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Marina Owsjannikowa: Wer ist die Frau, die Putins TV-Propaganda kaperte?


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Marina Owsjannikowa verurteilt
Sie kaperte Putins TV-Propaganda – und könnte dafür bitter bezahlen


Aktualisiert am 15.03.2022Lesedauer: 5 Min.
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Russland: Eine Redakteurin lief mit einem Plakat gegen den Ukraine-Krieg in die laufende Sendung. (Quelle: t-online)

Weltoffen und reiselustig: Bis vor wenigen Monaten jettete Marina Owsjannikowa noch um den Globus. Jetzt droht ihr ein Leben hinter Gittern, weil sie im russischen Fernsehen gegen den Krieg protestierte. Bilder von ihr kursieren, die sie vor Gericht zeigen sollen.

London, Paris, Pisa und eine Reise durch Liechtenstein, dann nach Venedig, Wien oder Buenos Aires: Marina Owsjannikowas Profile in den sozialen Medien zeichnen das Bild einer Weltenbummlerin. Reisen durch Europa und rund um den Globus, eine weltoffene Frau auf Sightseeingtour. Das ist die eine Seite, dokumentiert durch Urlaubspostings unter anderem auf Facebook.

Weltberühmt wird die Russin allerdings derzeit durch eine andere Facette. Owsjannikowa ist Redakteurin im russischen Staatsfernsehen, beim Sender Channel One – dem reichweitenstärksten TV-Kanal des Landes. Statt dort normal ihrem Job in der Nachrichtenredaktion nachzugehen, sorgte sie am Montagabend mit einer Anti-Kriegs-Aktion für Schlagzeilen. Sie tauchte in der Hauptnachrichtensendung mit einem Protestplakat auf, hochgehalten im Hintergrund, während die Sprecherin ihre Moderation vortrug. "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen", war auf dem Schild Marina Owsjannikowas zu lesen.

Jetzt wird sie vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in einer Ansprache für ihren mutigen Einsatz geadelt und der Clip ihres Fernsehauftritts wird weltweit in sozialen Medien geteilt. Die Reaktionen überschlagen sich: Schon jetzt feiern sie Menschen als Heldin im Kampf gegen Putins Propagandamaschine.

"Sie können uns nicht alle einsperren"

Denn noch ein anderes Video, das Owsjannikowa vor ihrem TV-Protest aufgenommen hatte, verbreitet sich nun wie ein Lauffeuer in den sozialen Medien. Darin gibt die Russin an, sich für ihre Arbeit beim Staatsfernsehen zu schämen. Sie habe auf dem "TV-Bildschirm gelogen", so Owsjannikowa. Sie beendet ihr Videostatement mit den Worten: "Wir, die russischen Menschen, können denken und sind klug. Es liegt nur an uns, diesen ganzen Wahnsinn zu beenden. Geht demonstrieren. Fürchtet nichts. Sie können uns nicht alle einsperren."

Doch Marina Owsjannikowa ist eingesperrt. Jedenfalls nach allen aktuellen Informationen, die unter anderem das russische Nachrichtenportal "93.ru" bisher zusammentragen konnte. Demnach sei die Redakteurin unmittelbar nach ihrer Protestaktion festgenommen und zur Polizeidienststelle Ostankino in Moskau gebracht worden. Ein Rechtsanwalt namens Daniil Berman soll versucht haben, ihr zu helfen. Demnach sei er "sofort zu ihr, aber er durfte nicht hinein".

Unterstützter sollen sich dem Bericht zufolge vor der Polizeistation versammelt haben. "In letzter Zeit ist überhaupt nichts Mutigeres und Inspirierenderes passiert", habe ein Passant Reportern vor Ort zu Owsjannikowas Einsatz mitgeteilt.

Dieser wollte der TV-Mitarbeiterin einen Blumenstrauß überreichen, durfte aber nicht, so "93.ru". Laut Daniil Berman hat niemand von außen zu ihr Kontakt gehabt. Der "Wall Street Journal"-Journalist Evan Gershkovich ergänzte diese Informationen am Dienstagmorgen in einem Posting auf Twitter.

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Demnach habe seit mehr als zwölf Stunden kein Anwalt zu Owsjannikowa durchdringen können. Die russische Nachrichtenagentur Tass berichtet laut Evan Gershkovich am Dienstag von einer neuen Entwicklung in dem Fall. So sollen die russischen Behörden derzeit prüfen, ob Marina Owsjannikowa eine Haftstrafe von bis zu 15 Jahren angedroht werden könne, weil sie angeblich falsche Nachrichten über das russische Militär verbreitet habe. Der Krieg in der Ukraine darf in Russland nur "Spezialoperation" genannt werden. Zuwiderhandlungen werden mit hohen Freiheitsstrafen geahndet.

