seine Auftritte in den letzten Jahren von "TV total" wurden wiederholt als lustlos, uninspiriert oder lähmend routiniert eingeschätzt. Musikalische Akzente konnte er nicht mehr setzen und auch neue wegweisende Showkonzepte blieben aus. Zumindest dieser Teil seines Vermächtnisses steht durch seine Rückkehr in keinerlei Gefahr. Er gefährdet höchstens den Respekt, den er für seinen (vermeintlich) konsequenten Rückzug aus der Branche einst erhalten hat.

Was eint in diesem Sinne einstige Show-Giganten wie Thomas Gottschalk, Harald Schmidt und Stefan Raab?

Thomas Gottschalk, Harald Schmidt und nun auch Stefan Raab eint, dass sie vor laufenden Kameras und damit vor den Augen der Zuschauenden überholt worden sind. Das meint nicht, dass sie lebensälter wurden. Sie begannen ihre Karrieren als junge, wilde Gesichter, die die bestehenden Gewohnheiten und Köpfe des damaligen Fernsehens herausgefordert, unterwandert und letztlich abgelöst haben. Im Laufe der Jahre aber wurden sie genau zu diesen Figuren, die die Weiterentwicklungen der Branche und der Gesellschaft nicht vollends antizipieren konnten. Irgendwann wirkten sie aus der Zeit gefallen.

Ist das wirklich so?

Thomas Gottschalk begann einst als frecher Radiomoderator, der berüchtigt dafür war, Witze zu machen, die als unerhört galten. Er beendete seine Karriere damit, dass er im Finale von "Wetten, dass..?" in bester "Alter weißer Mann"-Manier seinen Abschied damit begründete, nicht mehr alles sagen zu dürfen. Anders als es oft fehlinterpretiert wurde, sagte diese Beschwerde weniger etwas über eine gesellschaftliche Fehlentwicklung aus, als vielmehr etwas über die mangelnde Anpassungsfähigkeit von Gottschalk an veränderte Zeiten. Und auf diesen Weg könnte Raab ebenfalls zusteuern.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Christian Richter
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