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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tour de France startet Rad-Star Martin erwartet bei der Tour einen Spießrutenlauf für Froome
Tony Martin ist seit Jahren einer der besten Zeitfahrer der Tour de France. Beim Start heute hat er hohe Erwartungen. Auf Favorit Christopher Froome sieht er schwere Zeiten zukommen.
Die zehnte Teilnahme, fünf Etappensiege, mehrere Tage in Gelb: Mit 33 Jahren ist Tony Martin eine Art Institution der Tour de France. Ohne den gebürtigen Cottbusser können sich deutsche Radsportfans die Frankreich-Rundfahrt kaum vorstellen. Kritisch hat er sich zuletzt über den Start von Top-Favorit Christopher Froome geäußert – und bekräftigt dies auch kurz vor dem heutigen Tour-Start (ab 11 Uhr im Liveticker). t-online.de erreichte Martin im Hotel seines Teams Katusha Alpecin in La Roche-sur-Yon nahe der französischen Atlantikküste.
t-online.de: Herr Martin, Sie gehen in Ihre zehnte Tour. Inwiefern ist das überhaupt noch etwas Besonderes für Sie?
Tony Martin: Natürlich kommt irgendwann eine gewisse Routine rein. Aber wenn man dann wirklich am Start steht und das alles in sich aufsaugt, bekommt man erst richtig mit, wie groß die Tour wirklich ist – mit den Zehntausenden Fans an der Strecke und dem ganzen Rummel drumherum. Spätestens dann realisiert man wieder, wie besonders das alles ist.
Tony Martin
Der gebürtige Cottbuser fährt seit 2017 für Katusha Alpecin. Er gewann viermal den WM-Titel im Einzel- und dreimal im Mannschaftszeitfahren. Außerdem siegte er bei fünf Tour-de-France-Etappen.
Bei der deutschen Meisterschaft vor ein paar Tagen haben Sie im Zeitfahren den ersten Sieg dieser Saison geholt. Später haben Sie gesagt: "Nach der ersten Runde wusste ich: Der alte Tony ist wieder da." Auf einer Skala von eins bis zehn: Wie ist Ihre Form?
Es ist relativ schwer, von einem Zeitfahren auf die Gesamtform zu schließen. Was ich aber sagen kann: Zumindest im Flachen bin ich schon bei nahezu hundert Prozent meiner Leistungsfähigkeit. Ich fühle mich gut – und ausgeruht.
Bisher haben sie fünf Tour-Etappensiege. Wie viele kommen 2018 dazu?
(lacht) Das ist eine gute Frage. Geplant ist aktuell erstmal keiner…
Wirklich?
Man hofft natürlich immer, irgendwie eine Etappe abzuschießen. (lacht) Aktuell zählen für mich allerdings erst einmal die Helferdienste für unseren Top-Sprinter Marcel Kittel und unseren Rundfahrt-Spezialisten Ilnur Zakarin. Darauf ist die Strategie ausgelegt. Aber bei einzelnen Etappen rechne ich mir natürlich schon etwas aus – beispielsweise beim Zeitfahren am vorletzten Tag.
Es gäbe außerdem noch das Mannschaftszeitfahren. Sind die Chancen auf einen Etappensieg dort vielleicht sogar höher als beim Einzelzeitfahren?
Ganz ehrlich: Dazu muss ich mir das Profil des Einzelzeitfahrens noch einmal im Detail anschauen. Auf dem Papier sieht es extrem unrhythmisch aus, was mir nicht hundert Prozent entgegenkommt. Aber was die Höhenunterschiede angeht, ist das noch in meinem Bereich. Sagen wir so: Ich bin sicherlich nicht der Favorit, kann aber auf jeden Fall vorne landen. In jedem Fall sehe ich die Chancen dort höher als im Mannschaftszeitfahren. Wir sind zwar mit einem sehr guten Team hier, um den Sieg mitzufahren, wäre aber doch etwas hoch anvisiert. Dafür sind ein, zwei andere Mannschaften einfach zu stark.
Welche beispielsweise?
Ganz klar Sky mit Chris Froome. Die sehe ich absolut in der Favoritenrolle. Dazu noch BMC. Aber das Podium ist für uns auf jeden Fall drin. Doch das ist noch sehr weit weg. Aktuell zählt erstmal die erste Etappe – bei der wir eine gute Chance haben, ums Gelbe Trikot mitzufahren.
Dabei wird Ihr Kumpel Kittel zu den ganz großen Favoriten gerechnet. Wie sind die Chancen dafür, dass er gleich bei Etappe eins gewinnt und Gelb holt?
