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Betrug im Skispringen: Severin Freund über Regelverstöße und Doping


Norwegens Anzug-Betrug
Olympiasieger wird deutlich: "Ein riesengroßes Drama"

  • Melanie Muschong
InterviewVon Melanie Muschong

Aktualisiert am 13.03.2025 - 10:57 UhrLesedauer: 7 Min.
Marius Lindvik: Der Norweger kürte sich 2022 zum Olympiasieger.Vergrößern des Bildes
Marius Lindvik: Der Norweger kürte sich 2022 zum Olympiasieger. (Quelle: IMAGO/GEPA pictures/ Thomas Bachun/imago-images-bilder)
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Das norwegische Skisprung-Team hat Betrug zugegeben. Die Umstände erschüttern den Sport – und machen auch Deutschlands früheren Leistungsträger Severin Freund fassungslos.

Am vergangenen Wochenende wurden die norwegischen Skispringer Marius Lindvik, Johann André Forfang und Kristoffer Eriksen Sundal nach dem WM-Wettbewerb auf der Großschanze disqualifiziert. Der Weltverband (Fis) begründete die Entscheidung mit einer "Manipulation des Anzugs". Inzwischen hat das norwegische Team den Betrug durch eine unerlaubte verstärkte Naht in den Anzügen, die mehr Stabilität bot, gestanden. Cheftrainer Magnus Brevig wurde suspendiert, ebenso wie sein Assistent Thomas Lobben und der Anzugschneider Adrian Livelten.

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Am Mittwoch gab die Fis bekannt, dass Lindvik und Forfang "wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an illegalen Ausrüstungsmanipulationen" ebenfalls suspendiert sind und vorerst nicht mehr an Wettkämpfen teilnehmen dürfen. Der Skandal erschüttert die Skisprung-Welt und beschäftigt auch den früheren deutschen Skisprung-Star und TV-Experten Severin Freund. Im Interview mit t-online spricht der 36-jährige Skiflug-Weltmeister von 2014 über die Folgen für seine Sportart – und darüber, was sich nun ändern muss.

t-online: Wie bewerten Sie die Auswirkungen der Manipulation der Norweger auf die Sportart?

Severin Freund: Man kann noch gar nicht absehen, was das für Folgen haben wird. Es ist ein riesengroßes Drama. Gleichzeitig habe ich die Hoffnung, dass es eine große Chance sein kann.

Was erhoffen Sie sich?

Dass die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden. Es muss ganz dringend etwas am Kontrollprozedere geändert werden, damit so etwas in Zukunft nicht mehr möglich ist und es zu einer größeren Fairness kommen kann.

Wie sollte sich Ihrer Meinung nach das Kontrollprozedere durch den Weltverband Fis verändern?

Wenn es möglich ist, sind technische Lösungen ein Vorteil, weil es dann keinen menschlichen Faktor mehr gibt. Bisher hat man gesagt, dass das noch nicht möglich ist. Das muss man abwarten. Es steht ja auch im Raum, dass die NFC-Chips, die in die Anzüge eingefügt und kontrolliert werden, von den Norwegern geklont wurden und damit eventuell das Reglement der Anzugbeschränkung umgangen worden ist. Wenn das so wäre, dann würde es zeigen, dass auch die Technik nicht unfehlbar ist. Es braucht zukünftig die Manpower für die Kontrollen und den Willen, dass man von Anfang an eine Null-Toleranz-Linie fährt. Dann hätte man ein besseres System.

Gäbe es dann auch im Laufe der Saison weniger Materialentwicklungen unter den Nationen?

Am Anfang dieser Saison gab es Materialunterschiede. Deutschland war relativ gut aufgestellt und Österreich wahrscheinlich am besten. Ihnen sind die Regeländerungen zugutegekommen. Andere Nationen hinkten am Anfang hinterher. Das ist aber nicht das große Problem. Es darf meiner Meinung nach auch weiterhin eine Materialentwicklung geben.

Aber?

Es muss einen ganz klaren Rahmen geben. Wenn sich aber jemand – wie es jetzt passiert ist – über den Rahmen hinwegsetzt, dann muss es sofort und direkt ganz klare Sanktionen geben. Im Moment hat man nicht das Gefühl, dass die Fis in einer aktiven Rolle ist, sondern nur auf das reagiert, was passiert. Das ist keine gute Situation.