EU äußert sich: "Ihre Anwälte dürfen keinen Kontakt zu ihr aufnehmen"

Laut EU-Angaben gilt Owsjannikowa als verschwunden. "Ihre Anwälte dürfen keinen Kontakt zu ihr aufnehmen", sagte der Sprecher des EU-Chefdiplomaten Josep Borrell am Dienstag. Der Protest sei das jüngste Beispiel einer mutigen Haltung, welche die Lügen und Propaganda des Kremls widerlege, hieß es von dem EU-Vertreter weiter. Die Kremlkritische "Nowaja Gazeta" meldet am Nachmittag des selben Tages: Owsjannikowa stehe bereits vor einem Moskauer Gericht. Dazu passend kursieren am Dienstag Bilder von ihr. Darauf auch zu sehen: Der belarussische Menschenrechtsanwalt Anton Gashinsky, der offenbar in Russland eine Zulassung als juristische Vertretung vorweisen kann. Den Meldungen zufolge werde Owsjannikowa "wegen der Organisation einer nicht genehmigten öffentlichen Veranstaltung" angeklagt.

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Wie es Owsjannikowa im Moment geht? Völlig unklar. Doch um ihren Auftritt tobt bereits jetzt ein erbitterter Kampf. Ein Kampf um Deutungshoheit. So behauptet ein Abgeordneter des ukrainischen Parlaments, die Aktion der Redakteurin sei eine ausgeklügelte Propagandaaktion, um im Westen ein anderes Bild der russischen Bevölkerung zu vermitteln und so eine Aufweichung der Sanktionen zu erreichen. Belege dafür bringt er nicht an.

Stattdessen wurde ein offensichtlich gefälschtes Instagram-Profil von Marina Owsjannikowa erstellt und verbreitet. Dort wird sie als große Unterstützerin des Kriegs in der Ukraine dargestellt. Laut ihren eigenen Angaben ist sie allerdings auch deswegen gegen Putins militärische Aggression, weil ihr Vater aus der Ukraine stamme. "Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter ist Russin – und sie waren nie Feinde", so Owsjannikowa in ihrem Video und weiter: "Diese Kette an meinem Hals ist wie ein Symbol dafür, dass Russland den Bruderkrieg sofort stoppen muss".

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Ob sich die Wahrheit darüber aufklären lässt, wird auch davon abhängen, ob und wann Owsjannikowa wieder öffentlich in Erscheinung treten kann. Sei es über einen Anwalt, im russischen Fernsehen – oder über eines ihrer Social-Media-Profile.

Dort glänzte sie nicht nur mit zahlreichen Urlaubsbildern aus aller Welt, sondern gab auch einen persönlichen Einblick in ihr Familienleben: "Glückliche Mama", steht auf ihrem Instagram-Account geschrieben. Bilder zeigen sie auf ihren Reisen mit einem Jungen und einem kleinen Mädchen. Ihren Postings zufolge hat sie mindestens eine Tochter, von der sie einmal als "Arina" spricht.

Ihr Exmann arbeitet bei "Russia Today"

Außerdem scheint Owsjannikowa Hundebesitzerin zu sein. Mehrere Golden Retriever haben es der Journalistin nach eigenen Angaben angetan. Auch auf ihren vielen Urlaubsausflügen durfte Vierbeiner "Berry" nicht fehlen. Was die Russin auf Instagram noch preisgibt, deckt sich auch mit einem Interview, das sie vor 20 Jahren dem Portal "Yuga.ru" gegeben hat. Demnach habe sie sich seit ihrer Kindheit mit Turnen und Schwimmen beschäftigt und vor allem bei Letzterem Erfolge feiern können. Sie sei für das Universitätsteam angetreten und habe in Krasnodor die Uni-Meisterschaften gewinnen können.

Dort, an der staatlichen Universität Kuban, studierte sie Anfang der 2000er übereinstimmenden Medienberichten zufolge. Damals noch unter ihrem Mädchennamen: Marina Tkachuk. Erst später habe sie geheiratet und nahm von Igor Owsjannikow den Nachnamen an. Dieser ist laut Informationen von "93.ru" Regisseur und arbeitet für "Russia Today", hat aber auf Medienanfragen bislang nicht reagiert. Das Paar habe sich scheiden lassen und lebe getrennt, heißt es.

Nach ihrem Studium in Krasnodar, das nur vier Autostunden von der 2014 durch Russland besetzten Krim liegt, besuchte sie die staatliche Universität "Ranepa" in Moskau. Im Jahr 2005 schloss sie ihr Studium dort ab. Seitdem habe sie in der russischen Hauptstadt gelebt und nach unterschiedlichen Jobs in der Medienbranche schließlich eine Anstellung beim Staatssender Channel One ergattern können.

Dass sie ausgerechnet dort mit ihrem Aufruf zum Frieden nun zu Weltruhm gelangt, birgt eine gewisse Ironie. Denn in ihrem ersten Interview, das sie als junge Studentin gab, sagte sie, angesprochen auf ihre sportlichen Qualitäten, über den in Russland beliebten Fußballsport: "Wenn Fußball einen Mann von einer Waffe abhalten kann, ist das einfach großartig!"

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