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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Moritz Bleibtreu "Kann Leute in Naziuniformen nicht mehr sehen"
In "Jud Süß" spielte er einst Joseph Goebbels. Jetzt meint Moritz Bleibtreu: Nazi-Stoffe nerven ihn. Warum er trotzdem Interesse an einer Verfilmung der Hitler-Tagebücher hatte, erklärt er im t-online-Interview.
Ist das ein Widerspruch oder ein kleiner, aber feiner Unterschied? Moritz Bleibtreu verrät im Gespräch mit t-online, wie er zum deutschen Drang nach Nazi-Verfilmungen steht. Kurz gesagt: nicht gut. Seine ablehnende Haltung gegenüber Hitler und Co. auf Leinwand und Flimmerkiste mündet in Sätzen wie diesem: "Ich kann Menschen in Naziuniformen nicht mehr sehen."
Dennoch hat er für "Faking Hitler", eine neue RTL-Serie über die Hitler-Tagebücher, zugesagt. Er spielt darin den Kunstfälscher Konrad Kujau – und ging in der Rolle auf, wie er t-online berichtet. Wie das zusammenpasst, lesen Sie im Interview.
t-online: Sie waren elf Jahre alt, als der "Stern" mit den Hitler-Tagebüchern einen Skandal auslöste. Erinnern Sie sich an diese Zeit im Jahr 1983?
Moritz Bleibtreu: Natürlich, das war sehr unterhaltsam. Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie meine Mutter und ich uns darüber lustig gemacht haben. Tagelang ging das als Thema Nummer eins durch die Medien und wir dachten uns nur: Was für eine Komödie!
Sie haben mehr darüber gelacht, als dass Sie sich darüber aufgeregt haben?
Das lag vor allem an meiner Mutter. Sie hat Konrad Kujau gefeiert, diesen ulkigen Mann, der eine ganze Redaktion an der Nase herumgeführt hat. Als kleiner Junge hat mich das auch erheitert und heute denke ich mir: Was für ein Typ, dieser Kujau. Wer weiß, wie viele Picassos und Monets noch im Umlauf sind, die aus seiner Feder stammen und bei denen die Besitzer aus Angst keinen Experten heranziehen, weil sich vielleicht herausstellen könnte: Es ist ein Kujau, kein Picasso.
Womit wir bei der Frage wären: Was ist Kunst?
Eine Frage, mit der ich mich immer unheimlich schwergetan habe.
Wieso?
Mit meiner Mutter habe ich darüber früher schon sehr angeregt diskutiert. Den Kunstbegriff aus dem Theater der Siebziger- und Achtzigerjahre habe ich nie wirklich verstanden. Wie so vieles andere aus der Kunst- und Kulturszene auch nicht. Warum kann einer einen Stuhl hinstellen und wird als Künstler gefeiert? Bei der Beschäftigung mit Konrad Kujau wurde mir das wieder klar: Das war ein Typ, der mit Talent überschüttet wurde. Dennoch fehlte ihm vermutlich die Einzigartigkeit, um zu dem zu werden, was einen Künstler am Ende ausmacht. Weil er nicht den Drang nach Ausdruck hatte, sondern Bilder gemalt hat, um damit Geld zu verdienen.
Er hat etwas geschaffen, aber zu wenig dabei gelitten: Die berühmte Formel der "Leidenschaft", wenn man so will, also nicht beherrscht?
Van Gogh hat sich das Ohr abgeschnitten und wurde erst Jahre nach seinem Tod gefeiert. Der hat sich für die Kunst aufgegeben, dem ging es nicht gut, der war Alkoholiker und hat unter enormen Schmerzen Kunst geschaffen. Das wird immer an diesen Kunstbegriff geknüpft: die Selbstaufgabe, die Leidensfähigkeit. Stichwort Katharsis. Aber es gibt eben auch Leute, die einen anderen Weg gehen. Konrad Kujau hat Kunst nicht geschaffen, weil er sich aufreiben wollte, sondern weil er verstanden hat, dass er das unglaublich gut kann.