Was bräuchte es für Strafen bei Regelverstößen?

Bei Regelverstößen könnte es Sperren geben oder auch Materialentzug. Auch finanzielle Sanktionen könnten verhängt werden. Wichtig ist, dass es abhängig ist von der Schwere des Verstoßes. Da gibt es klare Unterschiede.

Welche genau?

Es gibt eine Disqualifikation wegen der Anzuggröße. Das wird man auch in Zukunft ab und zu nicht verhindern können, weil der menschliche Körper sich verändert und auch das Material weiter dehnbar bleiben muss. Sonst funktioniert die Sportart nicht. Das fällt für mich in eine Kategorie, in der gut und gewissenhaft gearbeitet wird, es aber dennoch eine Disqualifikation geben kann.

Was darf nicht passieren?

Es gibt Faktoren wie die Luftdurchlässigkeit. Das ist für mich eine andere Kategorie, da man das gut überprüfen kann. Und dann gibt es eine Kategorie für das, was wir jetzt gesehen haben. Ich kenne es aus meiner Karriere, dass man sich ein neues Regelwerk durchliest, prüft, was erlaubt ist, und auf dieser Basis schaut, wie man das Beste für sich herausholen kann. Natürlich will jeder einen Vorteil. Das macht den Leistungssport aus. Bei den Norwegern war es jetzt so, dass sie wussten, was man nicht darf – und es dennoch gemacht haben. Für so einen Fall muss es drastische Strafen geben.

Das Vergehen der Norweger wurde auch schon als Doping bezeichnet.

Man kann den Unterschied ziehen, dass es beim Doping die Komponente der körperlichen Schädigung gibt, die in Kauf genommen wird. Das war jetzt bei den Norwegern nicht der Fall. Aber von der Intention ist es das gleiche wie Doping.

Die Norweger behaupten, dass die Springer nichts vom Betrug gewusst hätten. Merkt ein Skispringer Veränderungen am Anzug?

Doch, ganz klar. Dafür sprechen in dem ganzen Prozedere relativ viele Dinge, meiner Meinung nach. Wenn man sich das Betrugsvideo anschaut, dann hat man nicht den Eindruck, dass da hektisch gearbeitet wird. Man hat das Gefühl, dass das sehr routiniert passiert, dass jeder Handgriff sitzt und dass man da weiß, was man tut. Das wäre aber nicht so, wenn ein Anzug das erste Mal umgenäht wird.

Warum?

Ich war früher dabei, als bei uns Anzüge umgenäht wurden. Da sitzen der Schneider und der Sportler zusammen und es wird überlegt, wie die Vorstellungen des Springers umgesetzt werden können. Das ist aber kein routinierter Prozess, bei dem der Schneider die Schritte kennt, wie es im Video der Norweger zu sehen ist. Das spricht für mich dafür, dass man das im Vorfeld bereits getestet – und das nicht nur einmal, sondern mehrfach – und auch angewendet hat. Das muss der Athlet spüren.

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Glauben Sie, dass Marius Lindvik und Johann André Forfang davon gewusst haben?

Lindvik und Forfang sind keine No-Names. Einem Weltcupneuling könnte man zugutehalten, dass er noch nie mit so fein abgestimmtem Material gesprungen ist. Vielleicht würde er denken, dass das dann endlich ein Weltcupanzug ist. Aber wir haben es mit Leuten zu tun, die im Fall von Lindvik schon Olympiasieger sind. Athleten, die wissen, was sehr gutes Material ist. Und die wissen auch, wenn etwas anders ist. Das merkst du ehrlicherweise schon, wenn du in den Anzug steigst. Du musst nicht einmal damit springen. Mir reichen deswegen bisher weder die Erklärungen von norwegischer Seite noch von der Fis.

Es kursieren ja auch Gerüchte um einen Betrug bei der Bindung.

Auch das merkst du als Springer sofort. Du schaust dir ja dein Material auch an. Du kontrollierst immer wieder die Bindung und kontrollierst deinen Anzug, ob Löcher darin sind. Nachlässigkeit oder Naivität, die nötig wären, dass man solche Änderungen nicht bemerkt, kann ich mir bei den betreffenden norwegischen Athleten beim besten Willen nicht vorstellen.

