Tour de France Von den Pechvögeln der Tour
Von Oliver Strerath
Kraaach, der Knochen ist kaputt. Pffffff, der Reifen ist platt. Der Prolog und die bisher 15 Etappen der 99. Tour de France boten mehr als nur Sieger und stolze Männer in Führungstrikots. Es gab und gibt auch reihenweise Pechvögel bei der Frankreich-Rundfahrt, deren kleine und große Tragödien genauso zum Rennen gehören und die Tour daher auch so besonders machen.
Pech gehabt. Allen voran ein Deutscher konnte ein Lied davon singen, wie es ist, wenn überhaupt nichts zusammen laufen will. Ihn und seinen Leidensgenossen ist dieser Beitrag gewidmet.
Pechvogel Nummer eins: Tony Martin
Der Zeitfahr-Weltmeister war mit soviel Ambitionen in die Tour gestartet wie noch nie. Der Kurs, da nicht so schwer wie sonst, schien Tony Martin auf den Leib geschneidert. Schon im Prolog wollte es der Deutsche krachen lassen, ins Gelbe Trikot fahren. Pffffffff. Nach wenigen Kilometern war der Traum geplatzt - weil der Hinterreifen an seiner Rennmaschine dasselbe getan hatte. So hatte sich Martin den Tour-Auftakt nicht vorgestellt. Zumal, es kam noch schlimmer.
Die erste Etappe, Martin stürzte nach elf Kilometern, fiel auf die linke Hand. Am Abend wurde die bittere Befürchtung wahr: Kahnbeinbruch. Wieder ein Rückschlag für den Eschborner, der nach seinem Trainingsunfall im April gerade wieder in Schwung gekommen war. Mit Manschette an der lädierten linken Hand und großen Schmerzen setzte der 27-Jährige die Tour fort, um vielleicht im ersten Zeitfahren noch einmal ein Ausrufezeichen setzen zu können. Das tat wiederum erneut einer seiner Reifen: Der nächste Plattfuß bremste den Weltmeister auch im Zeitfahren rund um Besancon aus. Tags drauf, am ersten Ruhetag, beendete Martin "seine" T(ort)our.
Pechvogel Nummer zwei: Tom Danielson
Auch einen Amerikaner erwischte es. Tom Danielson, der eigentlich in die Top Ten fahren wollte, kam in der ersten Tour-Woche gleich mehrfach zu Fall. Beim ersten Sturz kugelte sich der Garmin-Fahrer die Schulter aus. Für einen Rad-Profi noch lange kein Grund, die Tour de France aufzugeben. Danielson fuhr weiter - bis zur sechsten Etappe. Wieder ging er hart zu Boden. Bei dem Massensturz, der mit Sicherheit zwölf Fahrer zum Aufgeben zwang.
Wieder hatte sich der US-Boy die Schulter ausgekugelt. Geschunden und übersät mit Wunden saß Danielson wie ein Häufchen Elend am Straßenrand. Diesmal hatte er genug. Die Tour 2012 war für ihn gelaufen. Unweit von ihm krümmte sich übrigens Wout Pouls vor Schmerzen im Straßengraben. Trotz schwerer innerer Verletzungen - dem Niederländer droht der Verlust einer Niere - setzte er sich noch einmal aufs Rad. Pouls quälte sich noch zehn Kilometer weiter. Dann gab auch er auf, beendete das Rennen vorzeitig. Wie bisher insgesamt 42 Fahrer, für die Danielson und Pouls hier stellvertretend erwähnt sein sollen. (Foto-Show: Diese Fahrer sind nicht mehr dabei)
Pechvogel Nummer drei: Cadel Evans
Es gibt sie aber auch, die Pechvögel, die bei der Tour noch dabei sind. Wie Titelverteidiger Cadel Evans. Der Australier war auszogen, zum zweiten Mal in Folge zu gewinnen. Und die Vorzeichen standen gut. Seine Hauptkonkurrenten aus dem Jahr 2011 fehlen: Andy Schleck (verletzt) und Alberto Contador (gesperrt), bei deren Kampf um den Tour-Thron Evans damals der lachende Dritte war. Doch diesmal scheint sich alles gegen den Clown mit dem traurigen Gesicht, wie der Australier oft genannt wird, verschworen zu haben.
