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Isabel Varell im Interview: "Ich habe meine Mutter zeitweise gehasst"


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Isabel Varell
"Ich habe viel verschüttet, um diesen seelischen Schmerz loszuwerden"

InterviewVon Maria Bode

Aktualisiert am 06.07.2021Lesedauer: 7 Min.
Isabel Varell: Die Moderatorin und Schauspielerin spricht im Interview mit t-online unter anderem über Ängste, ihre Kindheit und Jugend.Vergrößern des Bildes
Isabel Varell: Die Moderatorin und Schauspielerin spricht im Interview mit t-online unter anderem über Ängste, ihre Kindheit und Jugend. (Quelle: IMAGO / Sven Simon)
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Als Kind erfuhr Isabel Varell Gewalt durch ihre Mutter, Anerkennung bekam sie nur, wenn sie gute Leistungen erbracht hatte. Im Interview mit t-online erzählt die Schauspielerin, was diese Erfahrung mit ihr gemacht hat.

Das TV-Publikum kennt Isabel Varell als eine echte Frohnatur, besonders ihr Lachen und ihre offene Art zeichnen sie aus. Doch in ihrem Leben gab es auch dunkle Seiten, die Varell keineswegs verschweigt. In einem autobiografischen Werk hat sie diese Erfahrungen nun verarbeitet.

Über diese und weitere Phasen ihres bald 60-jährigen Daseins spricht die Moderatorin, Schauspielerin und Sängerin ganz offen mit t-online.

t-online: Ihr zweites Buch heißt "Die guten alten Zeiten sind jetzt" und liest sich wie eine seelische Aufarbeitung schmerzhafter Erfahrungen. War das beim Schreiben emotional?

Isabel Varell: Auf jeden Fall. Man sitzt vor dem Laptop, heult, lacht. Ich arbeite alles auf und lasse die Hosen runter. Es geht um meine Gefühle und um die Aufgabe, die ich für mich gefunden habe. Mein erstes Buch war auch schon sehr offen. Da habe ich gemerkt, wie wichtig es ist, dass wir uns unsere Geschichten gegenseitig erzählen.

Sie schreiben über die negativen Seiten Ihrer Mutter. War das eine große Überwindung?

Ja. Auch wenn sie viel zu streng war – und auch zu viel Gewalt angewendet hat: Sie ist trotzdem meine Mutter. Es ist bizarr: Kinder halten eine unglaubliche, fast nicht nachvollziehbare Liebe zu ihren Eltern aufrecht, selbst wenn sie von ihnen missbraucht werden, was ja bei mir nicht der Fall war. Aber auch in meinem Fall ist es fast nicht zu verstehen. Ich habe meine Mutter zeitweise gehasst. Ich wollte als Kind oft nicht mehr leben. Auch ihr habe ich sogar manchmal den Tod gewünscht. Später haben wir dann wieder zueinander gefunden. Aber sie hatte auch im Erwachsenenleben immer Macht über mich, bis sie von mir gegangen ist, als ich Ende 30 war. Ich stand irgendwie immer unter ihrer Fuchtel. Wenn sie heute noch leben würde, hätte ich wahrscheinlich dieses Buch oder diese Bücher nicht geschrieben.

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Was würden Sie Ihrer Mutter heute sagen, wenn sie noch leben würde?

Wenn sie noch da und gesund wäre, müsste sie sich heute ganz anderen Gesprächen stellen, als sie es damals musste. Die junge Isabel in den Zwanzigern hat das Geschehene angesprochen und keine befriedigende Antwort bekommen. Meine Mutter hat alles beiseitegeschoben – als harmlos dargestellt.

Wie denn?

Sie hat gesagt, das sei doch nicht schlimm gewesen. Eine Tracht Prügel habe noch niemandem geschadet. Aussagen, die man von dieser Generation kennt. Ich weiß nicht, ob sie sich vielleicht im Stillen mal geschämt hat. Wenn ich heute Kinder sehe in meinem damaligen Alter, frage ich mich: Wie konnte sie nur?

Und welchen Rat würden Sie der 18-jährigen Isabel geben?

Ich würde ihr sagen: "Geh zu einem Therapeuten und arbeite alles auf für eine bessere Lebensqualität mit Selbstbewusstsein." Das war damals verpönt. Die Eltern haben uns vermittelt, dass nur Kranke eine Therapie machen. In meiner Kindheit habe ich Anerkennung nur über Leistung erfahren. Ich habe nicht gewusst, dass ich ein wertvoller Mensch bin. Das wurde mir nicht vermittelt. Ich habe auch nicht gewusst, dass Scheitern nichts Schlimmes ist. Mit professioneller Hilfe hätte ich mich schneller befreien können.

