t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomeSportWintersportBiathlon

Biathlon: Erik Lesser empfindet neue Startregel als "unprofessionell"


Nachrichten
Wir sind t-online

Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Erik Lesser über neue Biathlon-Startregel
"Es ist mega unprofessionell"


Aktualisiert am 30.11.2024 - 10:25 UhrLesedauer: 7 Min.
Erik Lesser: Der Ex-Athlet verfolgt noch genau, was im Biathlon passiert.Vergrößern des Bildes
Erik Lesser: Der Ex-Athlet verfolgt noch genau, was im Biathlon passiert. (Quelle: IMAGO/Vesa Moilanen/imago-images-bilder)

Jahrelang war Erik Lesser selbst als Biathlet aktiv. Er ist seinem Sport als Schießtrainer und TV-Experte noch immer verbunden – und nimmt nicht jede Neuerung positiv auf.

Es geht wieder los und alle Biathlon-Fans dürfen sich auf die neue Saison freuen. Am Wochenende startet der Biathlon-Weltcup im finnischen Kontiolahti. Auch in diesem Winter gelten die Norwegerinnen und Norweger wieder als Favoriten auf Siege und Podestplätze. Doch auch auf den Deutschen um die erfahrenen Athleten Franziska Preuß und Johannes Kühn liegen die Hoffnungen. Also alles wie immer? Nicht ganz. Denn: Der Biathlon-Weltverband IBU hat sich eine neue Regel ausgedacht.

Laut dieser dürfen die Top-15-Athleten nun nicht mehr selbst entscheiden, in welcher der im Biathlon üblichen vier Startgruppen sie an den Start gehen wollen. In der Vergangenheit haben sich die Spitzenathleten meist für die erste Gruppe und eine niedrige Startnummer entschieden. Der Grund: Zu Beginn eines Rennens ist die Strecke weniger abgenutzt. Im Laufe des Rennens könnte für die später startenden Biathleten also ein Nachteil entstehen. Ab dieser Saison müssen die besten Biathletinnen und Biathleten jedoch im Sprint und Einzel in der dritten Gruppe – mit einer Startnummer zwischen 46 und 75 – an den Start gehen. Der frühere deutsche Weltklasse-Biathlet Erik Lesser steht dieser Neuerung kritisch gegenüber, wie er im Gespräch mit t-online erklärt.

Lesser: "Ich würde es als Bestrafung empfinden"

"Ich würde es als Bestrafung empfinden", so der 36-Jährige. Der Silbermedaillengewinner im Einzel bei den Olympischen Spielen in Sotschi 2014 ergänzt: "Ich sehe die Relevanz nicht so richtig, warum man es unbedingt dem Langlauf gleich machen und alle in eine Startgruppe legen muss. Ich verstehe nicht die Not."

Der Weltverband IBU will die neue Startregel im November und Dezember testen, um die Individualrennen im Biathlon für die TV-Zuschauer spannender zu gestalten. Zudem sollen die Topathleten durch die gleiche Startgruppe auch die gleichen Bedingungen haben. So der Plan. Den Ansatz an sich begrüßt Lesser: "Ich verstehe das Argument, dass man versucht, die Rennen bis zum Ende spannend zu halten. Es ist ein lobenswerter Ansatz, dass man versucht, die Sportart im Fernsehen präsent zu sehen."

"Das Produkt Biathlon funktioniert ja im Fernsehen in Ordnung"

Der in Oberhof als Schießtrainer arbeitende Ex-Star gibt jedoch zu bedenken: "Es ist nur die Frage: Schalten die Zuschauer dann nicht erst bei Startgruppe zwei ein oder schalten sie wie gewohnt die Vorberichte ein und schauen im deutschen Fernsehen von Startgruppe eins bis zum letzten Läufer?" Lesser sieht die Gefahr, dass die Zuschauer später einschalten, weil sie wüssten, dass erst dann die Topläufer kämen.

Ein weiterer Einwand des 36-Jährigen ist, dass nicht alle Topathleten in der Vergangenheit die erste Startgruppe gewählt hätten: "Ich denke auch an besondere Wetterverhältnisse, bei denen sich die Besten in Startgruppe eins und vier wiedergefunden haben. Das Feld war zerpflückt, weil man nicht wusste, welche die beste Startgruppe sein würde. Sicherlich war der Fall selten, aber es gab ihn."

 
 
 
 
 
 
 

Eine Notwendigkeit, die Attraktivität der TV-Übertragungen zu steigern, sieht der Verfolgungsweltmeister von 2015 ebenfalls nicht unbedingt. Als TV-Experte für die ARD hat er Einblicke hinter die Kulissen: "Das Produkt Biathlon funktioniert ja im Fernsehen in Ordnung. In der Redaktion vom RBB und der ARD höre ich jetzt nicht, dass das Produkt unattraktiv ist."