Ist das in der Filmkunst genauso?
Warum werden bei den Oscars immer Dramen ausgezeichnet, aber nur in seltensten Fällen Komödien? Weil auch im Schauspiel die Selbstaufgabe höher bewertet wird als die Fähigkeit, Menschen zum Lachen zu bringen.
Sehen Sie das kritisch?
Absolut! Vor allem weil wir doch wissen, dass komödiantische Talente insgeheim traurige Gestalten sind, die aus einem tiefen inneren Drang heraus gespielt haben. Schauen Sie sich Robin Williams an, der war das beste Beispiel dafür.
Sprich: Die Komödie ist die Königsdisziplin und nicht das Drama?
Wenn es dir selbst schlecht geht und du spielst ein Drama, dann kannst du all deine üble Laune, all dein Leid aus deinem eigenen Erfahrungshorizont einfließen lassen und kriegst am Ende noch einen Kaffee gemacht. Aber mach mal ein Lustspiel und stelle dich wie Jerry Lewis hin und entertaine die Massen. Das ist hart! Daran sieht man, dass die Komödie einem Künstler immer mehr abverlangt als das Drama.
Was mögen Sie mehr?
Ich mag beides, aber die Komödie ist mir näher. Als Kind waren alle meine Vorbilder Komödianten. Jerry Lewis, Buster Keaton, Charlie Chaplin: Ich bin geprägt von Komikern. Als Lewis in "King of Comedy" neben Robert De Niro den Boss gespielt hat, haben ihn plötzlich alle für sein schauspielerisches Genie gefeiert. Dabei ist doch klar: Alle großen Komödianten sind geniale Schauspieler.
In Ihrer Verkörperung des Konrad Kujau in "Faking Hitler" steckt eine Menge von Charlie Chaplin, oder?
Auf jeden Fall. Ich bin jemand, der gerne zitiert, wenn er die Gelegenheit dazu bekommt. Ich habe für diese Verfilmung den Gang bei Kujau von Chaplin kopiert.
Konrad Kujau ist allerdings nicht unbedingt als Vorbild geeignet. Er erweckte den Anschein, als ob er Adolf Hitler ganz gut fand. War Kujau ein Nazi?
Ich denke, Kujau hat das aus ästhetischen Gesichtspunkten bewertet und fand Hitler und die Nazis faszinierend. Ich würde ihn nicht als offenen Faschisten bezeichnen, aber in dieser Zeit gab es viele Leute, die das auf verkappte Art und Weise glorifizierten. Das halte ich für noch viel schlimmer. Kujau war dennoch ein Spezialfall. In Frankreich würde man ihn einen Filou nennen. Ein Mann ohne Verantwortungsgefühl, der sich dafür nicht geschämt hat.
Ein bisschen Filou steckt auch in Ihnen, oder?
Ja, ein bisschen Filou schon, aber das mit dem Verantwortungsgefühl habe ich besser drauf.
Kujau war der größte Schummler der Nachkriegsgeschichte. Wenn wir schon bei Parallelen sind: Wo haben Sie getrickst?
Die Unterschrift von meiner Mutter habe ich etliche Male gefälscht in der Schule. Ich habe so viele Entschuldigungen gefälscht, ich könnte gar nicht mehr sagen, wie viele das waren.
Hat Ihre Mutter das irgendwann mitbekommen?
Nein, währenddessen zum Glück nicht. Aber ich habe ihr das später mal erzählt. Sie fand das gar nicht so wahnsinnig schlimm.
Haben Sie noch jemanden in Ihrem Leben mal so richtig reingelegt?
Nein, eigentlich nicht. Als Schauspieler wird einem immer unterstellt, man könne gut lügen. Das ist ein Irrglaube. Nur weil man sich gut in eine Figur hineinversetzen kann und diese vor der Kamera verkörpern kann, heißt das noch lange nicht, dass man gut lügen kann. Denn es ist die Figur, die dir das Selbstbewusstsein gibt, zu lügen. Privat habe ich das nicht. Ich bin ein sehr schlechter Lügner. Als Kind bin ich damit immer aufgeflogen, meine Mutter konnte mich sehr leicht entlarven.
