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TV-Professor Harald Lesch: "In der Verschwörerszene herrscht große Verlogenheit"


Interview
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TV-Professor Harald Lesch
"In der Verschwörerszene herrscht große Verlogenheit"

  • Steven Sowa
InterviewVon Steven Sowa

Aktualisiert am 18.10.2020Lesedauer: 9 Min.
Prof. Harald Lesch: Für das ZDF macht er Wissenschaftsjournalismus und versucht, komplexe Zusammenhänge verständlich aufzubereiten.Vergrößern des Bildes
Prof. Harald Lesch: Für das ZDF macht er Wissenschaftsjournalismus und versucht, komplexe Zusammenhänge verständlich aufzubereiten. (Quelle: ZDF)

Er ist der wohl bekannteste TV-Professor Deutschlands: Harald Lesch. Im Interview mit t-online spricht er über Corona-Leugner, einen folgenschweren Unfall und seine Abneigung gegen die Homöopathie.

Wussten Sie, dass Harald Lesch als Jugendlicher tagelang über einen Strohhalm ernährt wurde und anschließend in der Schule zur Hochform auflief? Der 60-Jährige spricht nur selten über den Unfall, der sein Leben verändert hat. Im t-online-Interview liefert der Astrophysiker und Naturphilosoph auch noch bei anderen Themen bemerkenswerte Einblicke – und findet beim Thema Homöopathie klare Worte.

t-online: Lieber Herr Lesch, wünschen Sie sich manchmal, dass Verschwörungsgläubiger vom Fahrrad fallen und durch ein überstandenes Hirntrauma eine klarere Einsicht bekommen?

Harald Lesch: (lacht) So wie Sie es beschreiben, habe ich es mir noch nie gewünscht. Aber so ähnlich.

Sie wissen, warum ich das so ketzerisch frage. Sie haben in Ihrer Kindheit einen Fahrradsturz erlebt, der angeblich dafür gesorgt hat, dass Sie anschließend besser in der Schule waren. Sie sollen ein unterdurchschnittlicher Matheschüler gewesen sein und brauchten Förderunterricht. Nach dem Unfall in der Oberstufe und dem erlittenen Schädelbasisbruch sollen Sie mathematisch hochbegabt gewesen sein.

Ich habe nach einem Fahrradsturz für längere Zeit mit einer Gehirnerschütterung und einem Schädelbruch im Krankenhaus gelegen. Vorher war ich ein mieser Schüler und danach ein ziemlich guter Schüler. Ich würde aber nicht sagen, dass das ursächlich mit meinem Unfall zu tun hat, sondern vielmehr mit der Tatsache, dass ich so lange im Krankenhaus lag. Das hat mir genug Zeit gegeben, um darüber nachzudenken, wie es mit mir in der Zukunft weitergehen soll.

Also sind Sie nicht von dem Phänomen überzeugt, dass durch große Erschütterungen neurologische Veränderungen im Gehirn stattfinden können?

Das ist schon möglich, aber in meinem speziellen Fall glaube ich das nicht. Ich habe nur mit dem Strohhalm Essen zu mir genommen, weil ich wegen meines Schädelbruchs nicht kauen durfte. Ich bin damals sehr dünn geworden und das hat mich nachdenklich gemacht. Kurz: So ein Unfall ist nicht zu empfehlen und Erkenntnisse lassen sich auch kommunikativ herbeiführen, dafür braucht es keine lebensgefährlichen Erschütterungen.

Die Wissenschaft steht derzeit unter Beschuss, wie lange nicht. In Ihrer Sendung "Ein Fall für Lesch und Steffens: Streiten für die Wahrheit" wollen Sie Verschwörungsideologien auf den Grund gehen. Haben Sie dafür mit diesen Menschen das Gespräch gesucht?

Mit Menschen, die vollständig in diesem Verschwörungssumpf gefangen sind, macht ein Gespräch keinen Sinn. Außer wüsten Beleidigungen kommt da nicht viel. Denen kann man nur mit besten Wünschen für die weitere Entwicklung Lebewohl sagen.

Erreichen Sie mit Ihrer Sendung dann überhaupt die richtigen Menschen? Oder korrelieren die Corona-Leugner und Verschwörungssympathisanten mit der Fraktion der Zwangsgebühren-Schreihälse, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen aus Prinzip meiden?

