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Tour de France-Interview: "Herr Degenkolb, haben Sie Angst vor Corona?"


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Tour-Start trotz Pandemie
Herr Degenkolb, haben Sie Angst vor Corona?

  • T-Online
InterviewVon Alexander Kohne

Aktualisiert am 29.08.2020Lesedauer: 5 Min.
John Degenkolb: Der Rad-Star spricht im Interview mit t-online.de auch über die veränderte Situation durch die steigenden Corona-Infektionszahlen.Vergrößern des Bildes
John Degenkolb: Der Rad-Star spricht im Interview mit t-online.de auch über die veränderte Situation durch die steigenden Corona-Infektionszahlen. (Quelle: Sirotti/imago-images-bilder)

Heute startet die Tour de France – und das mit Zuschauern an der Strecke. In Frankreich explodieren derweil Corona-Infektionszahlen. Das beunruhigt auch den deutschen Rad-Star John Degenkolb, doch Angst hat der deshalb nicht.

Während fast alle großen Sportereignisse in Zeiten der Corona-Pandemie ohne Zuschauer auskommen, will die Tour de France darauf nicht verzichten. Doch die Infektionszahlen in Frankreich stiegen zuletzt deutlich an – landesweit auf über 6.000 positive Fälle täglich. Wenn heute (ab 15 Uhr im Liveticker von t-online.de) die erste Etappe in Nizza startet, geht es also bei weitem nicht nur ums Sportliche – zumal Nizza als Risikogebiet gilt. Das beschäftigt natürlich auch den deutschen Rad-Star John Degenkolb vom Team Lotto-Soudal, der nach einem Jahr Pause wieder bei der "Grand Boucle" am Start steht.

t-online.de: Herr Degenkolb, Sie haben seit 772 Tagen keine Tour-Etappe mehr absolviert. Wissen Sie überhaupt noch, wie sich das anfühlt?

John Degenkolb: Auf alle Fälle habe ich Entzugserscheinungen (lacht). Aber ich weiß natürlich noch, wie sich die Tour anfühlt, spüre fast noch die ganz besondere Atmosphäre in Frankreich, die mit keinem anderen Rennen vergleichbar ist. Allerdings wird die Tour dieses Jahr eine andere sein – und ich bin schon gespannt, wie es sich anfühlen wird.

Die Pandemie ist allgegenwärtig. Inwiefern trägt der Veranstalter dem Rechnung?

Ja, Corona ist das beherrschende Thema zurzeit. Und natürlich trägt die ASO (Abkürzung für Amaury Sport Organisation, dem Veranstalter des Rennens; Anm. d. Red.) dem Rechnung. Mit ständigen Tests für alle, die im Tross der Tour dabei sind – von Fahrern, über das Team bis hin zu den Journalisten. Dazu werden einige Highlights in den Bergen nicht oder nur sehr eingeschränkt für Zuschauer zugänglich sein. Das ist einerseits natürlich Schade, andererseits aber sicher ein guter Weg, um die Sicherheit für alle Beteiligten zu erhöhen.

Einige Virologen warnen von dem hohen Infektionsrisiko. An der Strecke stehen die Fans normalerweise dicht an dicht und schon bei anderen Rennen haben Fahrer kritisiert, dass nicht alle Zuschauer die Maskenpflicht beherzigen. Ist es nicht eigentlich unverantwortlich, eine Tour unter diesen Umständen auszufahren?

Ich bin kein Virologe und will jetzt auch nicht einer der 80 Millionen Hobby-Virologen werden, die es gefühlt schon gibt (lacht). Aber wenn man ihnen gut zuhört, kann man schon mitnehmen, dass es an der frischen Luft nicht wirklich so gefährlich ist, wenn sich alle an die Regeln halten. Zuschauer sollten deshalb aus meiner Sicht eine Maske tragen und den Abstand einhalten – was ja zum Glück nicht so schwer ist, denn die Stecke ist ja lang genug.

John Degenkolb
Der gebürtige Geraer fährt seit 2020 für das Team Lotto-Soudal. 2015 triumphierte er bei den Frühjahrsklassikern Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix. 2018 gewann er seine erste Tour de France-Etappe in Roubaix.

Aber mal ehrlich: Beim Fußball sind keine oder – wenn überhaupt – ein paar Hundert Zuschauer. Nun bei der Tour reden wir über mehrere Millionen. Ist das für Sie persönlich nachvollziehbar?

Zum Glück findet unser Sport im Gegensatz zum Fußball nicht in einem überdachten Stadion mit einer eher engen Ein- und Ausgangssituation statt. Auch bieten die 4.000 Tour-Kilometer natürlich an der Strecke deutlich mehr Platz, um Abstände einzuhalten und nicht zu vergessen: Normalerweise findet die Tour eigentlich dann statt, wenn die ganze Welt Sommerferien hat. Auch das ist dieses Mal anders, und auch die vielen Fans die sonst aus Übersee, aus Australien, Neuseeland oder Kolumbien zur Tour kommen, wird es diesmal nicht geben. Und da, wo traditionell viel los ist, an den großen Anstiegen, will die Tour den Zugang ja vernünftigerweise beschränken – was ich gut und richtig finde.