Und heute?
Kann man sich ziemlich gut darauf verlassen, dass das, was ich sage, auch der Wahrheit entspricht.
Dann Hand aufs Herz: Nervt es Sie, dass es hierzulande immer wieder die gleichen Themen sind, die verfilmt werden? Stichwort: Alles mit Hitler wurde schon tausendmal erzählt – kommt aber trotzdem alle Jahre wieder.
Es stimmt schon, es ist ein bisschen: keep the thrill alive. Hitler und die Nazis, alles rund um den Zweiten Weltkrieg, das ist ein Themenbereich, der in Deutschland partout nicht von der Leinwand verschwindet. Ich muss ehrlich sagen: Ich kann Menschen in Naziuniformen nicht mehr sehen. Aber wir scheinen so mit dieser Geschichte verwachsen zu sein, dass viele Menschen das gar nicht aufgeben wollen und daran hängen. Nur: Mein persönliches Interesse daran hält sich in Grenzen.
Das heißt: Für Sie als Filmemacher käme so ein Nazi-Stoff nicht infrage? Schließlich haben Sie mit "Cortex" jüngst Ihr Regiedebüt gefeiert.
Nein, einen Nazi-Film würde ich nicht machen. Das ist für mich als Filmemacher einfach kein Stoff, den ich spannend finde. Es sei denn, es hätte so einen "Inglourious Basterds"-Ansatz wie bei Quentin Tarantino damals. Aber im Prinzip ist das auch wieder das perfekte Beispiel, warum wir in Deutschland anders an die Sache rangehen. Ich bin überzeugt: Wenn ein deutscher Filmemacher eine Nazi-Parodie à la Tarantino gedreht hätte, wäre er gesteinigt worden. Einen Hollywoodstreifen, in dem Hitler im Kino verbrennt, feiern wir Deutschen hingegen.
Sie meinen: Unser Verhältnis zur eigenen Filmbranche ist ambivalent?
Wir neigen dazu, schnell von Geschichtsverfälschung zu sprechen. Wird man damit der Vergangenheit gerecht, fragen dann Kritiker bedeutungsschwanger. Dabei ist das Quatsch. Als Filmemacher muss man der Geschichte nicht gerecht werden. Wir sollten frei mit den Stoffen, die uns die Vergangenheit liefert, umgehen können. Kein fiktionaler Film muss den Anspruch haben, dokumentarisch korrekt zu sein. Filmkunst muss sich immer trauen, Dinge so darzustellen, wie sie es für richtig hält: fernab von historischen oder moralischen Zwängen.
Oft liegen die Zwänge woanders: Bei Rechteinhabern und Nachlassverwaltern, die verhindern, dass bestimmte Dinge gezeigt werden. Würden Sie sich in Deutschland mehr Gestaltungsspielraum durch die Kunstfreiheit wünschen?
Natürlich würde ich mir eine Welt wünschen, in der es möglich wäre, ohne Probleme eine Nazi-Satire zu drehen und zu sagen: Hitler ist schwul. Ich würde mir auch wünschen, dass Leute sich nicht von allem angesprochen fühlen und einfach sagen: Hey, das ist ein Film, lass die doch machen. Ich jedenfalls hätte damit kein Problem. Wenn jemand einen Film über Moritz Bleibtreu machen will und ich quasi als Person der Zeitgeschichte durchgehe, dann soll er oder sie das gerne machen. Ich würde da nicht reinquatschen. Von mir aus könnte man gerne mit mir Schabernack treiben. Nur: Es dürfte eben keine Dokumentation sein. Aber im Film und in der Kunst sollte man damit unbefangener und lockerer umgehen.
- Interview mit Moritz Bleibtreu
- RTL: "Ein RTL+ Original: Faking Hitler" (kostenpflichtig)