Haben Sie das inzwischen geschafft?

Ich werde nie richtig davon befreit sein, habe die Prägungen aber durch harte Arbeit in den Hintergrund rücken können. Ich habe viel verschüttet, um diesen seelischen Schmerz loszuwerden. Erst später habe ich begriffen, dass das allein nicht funktioniert. Meine Offenheit – auch Freunden gegenüber – hat immer sehr geholfen. Früher konnte ich gar nicht über meine Erlebnisse sprechen. Inzwischen tue ich das sogar in der Öffentlichkeit. Das war ein langer Prozess.

Zur Person
Isabel Varell ist eine dieser Prominenten, die man als Allroundtalent bezeichnen kann. Sie ist Moderatorin, Theater- und TV-Schauspielerin und Sängerin, schreibt Bücher und ihre eigenen Songs. Ihre Musikerinnenkarriere begann in den Achtzigerjahren. Ende des Jahrzehnts heiratete sie Drafi Deutscher. Die Ehe hielt zwei Jahre. Heute ist Varell mit dem Regisseur Pit Weyrich verheiratet. Seit 2018 moderiert sie die ARD-Sendung "Live nach 9". Sie spielte unter anderem schon in den Serien "Rote Rosen" und "In aller Freundschaft" mit.

Haben Sie später eine Therapie gemacht?

Ich habe in Einzelstunden Gespräche mit einer Psychotherapeutin gesucht. Das hat mir sehr geholfen und mir Erkenntnisse geliefert. Ich hatte diese Traurigkeit in mir drin, dafür musste ich Erklärungen finden. Das waren einige Sitzungen. Rückblickend wäre eine richtige Therapie zu einem früheren Zeitpunkt sicherlich besser gewesen. Wir müssen uns nicht schämen, wenn wir an uns selbst Verhaltensweisen entdecken, bei denen wir instinktiv merken, dass wir uns an diesen Stellen weiterentwickeln sollten.

Sie haben eine Ausbildung zum systemischen Coach gemacht. Was hat es damit auf sich?

Genau. Eine Therapie ist fantastisch für Menschen, die etwas aufarbeiten müssen. Eine gute Alternative ist, dies bei einem Coach zu machen – lösungsorientiert und schnell. Es ersetzt zwar nicht die Psychotherapie. Man kann aber bei einem guten systemischen Coach in wenigen Sitzungen seine Antworten in sich finden. Darauf möchte ich gern aufmerksam machen. Das kostet Geld, das übernimmt die Krankenkasse nicht. Aber je nachdem, in welcher Situation man steckt, ist das sicherlich wertvoller als eine Urlaubsreise.

Was haben Sie aus der Coachingausbildung mitgenommen?

Man weiß nie, was in dem Menschen vorgeht. Bei der Abschlussprüfung der Ausbildung kam ein Mann rein. Er sah gut aus, war gepflegt gekleidet. Wenn Sie ihn auf der Straße gesehen hätten, hätten Sie ihm nie angemerkt, was für einen tiefen Kummer er in sich hat. Er erzählte, dass er von den Menschen um ihn herum nicht gesehen wird, dass durch ihn hindurchgeschaut wird, als ob er nicht existiere. Es ist unglaublich, mit welchen Anliegen Menschen kommen. Das Coaching ist ein guter Schritt zur Selbstanalyse. Warum bin ich so? Warum verhalte ich mich so? Was kann ich bei mir verbessern? Es gibt Werkzeuge dafür. Man muss aber bereit sein, aus seiner Komfortzone rauszugehen. Sonst funktioniert es nicht.

Sie waren dazu bereit. Ängste, Rastlosigkeit und das Gefühl, nicht zu genügen, gehören zu Ihrem Leben dazu. Hat Ihnen die Coachingerfahrung da geholfen?

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Ja, dadurch habe ich das heute gut im Griff. Aber es ist nicht ganz verschwunden. Die Unsicherheiten und das getriebene Wesen, das mir in der Kindheit eintätowiert wurde, dieses "Beeil dich, beeil dich". Alles musste immer wahnsinnig schnell gehen. Das sind tiefsitzende Prägungen. Es ist eine Lebensaufgabe, die ganz loszuwerden. Aber ich habe große Lebensfreude und wenn diese kleinen Dämonen mal in mir aufblitzen und sagen: "Hallo, wir sind immer noch da", entgegne ich direkt: "Geht dahin, wo der Pfeffer wächst."