Die Schreihälse gucken die Sendung trotzdem an. Im Zweifel auch nur, um uns eins auszuwischen. Die sind permanent auf Fehlersuche. Man muss ihnen praktisch etwas anbieten, einen kleinen Fehler zum Beispiel, damit sie sich bestätigt fühlen. Aber mit dem Großteil unserer Sendung können wir sie inspirieren, sich tatsächlich mal mit den Fakten auseinanderzusetzen.

Welche Fehler bieten Sie diesen Menschen denn an?

Das wird man sehen. (lacht) Jedenfalls ist es nicht so, dass wir nur eine Verschwörungstheorie nach der anderen zerlegen. Wir machen auch einen historischen Abriss und sprechen mit Giulia Silberberger, die seit Jahren Aufklärungsarbeit über Verschwörungsideologien leistet. Sie erklärt uns, ab wann das Zweifeln ungesunde Züge annimmt.

Ungesund ist ein gutes Stichwort. Ab wann dachten Sie dieses Jahr eigentlich: Corona ist wie ein Brandbeschleuniger für Blödheit?

Ich weiß nicht, ob man das Blödheit nennen kann. Es prasselt viel auf die Menschen ein durch die Medien – und oft sind das eben zugespitzte Schlagzeilen oder aufgebauschte Halbwahrheiten.

Aber Medien betreiben auch wichtige Aufklärungsarbeit. Daran wird es wohl kaum liegen können, dass Verschwörungsmythen derart Hochkonjunktur haben.

Vieles von dem, was wir heute sehen, ist Jahrhunderte alt. Bloß konnten sich die Menschen im Mittelalter, als sie neue medizinische Standards abgelehnt haben, nicht derart schnell vernetzen wie heute. Die Vernetzung ermöglicht heute ein exponentielles Wachstum an, salopp gesagt, Bullshit.

Wie schützt man sich vor diesem Bullshit?

Die Menschen brauchen ein starkes intellektuelles Immunsystem.

Warum gelingt es dennoch vielen Menschen nicht, Wahrheit und Falschbehauptung auseinanderzuhalten?

Weil die Menschen heutzutage ihre Möglichkeiten nicht nutzen. Insbesondere die Coronavirus-Krise ist die ideale Gelegenheit, weltweite Daten miteinander zu vergleichen. Das geht mit einfachsten Recherchemethoden. Man braucht sich nur anzuschauen, wie sich das Virus beispielsweise in den USA, wo Donald Trump mit großer Unverantwortlichkeit regiert, verbreitet. Länder, die zu locker mit Sars-CoV-2 umgehen, geraten massiv unter Druck. In Deutschland ist das zum Glück nicht der Fall.

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Warum gehen die Menschen hierzulande dann trotzdem auf die Straße? Ist es das Präventionsparadoxon? In Deutschland funktionieren die Vorsichtsmaßnahmen so gut, dass Leute nun mit der Vorwurfshaltung auf leere Intensivstationen zeigen und brüllen: 'Seht her wie harmlos Corona ist.'

Ja zum einen ist es das Verdrehen von Wirklichkeiten. Zum anderen sieht man derzeit wieder sehr gut, wie viel Nachholbedarf Deutschland im Bereich der Mathematik hat. Das sind einfachste Zahlenmodelle, aber sie zeigen: die mathematische Lehre an Schulen muss grundlegend verändert werden.

Hatten Sie auch in Ihrem privaten Umfeld bereits mit Corona-Leugnern zu tun und mussten Aufklärungsarbeit leisten?

Im erweiterten Bekanntenkreis ist es tatsächlich aufgetreten. Bei dem Fall habe ich dann freundlich, höflich und humorvoll darauf hingewiesen, dass ich als Astrophysiker Kontakte zu Außerirdischen habe und die mir bezeugen können, dass Corona ein bedrohlicher Virus ist.

Nicht immer ist es so lustig, mit diesen Menschen zu kommunizieren.

Das stimmt. Ich habe bereits dramatische Auseinandersetzungen mit Menschen gehabt, die die Klimakrise geleugnet haben. Das sind immer Männer, mit denen ich aneinandergerate. Ich habe noch nie eine Frau kennengelernt, die mir wutentbrannt Märchen aufgetischt hat. Alte weiße Männer leugnen die Klimakrise und junge Frauen gehen mit Fridays-for-Future auf die Straße – das ist mein Eindruck.

Auch Sie würden als alter, weißer Mann durchgehen. Was unterscheidet Sie denn von dieser Zuschreibung, die weniger auf das Äußerliche als vielmehr auf die inneren Einstellungen bezogen ist.

