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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Samuel Koch "Davor hatte ich immer Panik"
Samuel Koch hat Rückschläge erlebt, verabschiedete sich von Träumen. Doch sein Tatendrang ist ungebrochen. Das zeigt sich auch im exklusiven t-online-Interview.
"Manchmal reicht es nicht zum Sieg, obwohl man alles gegeben hat", erklärt Samuel Koch in einer am Mittwoch veröffentlichten Pressemitteilung. Seine Tour ist abgesagt – aus Kostengründen. Nur seine Shows in Stuttgart und München werden stattfinden. Für den 35-Jährigen ist das ein herber Dämpfer, bis zuletzt hat er dafür gekämpft, seine "Schwerelos"-Tour mit Akrobatiknummern und Comedyprogramm durchführen zu können.
Im Interview mit t-online hatte er sich noch euphorisch gezeigt, war voller Vorfreude wegen der Events vor Publikum. Zu dem Zeitpunkt wusste Samuel Koch noch nicht, dass sein Traum platzen würde – und dennoch ging es bei dem Telefonat am 31. März schon um Rückschläge und Enttäuschungen, Hoffnungen und Ziele. Koch zeigte sich humorvoll und nachdenklich zugleich, auch wenn er anfangs etwas abgehetzt wirkte, weil er sich um rund zwanzig Minuten verspätete ..
t-online: Herr Koch, Sie sind spät dran. Leiden Sie unter einem stressigen Alltag?
Samuel Koch: Ich sage immer gerne: "Gestresst ist der, der sich stressen lässt". Und ich lasse mich einfach nicht stressen. Aber von außen betrachtet, würde man mein Leben wohl als sehr anstrengend bezeichnen und ich gebe auch zu, ich würde es mir oftmals ruhiger wünschen. Ein Kollege sagte mir kürzlich: "Wenn ich dein Leben hätte, wäre ich schon längst in der Klinik und hätte das zehnte Burnout". Das beschreibt mein Stresslevel ganz gut.
Woher kommt diese Rastlosigkeit?
Ich bin dieser Frage auch stets auf der Spur. Ich erinnere mich noch an meine frühen Jugendjahre, in denen ich dachte, ich bräuchte mindestens sieben Leben, um all das unterzubringen, was es in dieser Welt alles zu entdecken, zu erforschen und zu tun gibt. Dann kam es in meinem Leben zu einem Bruch. Danach wusste ich gar nicht, was ich überhaupt noch will. An Perspektiven war nicht mehr zu denken, alle Wünsche und Träume waren zerplatzt.
Sie sprechen von einem Bruch und meinen Ihren Unfall am 4. Dezember 2010 bei "Wetten, dass..?". Seit dem Unfall sind Sie querschnittsgelähmt.
Meine Lebensplanung vor dem 4. Dezember 2010 war gänzlich physisch ausgerichtet. Alle meine Berufswünsche, die ich so in der späten Jugend hatte, alle Perspektiven waren körperlicher Natur. Ich war kurzzeitig Offiziersanwärter im Dienst bei der Luftwaffe, hatte alle Verwendungstestphasen bestanden, Offizierseignungen bestanden und stand kurz davor Pilot zu werden. Die andere Perspektive war Trainer zu werden, weil ich ein Stipendium bekommen hatte an den State University of Illinois als Kunstturntrainer. Später wurde es die Schauspielerei. Ich habe in der französischen Liga geturnt, dort hatte ich Kontakt zum Cirque du Soleil, zu den Talentscouts.
Alles Ideen, die in Folge des Unfalls in weite Ferne rückten …
Nicht zuletzt das Schauspielstudium habe ich gemacht, weil dort fechten, reiten und tanzen, steppen und Akrobatik auf dem Lehrplan stand. Bewegung war mein Lebensinhalt, mein Körper war mein Leben. Und von einem Tag auf den anderen war mein Leben ein anderes.
