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John Degenkolb über Paris-Roubaix-Absage: "Es ist schmerzhaft"


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Rad-Star Degenkolb
"Es ist schmerzhaft und mega enttäuschend"

  • T-Online
InterviewVon Alexander Kohne

Aktualisiert am 12.04.2020Lesedauer: 6 Min.
Kopfsteinpflaster-Experte: 2015 gewann John Degenkolb als erster Deutscher nach 119 Jahren den Klassiker Paris-Roubaix.Vergrößern des Bildes
Kopfsteinpflaster-Experte: 2015 gewann John Degenkolb als erster Deutscher nach 119 Jahren den Klassiker Paris-Roubaix. (Quelle: t-online.de//Springstrow/imago-images-bilder)

Eigentlich wollte John Degenkolb heute bei Paris-Roubaix erneut Geschichte schreiben – exakt fünf Jahre nach seinem historischen Triumph dort. Doch wie fast alle Sportveranstaltungen wurde der Rad-Klassiker abgesagt.

Vor exakt fünf Jahren gewann John Degenkolb als erster Deutscher seit Josef Fischer im Jahr 1896 den Rad-Klassiker Paris-Roubaix. Spätestens seit diesem 12. April 2015 hat der 31-Jährige eine besondere Beziehung zum wohl härtesten Rennen des Jahres – der "Hölle des Nordens", bei der es 55 der 257 Kilometer über mittelalterliches Kopfsteinpflaster geht. Eigentlich wollte er an Ostern 2020 den nächsten Sieg beim traditionsreichen Rennen feiern. Doch wie fast alle anderen Sportveranstaltungen wurde dieses aufgrund der Corona-Krise vorerst abgesagt.

t-online.de: Herr Degenkolb, eigentlich hatten Sie heute geplant, bei Ihrem Lieblingsrennen Paris-Roubaix an den Start zu gehen. Dieses wurde abgesagt, Wie verbringen Sie den Tag nun?

John Degenkolb: Tja, leider ganz und gar nicht wie geplant. Statt zusammen mit meinem Team Lotto-Soudal in Frankreich zu sein, werde ich den Tag zu Hause verbringen und nur etwas trainieren.

Im Februar wurde dort ein Kopfsteinpflaster-Abschnitt des Rennens nach Ihnen benannt. Was hätte es Ihnen bedeutet, diesen heute auf dem Rad zu überqueren?

Sehr viel natürlich. Als ich im Februar bei der Zeremonie dabei war, war das für mich ein großer Moment, eine riesige Ehre. Und ich hätte mich sehr gefreut, die Fans und den Menschen, die das möglich gemacht haben, heute beim Rennen wieder zu begegnen.

John Degenkolb
Der gebürtige Geraer fährt seit 2020 für das Team Lotto-Soudal. 2015 triumphierte er bei den Frühjahrsklassikern Mailand-Sanremo und Paris-Roubaix. 2018 gewann er seine erste Tour de France-Etappe in Roubaix.

Paris-Roubaix gilt als größte Tortour im Radsport. Was ist schmerzhafter: Das Rennen auf dem Rad zu absolvieren oder die jetzige Situation mit der Absage?

Definitiv die Absage. Auch wenn Paris-Roubaix wirklich weh tut: Es nicht fahren zu dürfen, ist schmerzhaft, frustrierend und mega enttäuschend. Aber trotzdem ist es natürlich kein Vergleich zu den Auswirkungen, die wir gemeinsam als Gesellschaft zu tragen haben.

Ihr Sieg in Roubaix ist exakt fünf Jahre her. Eurosport überträgt das Rennen heute nochmal in voller Länge. Schalten Sie ein?

Wahrscheinlich eher nicht. Ich bin jemand, der lieber nach vorne schaut als zurück – auch wenn das natürlich ein toller Moment meiner Karriere war.

Was fühlen Sie denn heute, wenn sie an den 12. April 2015 zurückdenken?