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Gute Frage, vielleicht ist es die Philosophie, die mich seit Jahren dazu zwingt, meine eigene Wissenschaft auch von außen kritisch zu betrachten. Ich halte einfache Antworten in komplexen Systemen für völlig unmöglich. Das ist es vielleicht, was mich in den Augen anderer nicht unbedingt zu einem dieser "alten weißen Männer" werden lässt.

Aber Unfehlbarkeit wollen Sie damit nicht zum Ausdruck bringen, oder? Wie wichtig ist Ihnen das Eingestehen von Fehlern?

Fehlerkorrekturen sind unheimlich wichtig. Schritt für Schritt zur Lösung und dabei immer wieder korrigierend eingreifen – das ist Wissenschaft. Wir gehen in Deutschland mit Fehlern viel zu negativ um. Wir können viel aus Fehlern lernen – das gilt insbesondere in einer Zeit, in der uns ein noch größtenteils unerforschter Virus in Atem hält.

Dennoch sind auch im Fernsehen, in dem Sie und Ihr Kollege Dirk Steffens für das ZDF Wissenschaftsjournalismus präsentieren, Wissenschaftlerinnen in der Unterzahl.

Wir arbeiten daran. Aber es stimmt natürlich: Vor allem in den Naturwissenschaften herrscht ein großer Mangel an Frauen. In Ländern wie Italien, Spanien oder Frankreich läuft das schon besser als bei uns.

Wirkt sich das in diesen Ländern auch auf eine bessere Wissenschaftskommunikation aus?

In den genannten Ländern sind Verschwörungstheorien auch sehr verbreitet. Der Einfluss des Weiblichen innerhalb der Naturwissenschaften macht sich im Bereich der Verschwörungsmythen überhaupt nicht bemerkbar.

Oft beschleicht einen das Gefühl, dass es den Hetzern besser gelingt, Ihre toxische Agenda möglichst breit in den sozialen Medien zu streuen, als es der Wissenschaft gelingt, ihre faktischen Erkenntnisse zu kommunizieren. Woran liegt das?

Ja, es ist wirklich erschreckend, wie gut Verschwörungsverbreiter und Rechtsnationale vernetzt sind und wie gut sie ihren Unsinn verbreiten. Die gehen sehr gut mit der ultramodernen Technologie der Digitalisierung um und beherrschen diese deutlich besser als deutsche Ämter oder staatliche Institutionen. Auch die Bundeswehr verfügt nicht über die besten Leute, wenn es um Cyber-Abwehr geht und ja: möglicherweise hat auch die Wissenschaft Nachholbedarf. Aber auch daran arbeiten wir. Vor allem daran, dass komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge verständlich aufbereitet werden.

Wenn diese Verschwörungsverbreiter so clever kommunizieren, warum ist der Inhalt dann derart unterkomplex?

Diese Leute müssen sich schon selbst amputieren, um tatsächlich zu glauben, was sie verbreiten. In der Verschwörerszene herrscht eine große Verlogenheit. Zu behaupten, dass Corona oder die Klimakrise Fake-News seien, aber gleichzeitig großes technisches Knowhow besitzen, um die Echtheit von Quellen und die Validität von Fakten überprüfen zu können, passt nicht zusammen.

Wer sind dann die Profiteure dieser Verschwörungsmythen?

In der Abteilung Homöopathie und Esoterik gibt es gewaltige Profiteure. Leute, die die Schulmedizin für Teufelswerk halten, rüsten sich massenhaft mit dubiosen Heilmitteln aus. Außerdem gibt es Buchautoren und Influencer, die mit der Verleumdung der Krise Geld machen.

Also sind es einige Wenige, die mit der großen Unsicherheit Geld verdienen?

Ich denke schon. Es gibt sicher auch Menschen, die sich finanziell mit ihrem Wahnsinn ruinieren. Aber auf der anderen Seite gibt es die, die ganz gezielt Kapital aus der Krise schlagen. Und drittens gibt es auch die politische Einflussnahme. Menschen aus dem rechten Lager kapern diese Corona-Demonstrationen für ihre Zwecke und lassen den Zweifel am deutschen Rechtsstaat ganz allmählich in den Mainstream sickern. Die freuen sich über die gute Organisation solcher Demos und den Relativismus, der damit einhergeht: 'Das sind ja nicht alles Idioten und Nazis'. Somit schaffen die Rechten es, ihr Gift in die Gesellschaft zu träufeln.

Es geht also um politische Macht? Die Corona-Krise wird genutzt, um das deutsche System zu unterwandern und Einfluss auf die gesellschaftliche Stimmung zu nehmen?

