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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Scorpions-Star über Bob Dylan "Ich habe mich nicht getraut, ihn anzusprechen"
An Bob Dylan scheiden sich die Geister: Für die einen ist er ein Genie, andere meckern. Nun wird der Musiker 80 – und bekommt von Scorpions-Sänger Klaus Meine eine besondere Würdigung.
Beatles, Rolling Stones, The Who: Alles Bands, für die sich Scorpions-Frontmann Klaus Meine, 72, zu Beginn seiner Karriere begeisterte. Ein Mann, der am Pfingstmontag die 80 Jahre erreicht, hat Meine ebenfalls schwer beeindruckt: Bob Dylan, ein schüchtern wirkender Musiker mit Gitarre und Mundharmonika, der Songs für die Ewigkeit verfasst hat.
Im t-online-Interview würdigt Klaus Meine Dylans Verdienste als Musiker, Poet und Nobelpreisträger, er erklärt, wie ein richtig großer Hit gelingen kann und verrät, wie er Dylan einmal über den Weg lief:
t-online: Herr Meine, ziemlich viele Menschen würden ziemlich viel dafür geben, Bob Dylan mal die Hand zu reichen oder ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Vor Jahren haben Sie ihn einmal getroffen – aber nicht angesprochen. Was war da los?
Klaus Meine: Das war in einem Restaurant in Los Angeles. Ich kam da rein – und da saß er mit einer Begleitung beim Abendessen. Ich habe mich einfach nicht getraut, ihn anzusprechen.
Sie sind doch selbst ein Star!
Ja, aber Dylan ist Dylan, den spricht man nicht einfach von der Seite an! Noch dazu war er gerade beim Dinner, und ich kann gut nachvollziehen, dass man da nicht von Fans gestört werden will. Wenn Paul McCartney dort gesessen hätte, ok, dann vielleicht (lacht). Aber Dylan hat so eine Aura, die nötigt einem Respekt ab.
Wann begann Ihre Begeisterung für Dylan?
Mit meinen ersten Bands in den Sechzigerjahren spielten wir Coverversionen von den Beatles, den Stones und The Who. Plötzlich erschien dieser schüchterne Typ mit Akustikgitarre und Mundharmonika auf der Bildfläche. Zunächst hat er mich nicht weiter interessiert. Aber dann hörte ich Jimi Hendrix "All Along the Watchtower" spielen – und stellte fest: Dieser Hammer-Song war ursprünglich gar nicht von Hendrix, sondern von diesem Typen mit der Mundharmonika!
Dylan.
Ja, Bob Dylan. Und der schrieb dann einen genialen Song nach dem anderen. Eindringliche Melodien und vor allem poetische Texte. Zu Recht hat er dafür 2016 als erster Songwriter überhaupt den Nobelpreis für Literatur erhalten.
Klaus Meine, Jahrgang 1948, ist Sänger und Frontmann der deutschen Hard-Rock-Band Scorpions. Der Musiker steht seit Jahrzehnten auf der Bühne, 1989 komponierte er den Welthit "Wind of Change".
Dylan tingelt seit Jahrzehnten über die Bühnen der Welt, seine "Never Ending Tour" hat er nur wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt. Wenn man ihn heute auf der Bühne sieht, wirkt er allerdings … nun ja, etwas uninspiriert. Sollte er sich mit 80 Jahren allmählich zur Ruhe setzen?
Warum denn? 80 ist doch nur eine Zahl. Solange man als Musiker die Power hat, und Generationen von Fans auf der ganzen Welt dich weiter motivieren, gibt es keinen Grund aufzuhören. Ich habe Dylan ebenfalls vor einiger Zeit live erlebt und will ehrlich sein: Sein Auftritt gehörte nicht in die Top-Ten-Liste der besten Konzerte, die ich je besucht habe. Aber darum geht es gar nicht. Dylan ist ein Genie, eine Institution.
Aber so ein Leben als Live-Musiker birgt doch viele Strapazen.
Nein, Leute, es ist überhaupt keine Strapaze, auf der Bühne zu stehen und für die Fans zu spielen. Für mich ist es geradezu ein Jungbrunnen. Klar, wenn man älter wird, muss man ein bisschen auf sich aufpassen. Aber es gibt nichts Schöneres, als zu hören, wenn Zigtausende von Fans deine Songs singen.
Was ist mit Drogen und Alkohol? Wie viele andere Rockstars war auch Dylan zeitweise abhängig. Gehören solche Exzesse zum Rockerleben dazu?
Ja, für manche schon. Jeder geht anders mit Stress um. Dem einen bekommt das Leben als Rockstar besser, dem anderen schlechter. Aber an Dylans 80. Geburtstag sieht man doch deutlich, dass zum Glück nicht alle Legenden früh sterben – sondern das tun, was sie ihr Leben lang am liebsten gemacht haben: Songs schreiben und sie auf der Bühne für die Fans zu singen.
Wie schreibt man denn eigentlich einen Welthit? Erklären Sie bitte mal schnell!
Am besten folgt man seinem Instinkt und Gefühl. Als ich "Wind of Change" geschrieben habe, ging es mir so. Das Ende der Achtzigerjahre war eine unglaublich intensive Zeit. 1988 spielten wir mit den Scorpions im damals noch sowjetischen Leningrad, 1989 in Moskau. Unsere Eltern waren Jahrzehnte zuvor mit Panzern gekommen, wir kamen mit Gitarren. Es war wie eine Verbrüderung von Zehntausenden Menschen. Die Rotarmisten, die bei den Konzerten als Ordner dienten, zogen sich ihre Uniformjacken aus, warfen ihre Mützen vor Begeisterung in die Luft und rockten mit dem Publikum zu unseren Songs. Das waren einmalige Momente, so tief berührend. In diesem Augenblick hat sich für uns die Welt verändert. Und aus so einer Stimmung heraus kann dann ein Song wie "Wind of Change" entstehen.