Haben diese kleinen Dämonen Sie schon mal an irgendetwas gehindert, was Sie gerne gemacht hätten und im Nachhinein dann bereut haben?

Ich habe fast immer gewonnen. Mein Prinzip ist es, Ängste zu überwinden. Manchmal wundere ich mich über mich selbst. Ich glaube, dass ich mit einem riesengroßen Akku auf die Welt gekommen bin. Andere Menschen zerbrechen an so was. Deswegen ist es so schlimm, was Eltern verursachen können bei Kindern.

Gibt es etwas, das Sie niemals machen würden, obwohl Sie aus Prinzip Ängste überwinden wollen?

"Jeden Tag das Leben neu erfinden" – dieser Satz ist mein Motto. Dazu gehört, dass man mutig ist, dass man aus der Komfortzone rausgeht. Aber klar, es gibt auch Dinge, die ich nicht machen würde. Ich bin Fallschirm gesprungen, aber ich würde kein Bungeejumping machen. Ich brauche diesen extremen Kick nicht. Das ist wahrscheinlich sicher, aber gefühlt spielt man mit dem Leben. Davor habe ich Angst. Dafür hänge ich viel zu sehr daran. Bei allem, wo mein Leben nur im Entferntesten ein wenig in Gefahr wäre, bin ich raus. Einen Fallschirmsprung würde ich auch nicht noch mal machen.

Sie haben aber mal einen gemacht. Wie kam es dazu?

Ich habe eines Tages plötzlich Höhenangst bekommen und hatte Panikattacken auf Riesenrädern. Dann habe ich zur Bewältigung der Höhenangst einen Fallschirmsprung gemacht.

Hat es geholfen?

Ein bisschen. Ich habe jetzt an einem Riesenrad in Köln geübt, bin immer wieder damit gefahren. Erst mit Freundinnen, da habe ich eine Attacke bekommen, hab mich auf den Boden gekauert, die Augen zugemacht. Es war schlimm, aber es wurde dann immer besser. Dann bin ich mit einem halben Glas Wein im Kopf allein gefahren, als es schon dunkel war. Jetzt schaffe ich es, mit offenen Augen Riesenrad zu fahren. Sogar allein. Das war eine irre Hürde für mich.

Sie haben sich quasi allein mit der Konfrontationstherapie geholfen und auch sonst eine offene und neugierige Art. Was können sich Menschen von Ihnen abschauen?

Das Mutigsein. Ich bin nur so mutig, weil ich ängstlich bin. Wenn man keine Angst hat, muss man nicht mutig sein. Was man sich von mir abschauen kann, ist diese Einstellung, das Leben jeden Tag neu zu erfinden. Wenn man älter wird, besteht sonst die Gefahr, zu bequem zu werden – weniger zu riskieren. Das führt dazu, dass man weniger erlebt. Deshalb kann ich immer nur werben für das Ehrenamt. Der Körper und das Hirn können einrosten. Aber es ist so toll, wenn man entdeckt, dass man viel geben kann. Wenn es in meinem Job irgendwann mal weniger wird oder ich keine Angebote mehr bekommen sollte, dann werde ich definitiv wieder ehrenamtlich arbeiten und einen großen Platz in meinem Leben für soziale Dinge schaffen.

Zum Beispiel?

Ich würde mir wünschen, dass ich irgendwann mal in einer Krankenstation in Afrika arbeiten kann. Ich glaube, ich war in einem früheren Leben mal Krankenschwester. Ich habe so eine Ader in mir und ich würde mich gerne mal in einem weit entfernten Land nützlich machen. Natürlich sollte ich damit nicht zu lange warten, ab einem gewissen Alter geht das nicht mehr.

Sie werden Ende Juli 60. Werden Sie feiern?

Wegen der Pandemie habe ich keine Pläne gemacht und werde den Geburtstag einfach um ein Jahr verschieben. Ich möchte dann ein ganzes Wochenende irgendwo in Europa mit engen Freunden verbringen. In diesem Jahr werde ich einfach schön essen gehen.

Hinweis: Hier finden Sie sofort und anonym Hilfe, falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen.

Verwendete Quellen
  • Isabel Varell: "Die guten alten Zeiten sind jetzt" (Erscheinungsdatum: 1. Juli 2021)
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