Natürlich geht es denen um Macht. Das fängt an mit einigen Verwirrten, die den Reichstag stürmen. Ich will mir gar nicht ausmalen, was passiert, wenn bei den Rechten Intellektuelle auftreten, die öffentlich nicht so viel Blödsinn erzählen wie die AfD. Das kann dazu führen, dass eine Krisensituation wie die Corona-Pandemie weitreichende Folgen hat – auch in einem gefestigten Staat wie Deutschland.

"Ein Fall für Lesch & Steffens" im ZDF am 18.10.2020, 19:30 - 20:15 Uhr: "Alternative Fakten" haben Konjunktur. Die Wahrheit kommt dabei unter die Räder. In ihrer Sendung nehmen Harald Lesch und Dirk Steffens Verschwörungsideologien unter die Lupe und entdecken dabei wiederkehrende Muster.

Für wie gefährlich halten Sie denn diesen Mix aus Homöopathen und Nazis?

Sehr gefährlich, denn beide Lager leben in einer Scheinwelt. Sie bauen ihre Welt auf Meinungen auf, nicht auf objektiven Wahrheiten. Sie überhöhen diffuse innere Erfahrungen zu vermeintlicher Wissenschaft. Dabei gehorchen diese Erfahrungen nicht den gleichen Kriterien, wie die der evidenzbasierten Wissenschaft. Wir haben ein riesiges Debattenproblem, wenn diese inneren Welten aus Ideologien, Religionen und Esoteriken gleichgesetzt werden mit Beobachtungen, die ohne Weiteres überprüft werden können.

Und die Rechten verwenden die gleichen Methoden?

Das ist genau das gleiche. Diese Erzählung von der jüdischen Weltverschwörung ist doch komplett an den Haaren herbeigezogen. Das ist nichts weiter als Xenophobie: die innere Ablehnung gegenüber dem Fremden.

Halten Sie Homöopathie auch im Allgemeinen für gefährlich?

Ja, absolut. Wenn jemand zum Beispiel ein Herzproblem hat und er ginge damit zum Heilpraktiker, dann ist das gefährlich.

Wie lässt sich diese Gefahr bannen?

Wir müssen mit unseren Schulklassen dahingehen, wo unser Land am Leben erhalten wird. Zur Feuerwehr, in die Kanalisation, in die Krankenhäuser. Woher kommt unser Wasser, woher der Storm, welche Rettungsmaßnahmen finden in einem Krankenhaus in der Notaufnahme statt? Damit die Kinder sehen, was jeden Tag mit unserer Schulmedizin möglich ist – und wie viele Menschenleben damit gerettet werden.

Die Homöopathie gehört also nicht zu den Bereichen, die Kinder unbedingt kennenlernen müssen?

Nein, wieso auch? Es gibt interessanterweise keine homöopathischen Notfallwagen oder eine Notaufnahme an der nächsten Homöopathie-Apotheke. Wenn auf der Straße ein Unfall passiert und ein Mensch blutend unter einem Auto liegt, holt niemand einen Homöopathen. Homöopathie ist eine Wohlfühlmedizin, die eine Begleitung sein kann, wenn es um systemische Krankheiten geht. Aber wenn es um konkrete, akute Fälle geht, dann ist Homöopathie völliger Blödsinn.

Sie sagen es selbst und tatsächlich ist Naturheilkunde als Begleittherapie bei vielen Menschen sehr beliebt. Also ist nicht alles schlecht an der Homöopathie?

Man muss einfach sehen: Wer ist Koch und wer ist Kellner. Die Schulmedizin ist der Koch und der Kellner darf gerne auf das Menü noch ein bisschen Petersilie aufstreuen, aber das war es dann auch. Seine Aufgabe ist es, das Besteck sauber zu halten. Der Koch bereitet das Essen zu und nur das landet am Ende im Körper.

Bei all der schweren Kost. Wie schaffen Sie es, abzuschalten?

Einen Moment, hören Sie? (Klaviermusik ertönt)

Sie spielen Klavier?

Wenn ich mich an mein Klavier setze und Musik mache, entspanne ich automatisch. Schachspielen ist auch eine wichtige Entspannungstechnik für mich. Und ich mache viel Ausdauersport, ich bin ein begeisterter Ruderer. Das alles hilft mir, wenn ich ins Internet schaue und mal wieder mit Entsetzen denke: 'Das kann doch alles nicht wahr sein!'

Verwendete Quellen
  • Interview mit Harald Lesch
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