Das war einer der besten Momente meiner bisherigen Karriere. Ein Kindheitstraum, der in Erfüllung gegangen ist. Die Zieleinfahrt habe ich, im Gegensatz zum ganzen Rennen (lacht), auch sehr oft gesehen – trotzdem habe ich immer wieder Gänsehaut. Mein Leben als Radsportler hat sich dadurch natürlich verändert, weil die Wahrnehmung durch die Kollegen im Peloton, bei Medien und Fans nochmal eine ganz andere, stärkere geworden ist. Mein Leben als Mensch hat sich aber nicht geändert, da bin ich der, der ich schon immer war.

Aktuell steht im Radsport durch die Corona-Pandemie alles still. Inwiefern sind Sie persönlich davon betroffen?

Ich kann fast normal trainieren. Nicht normal ist, dass wir alle nicht genau wissen, auf welchen Höhepunkt wir hintrainieren. Dadurch, dass es keine Rennen gibt, ist strukturiertes Training fast unmöglich. Man ist total hin- und hergerissen. Man will auf der einen Seite nicht an Substanz verlieren, auf der anderen Seite aber auch nicht zu viel machen, weil man nicht weiß, wie lange dieser Zustand anhält. Am Ende bin ich Rennfahrer. Ein Rennfahrer bereitet sich auf Rennen vor. Aber ich will mich nicht beschweren. Meine Kollegen in Italien oder Frankreich müssen alles Indoor machen, das ist ungleich härter. Auch mental. Ich bin in der Lage, meine Ausfahrten ganz normal draußen zu machen. Ich versuche in der Woche 15 bis 20 Stunden abzuspulen und mich fit zu halten.

Aber wie lange kann der professionelle Radsport ohne Rennen überleben?

Das ist die große Frage – aber Fakt ist: Um den Radsport am Leben zu halten, wie wir ihn kennen, wird es essenziell wichtig sein, dass wir so schnell, wie es vertretbar ist, wieder große Radrennen fahren. Denn wir fahren ja nicht nur, weil es uns und den Fans Spaß macht – wir bieten unseren Partnern und Sponsoren auch eine Werbeplattform. Kein Rennen bedeutet keine Plattform dafür, so einfach ist es. Die Situation führt einem ganz klar vor Augen, wie abhängig wir davon sind. Das muss man ehrlich so eingestehen. Wenn wir keine Rennen wie die Tour de France oder die Monumente (Anm. d. Red: des Radsports, worunter in Fachkreisen die Rennen Mailand-Sanremo, Flandern-Rundfahrt, Paris-Roubaix, Lüttich-Bastogne-Lüttich sowie Lombardei-Rundfahrt subsumiert werden) haben, die sich die Leute im Fernsehen angucken wollen, dann ist es schwierig, eine Plattform zu verkaufen. Dann fehlt uns eine wahnsinnige Einnahmequelle.

Wie steht es mit Ihrem Rennstall Lotto-Soudal: Verzichten Sie, wie viele Fußballer, auf Gehalt? Gibt es Kurzarbeit? Wie viele Jobs sind bedroht?

Lotto-Soudal tut alles, um das Team am Leben zu erhalten. Und selbstverständlich verzichten auch wir Rennfahrer auf Teile unseres Gehaltes. Was mich allerdings viel mehr umtreibt ist, dass wir aktuell nur noch sechs Festangestellte im Betreuerstab haben – natürlich ebenfalls mit Gehaltseinbußen. Normalerweise sind wir über 50! Für die, die momentan arbeitslos gemeldet sind, heißt das, dass sie nur die Grundversorgung bekommen. Eine bittere Situation. Gerade auch deshalb wünsche ich mir noch sehnlicher einen belastbaren Zeit- und Fahrplan, der allen eine Perspektive gibt und es erlaubt, so schnell wie möglich wieder in irgendeine Form des geregelten Rennbetriebes zurückzukehren – natürlich ohne die Gesundheit von Einzelnen oder auch der Fans zu gefährden. Aber wir brauchen das, wie gesagt, nicht nur für uns Rennfahrer. Sondern auch für alle, die uns sonst den Rücken freihalten, mit uns arbeiten und ohne die ein professionelles Radsportteam nicht vorstellbar ist.