Auf jeden Fall groß. Marcel ist wirklich gut drauf, hat Selbstvertrauen. Natürlich sind die letzten Rennen nicht so gelaufen, wie wir uns das alle gewünscht haben. Aber wir haben ganz sicher einen der stärksten Sprint-Züge und mit Marcel den stärksten Sprinter.
Im letzten Jahr hat Kittel fünf Etappen gewonnen. Mit wie vielen Erfolgen wären Sie in diesem Jahr zufrieden?
Wenn ihm ein Sieg gelingen würde, wäre das schon ein sehr großes Ding für uns. Und wenn man einen Etappensieg hat, habe ich die Erfahrung gemacht, dass alles andere zum Selbstläufer werden kann…
Wären dann auch fünf Kittel-Siege wie 2017 drin?
Ja, denn wer gleich zu Beginn eine Etappe abschießt, der hat danach oft einen echten Run – bedingt durch das damit einhergehende Selbstvertrauen. Das beflügelt nicht nur den Sieger, sondern das ganze Team. Dann ist jederzeit eine Siegesserie möglich.
Sie sind mit Kittel sehr gut befreundet. Was ist er so für ein Typ? Sind sie während der Tour auch Zimmergenossen?
Genau, aber auf einem Zimmer sind wir nicht. Ich teile mein Zimmer mit Nils Politt, Marcel seines Rick Zabel. Nils und ich mögen es etwas ruhiger. Marcel und Rick sind dagegen lebhafter – also hier ein bisschen Musik oder auch mal lauter telefonieren usw. Deshalb haben wir uns für diese Aufteilung entschieden. Generell bringt Marcel sehr, sehr viel positive Energie mit. Es macht einfach Spaß, einen Typen wie ihn um sich zu haben: Er ist locker, bringt Jokes – und ist dazu natürlich auch ein Erfolgsgarant. Das tut dem Team extrem gut.
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Die vergangenen Tage wurden vom Hickhack um Christopher Froome bestimmt. Bei ihm wurde im September ein erhöhter Wert des Asthma-Medikaments Salbutamol festgestellt. Erst am Montag beschlossen der Weltradsportverband UCI und die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA, dass dieser nicht als Doping zu werten ist. Sie haben daraufhin klar Stellung bezogen, unter anderem gesagt: "Absolut unverständlich, dass so etwas möglich ist. Es sollte von der UCI eine Begründung zur Entscheidung geben oder zumindest eine nachvollziehbare Erklärung, warum es diese Begründung nicht gibt." Fällt der Radsport – was die fehlende Transparenz betrifft – in längst vergessene, dunkle Zeiten zurück?
Von außen sieht es für einige Beobachter sicherlich schnell so aus. Man darf aber nicht vergessen, dass es um einen Einzelfall geht. Deshalb würde ich mir wünschen, dass von der breiten Öffentlichkeit nicht wieder ein Generalverdacht auf den gesamten Radsport projiziert wird. Froome steht für eine gewisse Generation von Radsportlern und ist nun einmal der stärkste Radrundfahrer unserer Zeit. Deshalb hat sowas natürlich das Potenzial, den Radsport massiv zurückwerfen. Ich sehe die Schuld allerdings nicht bei ihm, sondern bei UCI und Wada. Die haben diese Situation durch ihr Verhalten und ihre Regelgebung erst möglich gemacht. Solche Verfahren müssen einfach zeitnah abgeschlossen werden – nicht erst über neun Monate später. Und Fahrer, die unter Doping-Verdacht stehen, sollten definitiv nicht an Wettkämpfen teilnehmen – wie es bei Froome noch vor zwei Monaten beim Giro d’Italia der Fall war. So steht die Tour 2018 schon vor Beginn im Schatten des Salbutamol-Falls Froome.
Bei der Teamvorstellung am Donnerstag wurde Froome ausgepfiffen. Wird die Tour für ihn nun zu einem Spießrutenlauf?
Ja, davon muss man leider ausgehen. Ich hoffe natürlich, dass die Fans einen gewissen Grad an Fairness walten lassen und sehen, dass Froome letztendlich freigesprochen wurde. Das sollte man akzeptieren. Ich hoffe, dass uns unschöne Szenen erspart bleiben – aber leider sind diese zu befürchten.
Was meinen Sie damit konkret?
Gerade am Berg, wenn das Tempo vergleichsweise niedrig ist, ist das Risiko hoch, dass sich irgendwelche Halbstarke, die dann vielleicht noch angetrunken sind, daneben benehmen. Es gab ja schon einmal eine Szene, in der Froome mit Urin beworfen wurde. Das geht natürlich gar nicht.