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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Steven Gätjen über die Oscars Oscars? "Es ist wie die Fußballweltmeisterschaft"
Er ist der Mann für die internationalen Stars: Steven Gätjen. Im Interview mit t-online.de spricht er über die Oscars, schwierige Promis und den Bedeutungsverlust deutscher Preisverleihungen.
Es gibt kaum einen Star, den Steven Gätjen noch nicht vor dem Mikrofon hatte. Vor genau 20 Jahren stand der 47-jährige Hamburger das erste Mal für ProSieben auf dem berühmtesten roten Teppich der Welt und begleitete die Oscars – auch dieses Jahr führt er live durch die deutsche Ausstrahlung.
Inzwischen ist er so etwas wie ein alter Haudegen im Oscars-Showgeschäft und erzählt im Interview mit t-online.de, dass er "überhaupt keinen Schiss" vor der glanzvollen Preisverleihung in Los Angeles hat. Außerdem berichtet uns der Moderator, welche Hollywoodstars als besonders schwierig gelten und welche Gefahren am roten Teppich lauern. Als er auf deutsche Preisverleihungen zu sprechen kommt, attestiert er einen Bedeutungsverlust und urteilt: "Wir schaffen es jedes Mal, uns unter den Scheffel zu stellen."
t-online.de: Herr Gätjen, die Verleihung der Oscars ist das größte Live-Filmevent im Jahr. Wie hart ist das alljährliche Hauen und Stechen am roten Teppich?
Steven Gätjen: "Hauen und Stechen" klingt immer martialischer, als es ist. Aber es geht schon sehr kämpferisch zur Sache, weil natürlich jeder versucht, die Stars vor die Mikros zu bekommen. Zum Glück hat es sich in den letzten Jahren schon ein bisschen gewandelt. Die internationalen Medien, dazu gehören auch wir mit ProSieben, werden nicht mehr so belächelt wie früher. Trotzdem ärgert es mich immer noch total, wenn die Stars eher einem mexikanischen Medium ein Interview geben als uns.
Auf wen freuen Sie sich mit Blick auf die Verleihung der Oscars in diesem Jahr besonders?
Wenn man sich das Line-up dieses Jahr anschaut, ist das natürlich unfassbar und echt der Hammer, wenn man das mit den letzten zehn, fünfzehn Jahren vergleicht. Ich nenne nur mal ein paar Beispiele: Saoirse Ronan, Charlize Theron, Joe Pesci, Al Pacino, Anthony Hopkins, Brad Pitt, Tom Hanks – das wird gigantisch! Aber: Am roten Teppich kann alles passieren.
Scott Orlin, ein Hollywoodreporter, der Mitglied der Hollywood Foreign Press Association ist, unterstützt Sie bei den Oscars. Wie läuft die Zusammenarbeit?
Scott Orlin und ich sind ein eingespieltes Team – mit ihm macht das ganz viel Spaß. Denn als Duo ist das deutlich einfacher, schnell reagieren zu können. Die Fernsehübertragung bei ProSieben ist die ganze Zeit komplett live. Wenn ich gerade einen Interviewpartner am Mikro habe, brauche ich einen kongenialen Partner, der bereits auf die Jagd nach dem nächsten Star geht. Ich kann schlecht über den roten Teppich "Brad" schreien und gleichzeitig mit Al Pacino ein Interview führen.
Diese sehr stressige Situation am roten Teppich uferte vergangenes Jahr in einen Fauxpas. Sie haben die Schauspielerinnen Margot Robbie und Brie Larson verwechselt. Wie genau ist das passiert?
Das war Scott Orlin, der die beiden verwechselt hat. Aber das könnte jedem passieren. Ich sage immer, es ist wie beim Fußball. Denn da ist es doch so: Die Zuschauer am Fernseher wissen immer alles besser. Auch ich bin nicht gefeit vor Fehlern. Ich hoffe in solchen Situationen einfach immer inständig, dass alle Beteiligten mit Humor darauf reagieren. Perfektion und Live-Fernsehen – das ist fast unmöglich.
Ist es oft so, dass Sie unsicher sind, wer dort gerade über den roten Teppich stolziert?
Man muss sich einfach vorstellen, wie viele Leute da in kürzester Zeit an einem vorbeigehen. Man kann nicht jeden kennen!
Haben Sie vor solchen Momenten Angst?
Nö, ich habe, ehrlich gesagt, überhaupt keinen Schiss. Ich bin total aufgeregt, aber ich freue mich darauf. Außerdem gibt es inzwischen so etwas wie eine Tradition: Wir machen jedes Jahr vorab ein Interview mit Wolfgang Puck.