Sie haben sich immer wieder klar gegen Doping positioniert und scharfe Kontrollen gefordert. Unter den gegebenen Umständen sind diese aber kaum möglich. Macht Ihnen das Angst?

Ich habe keine Angst – aber es ist natürlich ein Thema. Wenn man nicht in der Lage ist, die Kontrollen durchzuführen, kann man auch nicht direkt wieder in den Rennbetrieb einsteigen. Auch hier wäre ein klarer Fahrplan nützlich. Das ist aber ein Problem, dass der komplette Leistungssport hat.

Apropos Leistungssport. Dort pausiert sportartenübergreifend fast alles. Die Fußball-Bundesliga will allerdings bereits Anfang Mai wieder loslegen. Können Sie das nachvollziehen?

Wenn die Bundesliga – oder auch andere Bereiche außerhalb des Sports – ohne neue Gefahren für die Allgemeinheit und die Beteiligten wieder starten kann, wäre das aus meiner Sicht der richtige Schritt. Priorität Nummer eins muss natürlich immer die Gesundheit sein, da darf es keine Zweifel geben. Wir alle brauchen auch Perspektiven und wenn die Bundesliga unter diesen Prämissen machbar wäre – warum nicht?

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Im Vergleich zu fast allen großen Sportveranstaltungen ist die Tour de France noch nicht abgesagt worden. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Natürlich ist das aus Sicht der Veranstalter nachvollziehbar und ich finde es auch gut, dass über alle Optionen nachgedacht wird, die das Rennen vielleicht möglich machen könnten. Denn der Radsport ist nun einmal zum Großteil von der Tour abhängig. Aber nochmal: Wir dürfen absolut kein gesundheitliches Risiko eingehen und Regeln verletzen. Wenn das nicht der Fall ist, muss alles dafür getan werden, dass wir den Rennbetrieb wieder aufnehmen. Das ist das, worum es sich im Radsport dreht. Es wird immer mehr Leuten immer deutlicher klar. Viele haben die Tragweite extrem unterschätzt, mir ging das genauso. Aber natürlich weiß ich auch, dass die Chance schwindend gering, dass die Tour de France wie geplant starten wird. Ich wünsche mir aber, dass dann ein späterer Termin gefunden werden kann. Denn ich bin fest davon überzeugt, dass es der einzige Weg ist, der uns helfen kann, den Radsport am Leben zu halten.

Ist es denn wirklich realistisch, die Tour als "Geisterrennen" auszufahren?

Ja, klar. Auch wenn die Fans an der Strecke natürlich das Salz in der Suppe sind – wenn es die Situation nicht anders zulässt, ist das eine realistische Option. Bei Paris-Nizza hat man zum Teil schon gesehen, wie das funktionieren kann.

Die abgesagte Flandern-Rundfahrt wurde zuletzt virtuell auf der Rolle ausgefahren. Wäre das auch eine Alternative für die Tour?

Es ist zumindest eine Möglichkeit, zurzeit gemeinsamen Radsport zu betreiben – auch zusammen mit den Fans und Hobbyfahrern. Ich habe es bei der Flandern-Rundfahrt das erste Mal gemacht und habe versucht, sehr mit den Leuten zu kommunizieren. Die fanden das mega cool und mir haben so viele Leute geschrieben und berichtet, dass es ihnen Spaß gemacht hat. Ein schöner Zeitvertreib für die Leute, ein Ansporn und Motivation, zu wissen, das nicht allein zu machen. Ein Ersatz für richtigen Rennsport ist es aber aus meiner Sicht nicht.

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