Lesser erklärt zudem: "Zwar sind in der Startgruppe vier bisher keine Top-25-Athleten gewesen, aber wie oft hatten wir den Fall, dass da hinten nichts passiert?" Die Antwort: Wohl eher selten.

Nach dem neuen Modell starten in der ersten Gruppe nun 15 Athleten, die nicht zu den 30 besten gehören. Jede Nation darf dafür einen Sportler auswählen. In Gruppe zwei befinden sich Biathleten, die in der Gesamtwertung des Weltcups auf Platz 16 bis 30 liegen. Zudem werden hier auch Athleten eingeordnet, die schlechter als die Top 30 sind. Die Ermittlung erfolgt über ein Losverfahren. In der dritten Gruppe gehen dann die besten 15 Athleten an den Start. Auch diese Gruppe wird per Losverfahren noch durch Sportler ergänzt, die nicht in den besten 30 des Gesamtweltcups zu finden sind. In der vierten Startgruppe sind dann die restlichen Biathleten abseits der Top 30 zu finden.

Umstellung beim Warmmachen nötig

Die besten 15 Athleten müssen sich in dieser Saison also an einen neuen Ablauf beim Start gewöhnen. Doch nicht nur das: Durch die Versetzung in Startgruppe drei ist auch das Aufwärmen und Anschießen unmittelbar vor Wettkampfbeginn betroffen. Die Athleten, die sich bisher in der ersten Gruppe befunden haben, konnten sich vor dem Start auf der Wettkampfstrecke aufwärmen und dort auch anschießen. Ein paar Minuten vor dem Start und der TV-Übertragung wird die Strecke dann geschlossen und der erste Biathlet begibt sich bei den Individualrennen dann darauf. Ab diesem Zeitpunkt können die Athleten, die eine höhere Startnummer haben, sich nicht mehr auf der Strecke aufwärmen, sondern müssen dies auf einer Warm-Up-Runde tun.

Diese Warm-Up-Runden sind allerdings nicht auf allen Weltcupstationen gleich gut oder vorhanden. Athleten finden hier unterschiedliche Bedingungen vor. Abhängig ist dies auch davon, ob es an dem Ort natürlichen Schnee gibt – oder nur die Rennstrecke mit Kunstschnee präpariert wurde.

"Das hat mit Warm-up und Warmlaufen nichts zu tun"

Die schwedische Topathletin Elvira Öberg sagte daher bereits der Zeitung "Expressen": "Das Risiko ist, dass ich mit der Startnummer 75 in Nové Město stehe, wo es keine Aufwärmstrecke gibt. Wie soll ich mich da aufwärmen? Da gibt es keinen Schnee, auf dem man sich aufwärmen kann, weil wir das auf der Strecke machen, auf der das Rennen gelaufen wird." Öberg merkte an, dass es in diesem Fall für die Athleten dann die Option gäbe, neben der Strecke zu joggen. Sie erklärte jedoch: "Da muss man dann hoffen, dass man verletzungsfrei ist und das überhaupt machen kann." Alternativ wäre es noch eine Option, dass sich die Biathleten auf dem Rad warm machen.

Loading...
Loading...

In Nové Město fand im Februar dieses Jahres die Weltmeisterschaft statt. Es gab jedoch fast keinen Schnee, viel Regen und Temperaturen teilweise deutlich über dem Gefrierpunkt. Wenn neben der Strecke also noch eine Warm-Up-Runde für die Athleten präpariert wird, sind die Bedingungen nicht immer optimal.

Diesen Punkt hat auch Erik Lesser erkannt, der aus seiner Zeit als aktiver Athlet eine ebenso kritische Sicht auf das Aufwärm-Thema durch die neue Regel hat: "Wir reden von einer Warm-up-Runde von 200 bis 300 Metern im Flachen. Das hat mit Warm-up und Warmlaufen nichts zu tun." Natürlich sei dies auch den Wetterlagen und dem Klimawandel durch die höheren Temperaturen geschuldet. Lesser fügt jedoch an: "Aber es ist mega unprofessionell. Das habe ich als Athlet schon immer nicht gemocht, wenn ich in der dritten und vierten Startgruppe war und mich auf so einer Pseudo-Warm-up-Runde warmlaufen musste. Das bedeutet dann in manchen Fällen und manchen Wetterlagen für die Topathleten eine Unprofessionalität. Sie müssen sich dann zu Fuß warm machen." Lesser spricht damit genau das an, was bereits Öberg kritisiert hatte.