Dabei war diese Ballade ja ein ganz anderer Stil als die harten Songs, die Sie bis dahin mit den Scorpions gespielt hatten.
Ja, der Song war schon anders. Ich war mir, ehrlich gesagt, nicht sicher, ob er vor allem wegen des Pfeifens am Anfang meinen Bandkollegen gefallen würde. Hätten sie ihn abgelehnt, hätte es ihn nie gegeben.
Dann können wir ja froh sein, dass sie ihn mochten. "Wind of Change" gilt heute als Hymne der Wendezeit. Welchen Song von Bob Dylan würden Sie denn als epochal bezeichnen?
Wo soll ich anfangen? Da gibt es viele. Aber "The Times They Are a-Changin'" sticht heraus, der ist einfach unvergleichlich. Versetzt euch mal in die damalige Zeit, 1964: Der Vietnamkrieg begann zu eskalieren, die Friedensbewegung erstarkte. Und dann sang Dylan (rezitiert):
"Come senators, congressmen
Please heed the call
Don't stand in the doorway
Don't block up the hall
For he that gets hurt
Will be he who has stalled
The battle outside ragin'
Will soon shake your windows
And rattle your walls ..."
Ich finde, das hat sogar etwas Prophetisches, das ist bis heute hochaktuell! Das klingt wie eine vorweggenommene Anspielung auf die Erstürmung des US-Kapitols durch Donald Trumps Anhänger. Bob Dylans Songs sind zeitlos. Und werden sicher auch kommende Generationen begeistern.
Viele Kriegsgegner und Bürgerrechtler verehrten Dylan wegen seiner gesellschaftskritischen Lieder als Idol. Er selbst fühlte sich aber sehr unwohl in dieser Rolle. Wie erklären Sie sich das?
Bob Dylan war und ist ein politischer Musiker. 1963 trat er beim berühmten Marsch auf Washington durch Martin Luther King zusammen mit anderen Künstlern wie Joan Baez auf. Aber als Musiker und Poet will man das eigene Werk vielleicht nicht zu sehr von der Politik dominieren lassen, vielleicht liegt es daran.
Dylan hat in vielen Musikrichtungen gespielt, Folk, Country, Gospel, Rock, Blues. Aber viele Fans haben ihm seinen Umstieg von der Akustik- auf die elektrische Gitarre übel genommen, 1966 wurde er auf offener Bühne als "Judas" beschimpft. Was macht so etwas mit einem Künstler?
Veränderungen sind immer eine kritische Sache, die einen Künstler Fans kosten können. Bei "Wind of Change" haben wir diese Erfahrung auch gemacht. Der Song war ein Welterfolg und hat den Scorpions ein neues Publikum eröffnet. Aber unsere Hard&Heavy-Fans waren dann doch etwas verunsichert. Da hilft nur eins: authentisch sein. Jeder Künstler macht solche Phasen durch. Am Ende belohnen einen die Fans, wenn sie spüren, dass man sich selbst treu bleibt.
Mit der Treue ist es aber so eine Sache. Seinen Hit "The Times They Are a-Changin'" hat Dylan als Werbemelodie an ein Finanzinstitut verkauft. Finden Sie das gut?
Das ist ein schmaler Grat. Wenn große musikalische Erfolge gelingen, kommen natürlich bald Anfragen aus der Industrie. Das war bei "Wind of Change" nicht anders.
Auch Sie haben Ihren Song verkauft.
Ja, auch ich habe diesen Fehler einmal gemacht – und ich würde es nicht wieder tun. Ikonische Songs haben ihren Platz in den Herzen der Fans, die Kommerzialisierung entwertet, wofür der Song steht.
Wo wir gerade bei ikonischen Songs sind: Was macht die Texte von Dylans Songs denn so wirkungsmächtig, dass er dafür sogar den Literaturnobelpreis bekam?
Es ist die Art, wie Dylan textet. Er drückt Dinge aus, sehr tiefgründig, ohne sie direkt zu benennen. Diese Kunst findet sich sehr oft in seinen Texten. Nehmen wir das berühmte "Blowin' in the Wind". Dort singt er: "How many roads must a man walk down, before you call him a man?" Das ist ein wunderschönes Bild! Und dann: "How many times must the cannonballs fly, before they're forever banned?" Das ist eine ganze Weltanschauung in elf Worten! Mich beeindrucken diese Zeilen sehr. Sie transportieren eine zutiefst humanistische Botschaft: Wie oft müssen noch die Waffen sprechen, bis sie endlich verbannt werden? Das ist doch eine entscheidende Frage der Menschheit!
Aber "The answer is blowin' in the wind", wie Dylan singt.
Leider. Aber die Frage bleibt und lässt uns seit Jahrzehnten nicht mehr los. Das ist es, was ich meine, wenn ich sage, dass Dylans Songs zeitlos sind. Er transportiert in wenigen einfachen Worten Emotionen und Botschaften, die alle Menschen auf der Welt verstehen und berühren. Deshalb sind seine Songs heute genauso relevant, wie sie es früher waren. Mehr kann ein Künstler nicht erreichen.
Herr Meine, vielen Dank für das Gespräch.
Darf ich noch etwas sagen?
Bitte.
Wenn Sie mich mal zufällig in einem Restaurant sitzen sehen, dann dürfen Sie es anders machen als ich damals. Trauen Sie sich ruhig und sagen Sie Hallo, ich freu mich darüber.
Sehr gern, Herr Meine.
- Telefonisches Gespräch mit Klaus Meine