Wie sieht Ihr neues Leben aus?
Heute kann ich wieder erfreulicherweise sagen, dass ich an dem gleichen Punkt bin wie damals zu Zeiten meiner Stürme und Dränge in der Jugend. Ich sage heute wieder: "Ach du meine Güte, ich bräuchte eigentlich sieben Leben, weil es so viel zu entdecken und so viele Abenteuer auf der Welt gibt". Hinzugekommen ist eine neue Dimension: Ich denke viel mehr an andere als früher. Es gibt so viel Not, es gibt so viel Leid, es gibt so viele Menschen, denen man helfen muss. Man kommt mit einem Leben gar nicht hin, um all das zu tun, was es alles zu tun gäbe.
Ich denke viel mehr an andere als früher.
Samuel Koch
Was macht diese Erkenntnis mit Ihnen, verzweifeln Sie an der Wirklichkeit?
Nein, das nicht. Aber ich bin manchmal wie ein kleines Kind, reizüberflutet. Im Grunde will ich das gar nicht ablegen. Auch wenn ich 82 Jahre alt bin, will ich noch zu meiner Frau sagen, dass ich nicht ins Bett will, weil es noch so viel zu tun gibt. Wie ein quengeliges Kind in dem Körper eines greisen Mannes. Der Gedanke gefällt mir sehr.
Der Klassiker: Sie bewahren sich das Kind in Ihnen.
Ja, ich versuche mit der erwachsenen Verantwortung, die ich mit den Lebensjahren ansammle, umzugehen – und trotzdem das innere Kind zu bewahren. Das Kindische, dieses Hibbelige werde ich nie ablegen können, aber mir ist es auch wichtig, Ruhephasen einzuplanen, in mich zu gehen. Sonst wird es giftig. Dafür habe ich mich zum Beispiel in Vorbereitung auf meine "Schwerelos"-Tour ein verlängertes Wochenende in ein Kloster zurückgezogen, auf die Essenz besonnen und im Schweigen mit dem Rhythmus der Klosterbewohnenden alle Außenwirkungen und Reizwirkungen ausgeblendet.
Sind Sie dabei auch Ihre Schwere losgeworden, das doppeldeutige Motto Ihrer neuen Tour?
Das ist das, womit ich mich gerade sehr viel beschäftige: Wie wird man schwerelos? Wie wird man auch schwere Gedanken los? Mir fällt das immer sehr schwer, ich denke oft an meine Projekte – auch beim Einschlafen und beim Aufwachen, bei mir vermischt sich Beruf und Privates.
Keine Antwort auf meine Frage. Ist es Ihnen also nicht gelungen?
Doch, ich habe gemerkt, es geht. Es braucht Übung, es braucht Disziplin, es braucht Wiederholung – aber es funktioniert. Und es braucht dafür vor allem den unbedingten Willen, sich komplett rauszuziehen.
Das klingt so, als würden Sie nun zu einer Art therapeutischem Ratgeber.
Ich hoffe nicht! Ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, dass Ratschläge auch nur Schläge sein können und dass Dinge, die mir von vermeintlichen Experten empfohlen wurden, für meine Lebensrealität genau das Falsche waren. In meiner Situation, mit meiner Lebensrealität, meinen Verlusten und Ängsten habe ich genau das erleben müssen: universelle Ratgeber existieren nicht.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Unmittelbar nach meinem Unfall, 2011 in der Schweiz, habe ich in der Rehabilitationszeit viele Ratschläge bekommen. Einer lautete: Sie müssen die Mahlzeiten in der Gemeinschaft zu sich nehmen. Bloß nicht allein in ihrem Zimmer. Das hilft Ihnen, sich zu resozialisieren, um den Kontakt zu Menschen wieder aufzubauen. Aber für mich war das mühsam. Denn ich hatte kein Problem, unter Menschen zu sein, ich hatte permanent Besuch. Ich habe immer aufgeatmet, wenn endlich mal die Tür zuging und ich allein sein durfte. Es ist ein Beispiel, wozu es eine Expertenmeinung gibt, aber für mich war das Gegenteil heilsam.
