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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Klartext von Schaffelhuber Paralympics in China? "Ich finde das schade bis erschütternd"
Die Paralympics in China haben begonnen. Dabei ist an Sport aufgrund des Ukraine-Kriegs kaum zu denken
Neun Paralympische Medaillen, 24-mal Edelmetall bei Weltmeisterschaften, 84 Weltcup-Podestplätze und unzählige Erfolge im Nachwuchsbereich: Wie viele Medaillen Anna Schaffelhuber in ihrem Leben gewonnen hat, weiß sie selbst nicht mehr genau. Es dürften locker 200 sein.
Seit 2019 kommen allerdings keine mehr dazu, denn mit damals 26 Jahren beendete die Monoskifahrerin ihre Karriere. Zu den Paralympischen Spielen in Peking, die am Freitag offiziell eröffnet wurden und bei denen es am Samstag auch sportlich losgeht, gibt sie ein Comeback – allerdings nicht auf der Piste
t-online: Frau Schaffelhuber, Sie haben Ihre sportliche Karriere relativ früh beendet. Nun stehen die Paralympics in China an. Kribbelt es da nicht, noch mal auf den Ski zu steigen?
Anna Schaffelhuber: Ja, auf jeden Fall (lacht). Und zwar seitdem ich in den vergangenen Wochen die Olympischen Spiele dort verfolgt habe. Das reizt mich natürlich, zumal ich das erste Mal seit zwölf Jahren nicht bei den Paralympics dabei bin.
Kann man also bald mit einem Comeback rechnen?
Nein, das nicht. Der Schritt war bewusst gewählt. Für mich gibt es mittlerweile etwas anderes im Leben. Ich arbeite als Lehrerin und das taugt mir gerade wunderbar.
In den kommenden eineinhalb Wochen werden Sie die Paralympics als TV-Expertin für die ARD begleiten – allerdings von Deutschland aus. Warum reisen Sie nicht nach Peking?
Das hat mit Corona und den massiven Auflagen in China zu tun. Deshalb hat die ARD beschlossen, die Sendungen aus Deutschland zu machen. Wenn es irgendwie möglich gewesen wäre, wäre ich gerne hingefahren.
Wirklich? Sie haben in Bezug auf Ihren Rücktritt 2019 gesagt: "Ich wusste: Peking kommt, und da will ich nicht hin." Warum?
Es ist sehr bedenklich, dass die Paralympics in China stattfinden, wo Menschenrechte nicht geachtet werden und es nur selten schneit. Die Spiele gehören einfach nicht in solche Länder, weil das mit dem olympischen Geist nichts zu tun hat. Ich finde das schade bis erschütternd.
- Wegen Ukraine-Krieg: Rede von Paralympics-Präsident in China zensiert
Überschattet wird die Veranstaltung vom Krieg in der Ukraine. Russische und belarussische Athletinnen und Athleten wurden ausgeschlossen, was Sie zuvor auch bei t-online gefordert hatten. Hätten die Spiele absagt oder zumindest verschoben werden sollen?
Das ist eine schwierige Frage. Es fällt in diesen Tagen sehr schwer, an Sport zu denken, wenn man die Bilder aus der Ukraine sieht. Da ist es schon bizarr, dass nun ein so großes Sportfest wie die Paralympics stattfindet. Ich finde das sehr schwierig, habe diesbezüglich aber noch kein klares, abschließendes Urteil gefunden. Naheliegend wäre wohl eine Verlegung. Allerdings sind viele Sportlerinnen und Sportler seit Tagen vor Ort. Dazu käme die Frage, auf welchen Termin? Und was wäre, wenn die Situation in der Ukraine mehrere Monate andauern würde? Ganz ehrlich: Ich habe keine Antworten darauf.
2018 in Pyeongchang hat das deutsche Team 19 Medaillen geholt – neun davon kamen von Ihnen und Andrea Eskau. Sie sind beide nicht dabei. Gibt es also zwangsläufig weniger Medaillen?
Ja, man muss sich schon auf weniger Medaillen einstellen. Nicht nur, weil Andrea und ich fehlen, sondern auch, weil sich die Zusammensetzung des deutschen Teams verändert hat. Es sind viele junge Athletinnen und Athleten dabei, die noch Erfahrung sammeln.
Sehr viel passt allerdings bei Anna-Lena Forster zusammen, die im Monoski als meine Nachfolgerin gilt. Wenn Anna-Lena an den ersten Tagen gut reinkommt, ist für sie alles möglich und sie kann das restliche Team mitreißen. Aber man darf sich nichts vormachen: Dass das deutsche Team im Medaillenspiegel Platz zwei holt, wie in Sotschi, wird fast unmöglich und auch Platz fünf, wie in Pyeongchang, wird sehr schwierig. Man muss sich auf einen Umbruch einstellen.
Apropos Umbruch: Im Behindertensport gibt es immer weniger Nachwuchs. Wird zu wenig zur Förderung der Talente getan?
Es wird wieder etwas gemacht – endlich. Schauen wir beispielsweise auf den alpinen Bereich: Das hat man in Deutschland etwas verschlafen. Bei den Spielen 2010 Vancouver musste der Großteil der Mannschaft sich nicht parallel um den Beruf kümmern, weil die Sportlerinnen und Sportler damals oft frühverrentet waren. Finanzielle Sorgen standen nicht so im Vordergrund wie in meiner Generation.