Immer wenn Evans angreift, geht keiner mit, um das Gelbe Trikot von Bradley Wiggins in Gefahr zu bringen. Doch als der Vorjahressieger selbst Schwächen zeigte, hielten alle anderen zusammen. Und da war noch die 14. Etappe, die Etappe der böswilligen Nägelattacke von ein paar unverbesserlichen Fans. Der Australier hatte einen Defekt nach dem anderen, musste mehrere Minuten auf Ersatzmaterial für seine von Nägeln durchlöcherten Reifen ausharren. Zwar bremsten seine Widersacher diesmal und warteten. Dennoch, Evans' Moral erhielt einen herben Dämpfer. Er weiß nun, dass er eigentlich nur dank seiner Konkurrenten noch eine Chance hat und nicht schon deutlich abgeschlagen ist. Immerhin. Noch kommen die Bergetappen in den Pyrenäen und das zweite Zeitfahren. Gelegenheiten, sein Glück zu erzwingen. Oder noch mehr Pech zu haben.
Pechvogel Nummer vier: Christopher Froome
Den Zweiten der Tour de France als Pechvogel zu bezeichnen, mag absurd klingen. Aber Christopher Froome, der zudem eine Etappe gewonnen hat, könnte sogar der Spitzenreiter sein - wenn er denn dürfte. Seine fragwürdige Attacke im Schlussanstieg hinauf nach La Toussuire brachte dem Sky-Profi viel Kritik ein, sie offenbarte aber auch, wer der Stärkste in der britischen Mannschaft zu sein scheint. In dieser hat sich die Teamleitung aber auf Bradley Wiggins als ihren Favoriten auf den Toursieg festgelegt.
2:05 Minuten liegt Wiggins derzeit vor seinem Teamkameraden. Davon hat Froome tatsächlich nur 44 Sekunden auf der Strecke verloren. Der restliche Rückstand resultiert aus einer Panne auf der ersten Etappe. Wettmachen durfte der vermeintliche Helfer das Defizit nicht, der bei seiner Attacke zurückgepfiffen wurde. Ob es auch der Schlusspfiff für Froomes Chancen bei dieser Tour war?
Pechvogel Nummer fünf: Mark Cavendish
Bleiben wir im Team Sky, das den wohl besten Sprinter der Welt mit nach Frankreich gebracht hat. Aber Mark Cavendish hat eben nun mal das Pech, dass Teamkamerad Bradley Wiggins das Gelbe Trikot trägt und auf gutem Weg ist, die Tour zu gewinnen. So muss sich auch der Sprint-Dominator der vergangenen Jahre (20 Tagessiege von 2008 bis 2011) unterordnen.
Zwar hat "Cav" auf der zweiten Etappe zugeschlagen. Aber seitdem der Gesamtführende in Reihen seiner Mannschaft fährt, ist der aktuelle Weltmeister nur noch Wasserträger. Zumal auch ihn das Sturzpech traf.
Pechvogel Nummer sechs: Dries Devenyns
An dieser Stelle könnte auch ein anderer Name eines Ausreißers stehen. Etwa der des Euskaltel-Profis Pablo Urtasun, der als Flüchtling auf der fünften Etappe bis 200 Meter vor dem Ziel vom Sieg träumen durfte - dann kamen die Sprinter mit dem späteren Gewinner Andre Greipel vorbeigerauscht. Dries Devenyns ereilte ähnliches Schicksal gleich mehrfach.
Immer wieder versuchte es der Belgier bisher als Ausreißer. Er kam auch oft genug vor dem Feld an. Nur waren seine Mitstreiter eben schneller und er ging stets leer aus. Ein Los, dass die meisten Ausreißer bei der Tour ziehen.
Vom Pechvogel zum Glückskind
Dennoch werden sie auf ein Neues versuchen, die Ausreißer. Unermüdlich greifen sie an. Luis Leon Sanchez soll hier genannt sein. Und sein arg gebeuteltes Rabobank-Team natürlich - die niederländische Mannschaft hat nur noch vier Fahrer im Rennen.
Auf dem ersten Tagesabschnitt gestürzt, biss sich der Spanier durch. Der Lohn folgte auf der 14. Etappe, die Sanchez als Solist für sich entschied. So schnell können aus Pechvögeln ein Glückskinder werden. Auch das macht die Tour so besonders.