Muss die Fis dann auch den WM-Wettkampf von der Normalschanze noch einmal neu analysieren?

Sie muss es sich auf jeden Fall anschauen. Auch, um herauszufinden, was genau passiert ist, und um eine Chronologie der Ereignisse zu bekommen. So kann festgestellt werden, was man für die Zukunft lernt. Inwieweit man etwas am Ergebnis verändern kann, das steht auf einem anderen Blatt Papier. Wenn eine Wettkampfnachkontrolle durchgeführt wurde, dann steht an sich erst einmal das Ergebnis.

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Reichen die bisherigen Schritte des Weltverbandes aus?

Im Moment reicht es mir nicht, was von der Fis gemacht wird. Die Fis hat am Dienstag gesagt, dass alle Anzüge konfisziert wurden. Da war aber so viel Zeit dazwischen, dass Norwegen in der Zeit natürlich sämtliche Spuren hat beseitigen können. Das zeigt auch wieder, dass die Fis bei dem Prozedere nur auf den Druck von außen reagiert. Das ist etwas ganz Schlechtes für den Sport.

Andreas Wellinger hat gesagt, dass er wenig Lust hat, den Norwegern auf der Schanze zu begegnen. Können Sie das nachvollziehen?

Natürlich. Du weißt ja, dass du auf eine Art und Weise hintergangen worden bist, die du dir als Athlet einfach nicht vorstellen kannst. Da verstehe ich Andreas Wellinger zu 100 Prozent. Immerhin sind die zwei Athleten, um die es vorrangig geht, jetzt im ersten Moment mal suspendiert und deswegen muss er sie nicht an der Schanze sehen. Das war wahrscheinlich auch das Mindeste, was man jetzt in dem Moment machen musste, um da irgendwie eine Reaktion zu zeigen.

Was muss passieren, damit Skispringen in einem Jahr bei den Olympischen Winterspielen glaubwürdig wahrgenommen wird?

Ich glaube gar nicht, dass es so viel ist. Es ist ja angemerkt worden, dass das Reglement so komplex und nicht mehr durchsetzbar sei. Ich glaube schon, dass es durchsetzbar ist. Wir haben im Skispringen kein Problem des Reglements.

Sondern?

Wir haben ein Problem der Reglementdurchsetzung. Man muss sich einen Maßnahmenkatalog überlegen. Darin muss festgehalten sein, wie solche Manipulationen verhindert werden können. Aber auch, was passieren muss, wenn ein Betrug stattfindet. Die Sanktionen müssen grob abschreckend sein. Und dann muss es eine Null-Toleranz-Linie geben. Dann wird es schnell einen Effekt geben, dass nicht mehr so ans Limit gegangen wird. Man muss vermeiden, dass es überhaupt zu der Idee kommen kann, sich über das Reglement hinwegzusetzen. Diesen Fall darf es nicht mehr geben.

Müsste die Fis bei Disqualifizierungen die Gründe transparenter machen, für eine bessere Nachvollziehbarkeit?

Man kann sich überlegen, ob es ein Protokoll davon gibt, das einfach öffentlich gemacht wird. Wichtiger ist für mich, dass die Prozesse funktionieren. Es ist auch nicht förderlich, dass die Fis jedes Jahr das Reglement verändert. In anderen Sportarten wird in Olympiazyklen gedacht. Dass wir im Skispringen jedes Jahr Materialänderungen haben, ist ein Hinterherlaufen einer falschen Idee, dass man damit für Fairness sorgen würde. Man sorgt für mehr Chancengleichheit, wenn man sich ein Reglement überlegt und das längere Zeit durchführt. Man müsste mehr an der Kontrolle des Reglements arbeiten als am Reglement selbst.

Was ist ihre größte Hoffnung?

Dass der Druck der anderen Nationen und der mediale Druck so hoch bleibt bei der Sache, dass es kein "back to business" mehr geben kann. Dass es wirklich zu einer Aufarbeitung kommt, die Konsequenzen haben wird und die vermeidet, dass so etwas in Zukunft noch einmal vorkommen kann. Da ist der norwegische Verband gefragt, aber in erster Linie auch die Fis. Nicht nur dahingehend, was Norwegen gemacht hat, sondern auch dahingehend, was der Weltverband selbst versäumt hat.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Severin Freund
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