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Ist das durch die Lüfte schweben, das Fliegen ein Teil Ihrer aktiven Traumwelt – oder träumen Sie eher davon, wieder laufen zu können?
Ich habe ganz lange als laufender Mensch weiter geträumt, obwohl ich in der wachen Welt schon im Rollstuhl saß. Trotzdem war ich immer Fußgänger in den Träumen und habe mich sehr darauf gefreut. Irgendwann nahm dann der Rollstuhl Einzug in meine Traumwelt – und das ging auch mit einem Albtraum einher. Da stand ich dann vor meinem alten Gymnasium mit dem Rollstuhl. Ich hatte immer Panik davor, zu spät zur Schule zu kommen. Eine Art Kindheitstrauma, denn es ist in der Realität des Öfteren vorgekommen, dass ich mich verspätet habe. Nun gab es aber keinen barrierefreien Eingang und das war echt ein Albtraum, weil ich mit dem Rollstuhl wegen all der Stufen nicht reinkam.
Plagen Sie solche Albträume öfter?
Zum Glück nicht. Mittlerweile ist es auch im Schlaf mit Rollstuhl eine traumhaft schöne Welt. Denn es gibt Momente, in denen ich mit ihm unterwegs bin, aber aus dem Nichts heraus kann ich mich in den Handstand drücken und Akrobatik auf den Armlehnen betreiben und dann senke ich den Handstand wieder ab, setze mich hin und fahre mit dem Rollstuhl weiter. Das ist für mich fast noch schöner als fliegen – aber auch das kommt bei mir natürlich vor.
Wäre Ihre Tour eine Art Traumerfüllung geworden? Schließlich sollte es Momente geben, in denen Sie über die Bühne laufen oder sich scheinbar schwerelos durch den Raum bewegen ...
Eine schöne Deutungsweise, aber für mich ist es in erster Linie eine Suche nach Schwerelosigkeit. Ich möchte wissen, wie es ist, Leichtigkeit zu erfahren – gerade in so einem Astronauten-Trainingsgerät wie dem Gyroskop. Ich liebe das sehr und es hat einen extrem therapeutischen Nutzen, einen hohen Spaßfaktor, ich kann darin stehen und mich in alle Achsen bewegen, es ist für die Körpersäfte wunderbar, für die Knochen richtig gut, es wird auch in Therapie- und Rehazentren immer öfter eingesetzt für die Koordination, Kognition und die Rehabilitation.
Falls man nicht weiß, ob man lachen darf – ich bin im Zweifel immer für das Lachen.
Samuel Koch
Sie können gut über sich selbst lachen. Aber geraten Sie auch in Situationen, in denen sich Mitmenschen angesichts Ihrer körperlichen Einschränkung plötzlich seltsam verhalten und Ihnen nicht mehr zum Lachen zumute ist?
Also erst einmal: Falls man nicht weiß, ob man lachen darf – ich bin im Zweifel immer für das Lachen. Selbst bei einer Beerdigung sollte gelacht werden. Als mein sogenannter Quatsch-Opa gestorben ist – viel zu früh, ein großer Verlust –, haben wir alle sehr viel und herzlich gelacht und das war befreiend und das war schön und das hätte der Verstorbene genauso gewollt. Dennoch hat auch das Grenzen, die man nicht überschreiten sollte. Wenn Leute nach unten treten, auf Minderheiten zum Beispiel, dann hat das Lachen keinen Platz.
Ich erinnere mich an eine Szene aus "Schulz & Böhmermann", 2016 war das. Jan Böhmermann sagte, man könne im Umgang mit Ihnen nur "Empathie simulieren" und ihr Stirnrunzeln sprach Bände. Als dieser schließlich erklärte: "Man findet nicht die richtigen Worte dafür", konterten Sie lakonisch mit: "offensichtlich ja". Was war so schlimm an dieser Situation?