… der österreichisch-amerikanische Chefkoch, der traditionell nach der Oscar-Gala das Gourmetgelage anrichtet.
Genau. Mit dem sprechen wir immer über das Oscar-Menü und durch dieses Interview entwickle ich meinen Groove. Danach geht es ohnehin Schlag auf Schlag, da bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Und selbst wenn mal etwas passiert, heißt es einfach: Kopf aus dem Sand und nach vorne gucken. Bedenken kann man sich am roten Teppich nicht leisten und "Angst" sowieso nicht – die ist immer ein schlechter Ratgeber.
Welche Stars gelten als besonders schwierig?
Ich wurde zum Beispiel immer vor Micky Rourke gewarnt, der das totale Bad-Boy-Image hatte. Aber als ich ihn interviewt habe, entpuppte er sich als der umgänglichste Mensch auf Erden. Dann wäre da Sandra Bullock, die eine sehr spezielle, etwas knurrige Agentin an ihrer Seite hat. Oder ein Russell Crowe, der grummelig sein kann, aber an guten Tagen mega-freundlich ist. Am Ende ist das tagesformabhängig – wenn man es richtig anstellt, lassen sich die meisten trotzdem verzaubern. Und bei den Oscars ist gerade das der Nervenkitzel: die Stars so einzufangen, dass sie mit einem Lächeln das Interview abschließen.
Kommen wir zum Oscar-Rennen: Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Kampf um den "Besten Film" dieses Jahr sehr männlich dominiert ist. Sind Gewalt und Männlichkeit die vorherrschenden Themen dieses Jahr?
Oh, so habe ich das noch gar nicht betrachtet. Ich finde, das lässt sich widerlegen. Dieses Jahr gibt es Filme von Filmemachern, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Martin Scorsese hat sich mit "The Irishman" selbst ein Denkmal gesetzt und drei Darsteller zusammen in den Film geholt, die man so nie mehr zusammen sehen wird. Quentin Tarantino hat als Autorenfilmer wieder unter Beweis gestellt, dass er die Geschichte Hollywoods zu Gunsten derer verändern kann, die es sich immer anders gewünscht haben – auch bei "Inglourious Basterds" gelang ihm das schon auf großartige Weise. Todd Philips ist einen ungemütlichen Weg gegangen und hat eine Backstory zu einem Schurken kreiert, der bis dato noch nie unter solch einem Blickwinkel betrachtet wurde. Dafür hat er Joaquin Phoenix an Land gezogen, der selbst immer ein bisschen neben der Spur wirkt, das aber in "Joker" großartig umsetzt.
In diesen Filmen, die Sie gerade aufgezählt haben, dominiert doch das grundlegende Motiv "Gewalt durch Männer" ...
Aber genauso sind Filme wie "Little Women" oder "Bombshell" im erweiterten Rennen, die ganz klar eine große weibliche Stärke in den Vordergrund stellen. Was ich eher nicht verstehe, ist: Warum ist keine Regisseurin nominiert? Greta Gerwig hat einen großartigen Film gemacht mit "Little Women", aber als Regisseurin ist sie nicht nominiert.
Absolut, auch das ist Teil des Problems. Ist nach "Oscars so white" nun "Oscars so male" angesagt?
Nicht nur. Schließlich ist auch mit Cynthia Erivo für "Harriet" nur eine afroamerikanische Darstellerin nominiert. Bei den Darstellern sieht es noch düsterer aus: Da sind nur weiße Männer in den Kategorien "Bester Hauptdarsteller" und "Bester Nebendarsteller" vertreten.
Sie sind jedes Jahr vor Ort, bereiten Sie sich akribisch auf die Academy Awards vor und sprechen Sie dort mit Menschen, die vor und hinter den Kulissen am Werk sind. Was ist Ihr Eindruck: Warum sind die Oscars immer noch so weiß? Warum werden Frauen so stark benachteiligt?
Es ist nicht mit einer Ansage gemacht! Die Academy hat es sich zwar nach dem "Oscars so white"-Skandal 2016 zum Ziel gesetzt, die Anzahl von Frauen und Minderheiten bis zum Jahr 2020 zu verdoppeln, aber das reicht nicht. Es wirkt, als wäre seit dieser Vergrößerung der Stimmberechtigten nichts weiter passiert. Dabei müsste es ein laufender Prozess bleiben, bei dem fortwährend über die Probleme diskutiert wird. Doch das passiert meiner Ansicht nach zu selten: Das lässt sich auch in der #MeToo-Debatte oder bei dem aktuellen Prozess um Harvey Weinstein beobachten.
Was muss sich aus Ihrer Sicht denn ändern, damit es in Zukunft diverser wird?
