Radsport UCI lässt Fragen offen: Bekommt Ullrich nun Armstrongs Titel?
Das Urteil ist gesprochen, doch die Fragen bleiben: Lance Armstrong ist alle seine sieben Siege bei der Tour de France los. Er ist lebenslang gesperrt. Sein Mythos ist zerstört. Doch der Radsport-Weltverband UCI hat es in Genf versäumt, Klarheit zu schaffen. Noch ist nicht entschieden, was mit den nun vakanten Titeln passiert und ob Armstrong die Preisgelder zurückzahlen muss. Darüber will der Verband erst in einer Sondersitzung am kommenden Freitag beraten. Das Rätselraten geht also weiter.
Klar wurde an diesem denkwürdigen Tag für den Radsport, dass die UCI der US-Anti-Doping-Agentur USADA folgen und die lebenslange Sperre für den US-Amerikaner ebenso anerkennen würde wie die Annullierung aller Tour-Siege. "Heute nehmen wir Armstrong die sieben Siege weg, am Freitag werden wir weitere Maßnahmen besprechen. Dazu müssen wir die UCI-Regeln ändern", sagte UCI-Präsident Pat McQuaid: "Lance Armstrong hat keinen Platz mehr im Radsport. So etwas darf nie wieder passieren." McQuaid forderte, forderte, dass Armstrong vergessen werden müsse. Der Amerikaner gilt nun als größter Betrüger der Sportgeschichte.
Rücken Ullrich und Klöden als Tour-Sieger auf?
Sollte die UCI die Titel tatsächlich neu vergeben, stünde besonders der deutsche Radsport und seine Doping-Vergangenheit wieder im Mittelpunkt des Interesses. Denn ausgerechnet Jan Ullrich und Andreas Klöden würden zu den Profiteuren gehören. Ullrich war in den Jahren 2000, 2001 und 2003 hinter Armstrong als Zweiter in Paris gefeiert worden. Klöden kam 2004 als Zweiter hinter dem Texaner ins Ziel. Tour-Chef Christian Prudhomme hatte sich zuletzt allerdings klar dagegen ausgesprochen, das Gelbe Trikot des Gesamtsiegers neu zu vergeben.
Als Zweitplatzierte könnten Ullrich und Klöden trotzdem noch zu Tour-Siegern werden. Und das, obwohl beiden ebenfalls der Verdacht des Dopings anlastet. Ullrich war im Februar 2012 vom Internationalen Sportgerichtshof sogar des Dopings für schuldig befunden worden - jedoch nur für die Zeit ab 2005. Alle Titel ab diesem Zeitpunkt wurden ihm aberkannt. Klöden wurde 2008 des Blutdopings beschuldigt. Eine Expertenkommission zur Aufklärung des Doping-Skandals um die Universität Freiburg stellte es als gesichert fest, dass der heutige Fahrer des Teams RadioShack zur Tour de France 2006 mit Eigenblut gedopt worden war.
Nicht mit "fremden Federn schmücken"
Allerdings hat Ullrich bereits vor einigen Wochen im "Focus" gesagt, dass er die Titel nicht haben wollen würde: "Ich werde mich sicherlich nicht mit fremden Federn schmücken. In den Jahren war Lance einfach besser als ich. Das akzeptiere ich – damals wie heute."
Doping-Geständnis: "UCI hat null Interesse gezeigt"
Ob nun also zwei potentielle Doping-Sünder an die Stelle Armstrongs rücken oder nicht: In jedem Fall hat die UCI freiwillig ein Thema offen gelassen, das ihr selbst in hohem Maße schadet. Bis die finale Entscheidung über die Ära Armstrong getroffen wird, wird auch die Rolle der UCI weiter von Interesse sein. Schließlich war es nicht der Weltverband, sondern die USADA, die gegen den ehemaligen "Tourminator" ernst gemacht und dabei die UCI vorgeführt hatte. McQuaids halbherzige Beteuerungen, den Doping-Kampf in den letzten Jahren zur obersten Priorität gemacht zu haben, steht der Bericht der USADA gegenüber. Demnach hatte der Verband nichts zu den Ermittlungen beigetragen, vielmehr von Armstrongs Praktiken gewusst und diese toleriert.
Auch Ex-Profi Jörg Jaksche hatte McQuaid schwer belastet. Der geständige Dopingsünder habe dem Verband laut USADA klarmachen wollen, in welchem Ausmaß Doping betrieben worden sei. "Die UCI hat aber null Interesse daran gezeigt. McQuaid sagte mir, er hätte es lieber gesehen, wenn ich die Dinge anders geregelt hätte", sagte Jaksche. Unter dem Druck dieser Vorwürfe wird die UCI die letzte Entscheidung zu treffen haben. Nachträgliche Tour-Siege für Ullrich und Klöden wären Wasser auf die Mühlen der Verbandskritiker.