Ich vergleiche das immer gerne damit, wie Kinder sich mir gegenüber verhalten. Es gibt die Kinder, die sofort neugierig sind, wenn sie mich mit dem Rollstuhl sehen und alle Fragen stellen und an allen Knöpfen drehen: "Warum kannst du nicht laufen? Warum stehst du nicht auf?". Die wollen dann mitfahren und herumdrücken und den Rollstuhl am liebsten selbst steuern. Und dann gibt es die Kinder, die Angst haben und einen großen Bogen um den Rollstuhl machen oder sogar weinen. Ich glaube, das ist exemplarisch für die erwachsenen Menschen, die eine tiefe Unsicherheit in sich spüren, das ist eine kleinere Form der Angst. Ich glaube, das war auch bei Jan Böhmermann so. Ich für meinen Teil würde mir immer, auch auf die Fettnäpfchen-Gefahr hin, wünschen, dass die Menschen offen und direkt sind und in jedes Fettnäpfchen treten.
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Unbeholfenheit kann sich unterschiedlich ausdrücken. Gerade im Fernsehen gibt es den Hang dazu, auf Biegen und Brechen jedes Fettnäpfchen zu umschiffen.
Ich kann nur für mich sprechen: Lieber einmal zu viel ins Fettnäpfen treten, als einen zu großen Bogen machen. Es liegt dann auch an mir, auf die Leute zuzugehen, es Ihnen leichter zu machen. Bei Jan Böhmermann ist mir das wahrscheinlich nicht so gelungen. Er hatte mich schon ein paar Mal öffentlich parodiert, deswegen war ich eher in einer passiven Haltung. Aber sonst versuche ich schon immer proaktiv auf die Menschen zuzugehen, um Unsicherheiten abzubauen. Ich habe Herrn Böhmermann, das tut mir dann auch leid, in dieser Situation nicht sehr viel helfen können.
Wir wollen gemeinsam Kinder bekommen. Biologisch ist dafür alles wunderbar in Takt.
Samuel Koch
Sie haben eben von der natürlichen, ehrlichen Art gesprochen, die Kinder an den Tag legen. Ist das bei Ihnen und Ihrer Frau eigentlich ein Thema: eine Familie gründen, selbst Kinder bekommen?
Ja, allerdings. Ich bin jetzt 35 Jahre alt. Ich muss gleich mal meiner Frau sagen, dass die Uhr tickt. Wir finden gerade noch nicht so die Zeit, Stichwort: Stress und Ruhelosigkeit. Aber klar, wir wollen gerne Kinder bekommen. Biologisch ist dafür jedenfalls alles wunderbar in Takt, Gott sei Dank. Es ist jetzt nur noch eine Frage, wann, wie und wo.
Wir haben über Nachwuchs gesprochen, über den Tod, das Lachen bei einer Beerdigung: Wie stellen Sie sich Ihre ideale Beisetzung vor?
Auf meiner Beerdigung muss es eine ordentliche Sause geben, das ist klar. Wenn da nicht getanzt und gelacht wird, dann bin ich beleidigt. Der Tod gehört zum Leben dazu, das Leben muss man nach bestem Gewissen feiern und so denke ich, dass man auch am Tod Feierpotenzial entdecken kann ...
Aber?
Auch das Weinen und das Trauern ist wichtig. Das fällt mir auf der Suche nach Schwerelosigkeit und wie man Schwere los wird, immer wieder auf: Man wird die Schwere nie ganz los und man wird die Schwerelosigkeit nie erreichen, es geht eher darum, wie man mit der Schwere lebt und wie man sich mit der Schwere arrangiert und damit umgeht. Und da gehört beides dazu, das Weinen wie hoffentlich auch das Lachen.
- Interview mit Samuel Koch