Ich bin allerdings noch in einer sehr stark geleiteten Juniorenmannschaft groß geworden. Danach ist in der Nachwuchsförderung einige Jahre überhaupt nichts passiert. Wir hatten nicht einmal eine Jugendmannschaft. Das hat sich glücklicherweise geändert und es kommen auch wieder Talente nach. Aber so ist natürlich ein Loch entstanden, das durch Corona noch vergrößert wurde.
Reicht die finanzielle Unterstützung im Rahmen der Sportförderung?
Es heißt immer, dass der paralympische genauso gefördert wird wie der olympische Sport. Während meiner aktiven Zeit war das de facto aber nicht so – was mich wahnsinnig geärgert hat. Die erste Sportförderung habe ich beispielsweise bekommen, nachdem ich schon eine paralympische Medaille gewonnen hatte. Zuletzt ist in der Richtung aber eine Menge passiert. So konnten wir auch zum Zoll. Aber ich würde mich freuen, wenn das weiter voranschreitet, man früher zu fördern beginnt und noch mehr an der Basis arbeitet. Denn da fehlt es am meisten.
Wie steht es im deutschen Sport mit der viel zitierten Inklusion aus?
Auch da ist in den letzten Jahren sehr viel passiert. Wir sind auf einem guten Weg. Trotzdem passen ein paar zentrale Bausteine noch nicht richtig zusammen. Ich finde es nicht gut, dass der olympische und der paralympische Sport organisatorisch weiterhin getrennt sind. Es gibt verschiedene Verbände. Und da fängt das Problem an: Wenn ich im paralympischen Sport aktiv sein möchte, brauche ich einen Behindertensportverband. Aber warum kann ich nicht ganz normal da Mitglied sei, wo ich trainiere und aufgewachsen bin?
Wie meinen Sie das?
Ich konnte in jungen Jahren nicht für den Sportverein aus meinem Heimatdorf an den Paralympischen Spielen teilnehmen. Deshalb bin ich für München gestartet – obwohl ich nie jemanden von dem Verein dort gesehen habe. Erst als mein Heimatverein in einen Behindertensportverband eingetreten ist, konnte ich auch offiziell für ihn starten. Für den Verein gab es zusätzlich noch Auflagen. Ich verstehe nicht, warum ein Verein nicht einfach ein Verein für alle ist und ein inklusiverer Ansatz gewählt werden kann. Natürlich ist mir bewusst, dass dabei einige Dinge zu berücksichtigen sind.
Was wäre Ihre konkrete Forderung?
Ich finde, dass der Behindertensport eine Sparte sein sollte in einem großen Dachverband und Fachverband. Es gibt viele Länder, in denen das schon der Fall ist und es einen gemeinsamen Verband gibt – beispielsweise Österreich oder Kanada.
Würde sich das auch auf den Medaillenspiegel auswirken? Kanada hat bei den Paralympics 2018 immerhin ein Drittel mehr Medaillen als Deutschland gewonnen.
Ich glaube schon, dass das zusammenhängt. Allein weil man sehr viele Synergien nutzen kann. Man trainiert am Ende des Tages relativ gleich, nur dass der Fokus auf etwas anderen Teilbereichen liegt. Wenn man das Thema richtig anpackt, kann das einen positiven Effekt haben. In einem großen Verband könnte man beispielsweise eine gemeinsame Förder- und Trainingsstruktur nutzen und auch bei der Vermarktung profitieren. Wenn wir alle unter einem Dach wären, würden endlich für alle die gleichen Voraussetzungen gelten. Eine solche Veränderung geht natürlich nicht von heute auf morgen, aber in diese Richtung sollte es in der heutigen Zeit schon gehen. Das wäre wirkliche Inklusion.
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Apropos Inklusion: Sie haben ein eigenes Projekt ins Leben gerufen, das "Grenzenlos Camp". Was steckt dahinter?
In meiner Kindheit gab es immer Sommerfreizeiten für Jugendliche mit oder ohne Behinderung – aber nie für beide zusammen. Das wollte ich mit dem "Grenzenlos Camp" ändern. Eine Woche kommen 24 Jugendliche im Alter von 14 und 17 Jahren zusammen – zwölf haben eine Behinderung und zwölf haben keine Behinderung. Die Teilnahme ist kostenlos.
Das Ganze steht auf drei Säulen. Erstens: Sport. Es geht darum, gemeinsam verschiedene Sportarten – von Kajaken bis Segelfliegen – auszuprobieren und sich dabei in unterschiedliche Perspektiven zu begeben. Die zweite Säule ist das Selbstbewusstsein – da geht es darum, Ideen für die eigene Zukunft zu entwickeln. Und die dritte Säule umfasst Medien. Die Jugendlichen drehen über das Camp beispielsweise einen Film. Verschiedene Perspektiven einzunehmen, voneinander zu lernen, natürlich Spaß zu haben und nicht zu differenzieren – das ist sind die Grundgedanken des Camps.
- Gespräch mit Anna Schaffelhuber
- DOSB: Anna Schaffelhuber ist Para Sportlerin des Jahrzehnts
- Instagram-Account von Anna Schaffelhuber
- Facebook-Profil des "Grenzenlos Camp"