Schauen Sie sich die Golden Globes an: Dort entscheiden 93 Menschen darüber, wer den Preis gewinnt. Bei den Oscars sind es über 9.000 Menschen, die über die Gewinner abstimmen. Und natürlich ist so eine Wahl für jeden Einzelnen der Stimmberechtigten sehr subjektiv. Deshalb ist es wichtig, so wie in jedem anderen Job auch, dass sich die Mitglieder der Academy selbst hinterfragen, weiter einen Diskurs führen und offen bleiben.
Offenheit könnte auch bedeuten, dass plötzlich ein "Avengers" oder eben die nächste Big-Budget-Comicverfilmung unter den besten Filmen landet.
Ja klar, wieso auch nicht. Das war der kommerziell erfolgreichste Film überhaupt. Ich verstehe, dass darüber diskutiert wird, warum solche Filme bei den Oscars keine Rolle spielen. Das ist wie in Deutschland: Macht Til Schweiger einen neuen Kinofilm, kannst du die Uhr danach stellen, dass der Feuilleton diesen Film verreißt. Aber ich denke mir: Was wollt ihr denn? Ist doch super, wenn acht Millionen Menschen einen Til-Schweiger-Film schauen, dann hat er doch etwas, was die Menschen begeistert.
Aber sollten Preisverleihungen nicht dafür da sein, Filmen mit künstlerischem Anspruch eine Bühne zu geben, die vielleicht sonst nicht die Marketing-Power haben, ein großes Publikum zu erreichen? Würde es – um bei den Oscars zu bleiben – nicht einem Bedeutungsverlust gleichkommen, wenn mehr kommerzielle Hits abgefeiert werden?
Das glaube ich nicht. Preisverleihungen sind etwas Großartiges und das werden sie auch bleiben, selbst wenn Kassenhits zur Auswahl stehen. Ich finde eher etwas anderes problematisch, denn schauen wir uns doch mal hierzulande um. Wir Deutschen sind groß darin, Preisverleihungen zum Sterben zu bringen. Ob das die Goldene Kamera ist, die Relevanz des Bambi oder der Deutsche Filmpreis: Wir schaffen es jedes Mal, uns unter den Scheffel zu stellen. In Deutschland verpasst man die Möglichkeit, seine eigenen künstlerischen Werke zu feiern und damit auch den Weg für weitere Arbeiten zu ebnen. Das ärgert mich total! Es ist etwas Tolles. Etwas wie die Olympischen Spiele oder die Fußballweltmeisterschaft. Es geht darum, jemanden für seine Leistung auszuzeichnen!
Fordern Sie wieder mehr große Preisverleihungen in Deutschland?
Sagen wir mal so: Wenn es die Oscars oder die Golden Globes irgendwann nicht mehr geben sollte, wird der Aufschrei riesig sein. Diese Preise tun wahnsinnig viel für den Filmmarkt, schaffen Arbeitsplätze. Die Filme erleben an den Kinokassen nach den Verleihungen ihren zweiten Frühling, der Marktwert von den Schauspielern und Schauspielerinnen, Regisseuren und Regisseurinnen und Nachwuchstalenten wächst immens. Ohne die Oscars oder die Golden Globes hätten wir ganz viele Talente niemals gesehen oder ganz viele Filme und Serien nie kennengelernt.
Als Ricky Gervais dieses Jahr seinen Eröffnungsmonolog bei den Golden Globes gehalten hat, wurde das gefeiert. Doch viele in Deutschland haben gesagt: So etwas wäre hierzulande gar nicht möglich.
Genau das ist das Problem. Solche Sprüche zeigen, dass es nicht nur an den Veranstaltern liegt, sondern dass es auch beim Publikum an Bereitschaft fehlt. Denken wir nur mal daran, was das Ryan-Gosling-Gate 2017 bei der Goldenen Kamera für Reaktionen ausgelöst hat. Alle haben sich auf den Prank mit dem Double eingeschossen, alle haben die Goldene Kamera mit Spott und Häme überschüttet. Aber eines ist klar: Schadenfreude bringt in der Sache niemandem etwas. Und sie wird auch niemals dazu führen, dass Shows in Deutschland unterhaltsamer oder gar erfolgreicher werden.
Die Oscars werden am 9. Februar in der Nacht von Sonntag auf Montag bei ProSieben übertragen. Ab 0 Uhr zeigt der Sender die Ankunft der Stars am roten Teppich live. Die Übertragung endet offiziell um 5 Uhr morgens deutscher Zeit.
Die Academy Awards werden zum 92. Mal verliehen und finden im Dolby Theatre in Los Angeles statt. Ein deutscher Film ist dieses Jahr nicht unter den nominierten Beiträgen mit einer Chance auf die begehrte Trophäe in Form eines "Goldjungen".