Sie haben vor der Tour gegenüber der "Sport Bild" gesagt: "Man macht sich schon Gedanken, zum Beispiel über mögliche Spätfolgen einer Covid-Infektion." Haben Sie Angst vor Corona?

Nein, Angst habe ich keine. Aber natürlich versucht man jedes Ansteckungsrisiko zu vermeiden, denn als Leistungssportler lebt man auch von einem voll funktionsfähigen Körper und den will ich mir natürlich erhalten. Das gilt aber so auch für alle anderen Krankheiten, insofern ist das tatsächlich eine der wenigen Sachen, die sich durch Corona für uns Leistungssportler nicht gravierend geändert haben – wir versuchen immer, nicht krank zu werden. Jetzt, mit Corona, wünsche ich mir, dass insbesondere die Zuschauer uns dabei unterstützen und sich unbedingt an die Regeln halten. Also liebe Fans: Maske auf und Abstand einhalten. Und vielleicht auch mal die Tour am TV verfolgen – im letzten Jahr habe ich ja erlebt, dass es auch mal ganz schön sein kann, das ganze Rennen zu sehen.

Kommen wir zum Sportlichen: Sie sind zum siebten Mal dabei, haben sich bei Ihrer letzten Teilnahme 2018 mit dem emotionalen Sieg in Roubaix einen Kindheitstraum erfüllt. Hat man da überhaupt noch größere Ziele?

Endlich (lacht). Im Ernst: Natürlich habe ich Ziele. Für mich persönlich aber ganz besonders zusammen mit meinem Team Lotto-Soudal. Ich wiederhole das ja gefühlt vor jeder Tour und jedem Rennen: Radsport ist ein Teamsport und jeder Sieg, der eingefahren wird, ist das Ergebnis harter Arbeit von allen, die dabei waren. Und so wird das auch in diesem Jahr sein: Wir wollen Siege einfahren, haben mit Caleb Ewan einen Top-Sprinter für die Flachetappen und auch sonst viele, sehr gute Optionen, die wir ausspielen wollen. Schön wäre es, wenn wir auf den vorangehenden Etappen erfolgreich sein könnten und dann alle gemeinsam in Paris ankommen würden. Und wenn sich unterwegs eine Chance für mich bietet – dann werde ich versuchen, sie zu nutzen.

Wie 2018 gibt es auch jetzt durchaus Stimmen, die sagen: "Degenkolb hat keine großen Siege mehr in den Beinen." Was entgegnen Sie denen?

Nichts – was soll ich dazu sagen? Ich finde es absolut legitim, eine Meinung zu haben und die auch zu äußern und kann damit auch umgehen (lacht). Und es ist vielleicht auch ein kleines Stückchen Extra-Motivation.

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Werfen wir einen Blick auf den Gesamtsieg: Die Ex-Toursieger Chris Froome und Geraint Thomas sind aus Leistungsgründen nicht dabei, der Vorjahresdritte Steven Kruijswijk verletzungsbedingt. Primoz Roglic ist vor der Tour gestürzt und geht entsprechend gehandicapt an den Start und Vorjahressieger Egan Bernal hatte zuletzt mit Rückenschmerzen zu kämpfen. Riecht es da nicht förmlich nach einem Überraschungssieger – beispielsweise dem Vorjahresvierten Emanuel Buchmann, auch wenn der zuletzt im Vorfeld ebenfalls gestürzt ist?

Eigentlich wäre es ja mal wieder an der Zeit für einen deutschen Toursieger. Aber ganz ehrlich: Emanuel Buchmann ist im letzten Jahr eine tolle Tour gefahren, auch zuletzt war er gut drauf – trotzdem sollte man nicht vergessen, dass da mindestens zehn Fahrer sind, die in Frage kommen. Wartet mal ab, wer wie in die Tour kommt, es geht ja gleich bergig los, und dann sehen wir weiter.

Und wenn Sie sich auf einen Sieger festlegen müssten, auf wen würden sie setzen?

Zum Glück muss ich mich ja nicht festlegen, könnte es auch jetzt nicht. Wie gesagt: ich sehe einige Fahrer und Teams, die die Chance auf den Gesamtsieg haben. Am besten fragen Sie mich das in zwei Wochen nochmal...

Wer von den anderen deutschen Fahrern hat die besten Chancen, auf sich aufmerksam zu machen und evtl. sogar seinen Sieg einzufahren?

Wir sind alle gut drauf und werden hoffentlich auch aus deutscher Sicht eine gute Tour haben. Schön wäre es, wenn die Zuschauer und ein bisschen auch die Journalisten dabei nicht nur auf Siege schauen würden, sondern auch auf das, was einer für sein Team leistet. Das geht ja leider immer ein wenig unter.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit John Degenkolb
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