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Mick Jagger wird 75: Der Zyniker hat die Drogen überlebt


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Mick Jagger wird 75
Der Zyniker hat die Drogen überlebt


25.07.2018Lesedauer: 4 Min.
Der Ausnahmekünstler steht bis heute auf der Bühne: Hier im Juni diesen Jahres bei der "No Filter Tour" im französischen Marseille.Vergrößern des Bildes
Der Ausnahmekünstler steht bis heute auf der Bühne: Hier im Juni dieses Jahres bei der "No Filter Tour" im französischen Marseille. (Quelle: Jean-Paul Pelissier/reuters)
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Er gehört zu den einflussreichsten Musikern unserer Zeit: Mick Jagger hat "Rock ’n’ Roll Lifestyle" überlebt und gehört zu den Lichtgestalten einer besonderen musikalischen Epoche. Heute wird er 75.

In mein Leben trat Mick Jagger Anfang der Sechzigerjahre, als er im "Beat Club" spielte, einer verdienstvollen Sendung von Radio Bremen, in der wir sie zum ersten Mal sahen: die Stones, die Beatles, die Doors, Jimi Hendrix, Manfred Mann.

Wie alle trug Jagger die Haare lang, aber ordentlich gekämmt, nie strähnig. Ein netter Junge aus ordentlicher Familie. Er lernte Keith Richards an der "London School of Economics" kennen, einer der besten Universitäten der Welt. Beide sind gebildet, sie wissen, was sie tun. Es ist eben kein Zufall, dass sie Hunderte Texte schrieben, aus denen Klassiker wurden: "Time Is On My Side" war das erste Lied, das ich von ihnen mochte. Dann kamen "Satisfaction" und "Paint It Black".

Enge Hosen und freigelegter Oberkörper

Mick sah besser aus als Keith, damals war das nicht so leicht wie heute. Bald spielte er auf der Bühne mit seinem Sex-Appeal: die sensible Oberlippe, die volle Unterlippe, der Mund lasziv geöffnet, wie es ihm die Groupies vormachten. Er übte Rollen ein. Er trug enge Hosen, damit sich das Gemächte abzeichnete. Dann kamen die tief ausgeschnittenen Paillettenklamotten, der freigelegte Oberkörper, er schminkte sich, er spielte auch den schwulen Jungen, aber das konnte Freddie Mercury von Queen einfach besser.

Für uns war die große Frage unserer Jugend: Beatles oder Stones? Ich mochte die Beatles lieber, schätzte aber auch die Stones. Sie ergänzten sich, sie hingen ja auch zusammen herum, sie koksten und soffen zusammen im Bentley von Keith Richards, wie wir inzwischen aus dessen Biografie wissen.

Ich kaufte mir ihre Platten, manche klaute ich auch, weil ich nicht genug Taschengeld besaß. Ich wuchs mit den Beatles/Stones/Yardbirds/Cream/Chicago auf. Ich machte meine Eltern mit den langen Haaren, den Schlaghosen, der lauten Musik wahnsinnig. Es war unsere Kultur, es blieb unsere Kultur. Wir verdanken ihr vieles. Für uns schuf die Musik etwas Neues, Eigenes, das uns von den Alten abgrenzte. Großartig.

"Who wants to live forever"

Mick Jagger ist der große Überlebende dieser Zeit. Denn die Popgeschichte ist auch die Geschichte eines Menschenversuchs: Wie viel Kokain/Heroin/LSD/Alkohol/Tabletten verträgt der Mensch? Etliche trieben es zu weit: Brian Jones, der Leadgitarrist der Stones, ein Schönling: mit 27 im Rausch im Pool ertrunken. Jim Morrison, der melancholische Sänger der Doors, der so aussah, wie Mick am liebsten ausgesehen hätte, weich und sinnlich: tot mit 27. Jimi Hendrix, für mich der Größte überhaupt: gestorben an einem Mix aus Alkohol und Schlaftabletten mit 27.

Mir zieht sich das Herz zusammen, wenn ich an diese Toten denke: so unfassbar viel Talent, so unfassbar große Musik, so schrecklich früh weggeblasen. "Who wants to live forever" sang Freddie Mercury, der es bis 45 schaffte. Ich freue mich über jeden, der davon gekommen ist. Schon einmal deshalb ist es ein Glück, dass Mick Jagger noch unter uns weilt, unentwegt Kinder zeugt, unentwegt neue Freundinnen hat, unentwegt auf Tour geht.

Mick Jagger macht weiter

Ich war im vorigen Jahr bei den Stones in Hamburg und vor ein paar Wochen in Berlin. Es ist schon lustig zu sehen, wie sie hinter der Bühne in dunklen Vans vorfahren, etwas eckig aussteigen und dann auf die Bühne schlendern, umtobt und umschrien wie vor 50 Jahren: Keith Richards mit seinem Gesicht wie brüchiger Wüstenboden; der Stoiker Charlie Watts am Schlagzeug; Keiths kleiner Drogenbruder Ronnie Wood ("Ein Song, eine Nase"), an den ich mich nie gewöhnen werde; und Mick, der große Mick, der auf der langen Rampe zum Publikum auf und ab stakst, die Arme knicken lässig im Rhythmus ab, und dann singt er dieses wunderbar tückische "Sympathy For The Devil":

"Please allow me to introduce myself
I'm a man of wealth and taste
I've been around for a long, long year
Stole many a man's soul to waste
And I was 'round when Jesus Christ
Had his moment of doubt and pain
Made damn sure that Pilate
Washed his hands and sealed his fate"

Wenn man fast sechzig Jahre im Geschäft ist, kann man nur als Zyniker überleben, ohne dass der Zynismus alles ist. Mick Jagger macht einfach das weiter, was er immer mit Leidenschaft und größtmöglichem Körpereinsatz gemacht hat: Bluesrock, eben seine Musik. Er braucht das große Publikum in den großen Stadien und hat keinerlei Schwierigkeiten, sie zu füllen. Er ist immer noch ein Ereignis und die Stones machen, unterstützt natürlich inzwischen von einer Vielzahl an Bläsern/Bassgitarristen/Organisten, immer noch gute Musik. In Hamburg waren sie besser als in Berlin.

Ein großer Bruder

Mick Jagger ist ein Großer, schon einmal deshalb, weil er überlebt hat. Ihm können die enthüllenden Ergüsse in den Autobiografien der anderen wenig anhaben. Ja, er ist treulos, wie es Jerry Hall schmerzlich erfahren und aufgeschrieben hat. Ja, er ist ein Control Freak und ein Geizhals, wie uns Keith Richards und Bill Wyman (der Bassist, der 1993 freiwillig ausgestiegen ist) bewegt mitteilen. Ja, große Männer können große Arschlöcher sein, wissen wir doch, aber na und?

75 Jahre ist er heute: Für mich ist Mick Jagger wie ein großer Bruder, der wider Erwarten so alt geworden ist und dem ich nachsehe, dass er so tun muss, als sei er für immer jung, und dem ich es von Herzen gönne, dass er irgendwann in Frieden und im Kreis der Seinen stirbt. Wenn es so weit ist, werde ich eine Nacht lang seine Lieder hören und mich betrinken, versprochen.

Happy Birthday, Mick, alles Gute.

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