"Schade, wenn ein Weltverband etwas durchdrücken will"

Lesser erklärt zudem, dass die Aufwärmrunde in Oberhof, Nové Město oder auch Ruhpolding nicht gut gewesen sei. Die Aufwärmrunde in Östersund betitelt das frühere deutsche Biathlon-Ass als "in Ordnung". Wegen dieser Erschwernis des Aufwärmens in einer höheren Startgruppe wählte der dreifache Biathlon-Staffel-Europameister oft eine niedrige Startnummer: "Das war für mich immer ein Grund, in die Startgruppe eins und zwei zu gehen." Lesser erklärt auch: "Das finde ich immer schade, wenn ein Weltverband gegen die Athleten etwas durchdrücken will." Er habe dies in den letzten Jahren bis zu der Regeländerung nun eigentlich nicht so vom Weltverband wahrgenommen.

Allerdings fühlen sich die Athleten durch die Regeländerung nicht ernst genommen. Der Schwede Sebastian Samuelsson hatte zuletzt gesagt: "Wir haben hart gearbeitet, um so wenig Veränderung wie möglich zu bekommen, und haben wirklich versucht, Kompromisse einzugehen, aber leider gab es keinen Kompromiss."

Das hat nun zur Folge, dass sich alle mit den neuen Umständen vertraut machen müssen. Lesser sieht das Problem neben dem Warmmachen auch beim Anschießen schon kommen. "Jetzt kann es sein, dass der Topathlet mal kurz zum Anschießen geht, sich einläuft und dann zurück in die Kabine geht", so der TV-Experte. Das Anschießen findet normalerweise immer eine Stunde vor Beginn des Starts statt und dauert rund 40 Minuten. Wäre der Start also um 12 Uhr, wäre das Anschießen um 11 Uhr. Erst sind die Athleten der ersten beiden Gruppen dran, im Anschluss und den letzten 20 Minuten dann die Athleten der dritten und vierten Gruppe. Wenn dann aber bis zum Start der Gruppe drei jedoch noch einmal 45 bis 50 Minuten vergehen, könnten die Sportler möglicherweise auch darauf verzichten.

Lesser führt aus: "Dann würde jetzt nach der neuen Regel aber kaum jemand beim Anschießen sein. Der Topathlet würde sich fragen: 'Warum sollte ich um 11 Uhr schon auf dem Ski sein? Das bringt mir gar nichts." Denn: Der Biathlet müsste ja noch einmal die Ski ausziehen, um dann zum Beispiel einen Laufschuh zum Aufwärmen anzuziehen, sollte es keine Warm-Up-Runde geben. Im Anschluss müsste er die Schuhe wieder umziehen.

"Ich weiß nicht, ob ein Johannes Thingnes Bö Lust auf einen Laufschuh hat", so Lesser, der die Umständlichkeit deutlich macht: "Erst den Skischuh anziehen, wieder ausziehen, dann den Laufschuh an und wieder ausziehen und wieder in die Skischuhe. Es gibt schon Athleten, die sich sehr intensiv warmmachen müssen in der halben Stunde und da ist Hauen und Stechen auf so einer Warm-up-Runde." Neben den nicht optimalen Bedingungen spielt auch die Anzahl der Athleten auf der Aufwärmrunde eine Rolle und der Platz, der den Athleten zum Warmmachen bleibt.

Die Kritik von Lesser und Öberg zur Startregeländerung sind dabei keinesfalls Einzelfälle. Zahlreiche andere Athleten hatten sich bereits darüber beklagt. Der Italiener Tommaso Giacomel sagte über die neue Regel bei "biathlonazzuro.it": "Diese Änderung ist Bullshit." Auch die deutsche Biathletin Selina Grotian meinte im Wintersport-Podcast der "Sportschau": "Ich muss sagen, ich finde sie sehr schwierig. Ich finde, man hat sich die Startgruppenauswahl erarbeitet über die Jahre und hat das Recht darauf, selbst entscheiden zu dürfen." Ähnlich betrachtet es DSV-Athlet Johannes Kühn: "Aus sportlicher Sicht glaube ich, dass es nicht ideal ist." Dennoch müssen die Athleten die neue Startregel erst einmal akzeptieren.

Der Biathlon-Weltcup startet am Samstag mit der Single-Mixed-Staffel und der Mixed-Staffel. Am Sonntag stehen dann Männer-und-Frauen-Staffel auf dem Programm. Das erste Einzel der Herren findet am 3. Dezember statt. Einen Tag später sind dann die Frauen dran (alle t-online-Biathlon-Liveticker finden Sie hier).

Verwendete Quellen
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website