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Nach Uli Hoeneß' Olympia-Kritik: Hat Deutschland keinen Bock auf Leistung?


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Hoeneß' Kritik nach schwacher Olympia-Bilanz
Hat Deutschland keinen Bock mehr auf Leistung?


11.08.2024Lesedauer: 5 Min.
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Uli Hoeneß: Der Klubpatron des FC Bayern forderte im Hinblick auf das deutsche Olympia-Abschneiden, dass "in unserem Land mehr Leistung in den Vordergrund gestellt werden" müsse. (Quelle: IMAGO/Sportfoto Zink / Wolfgang Zink/imago)
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Seit Jahren holt Deutschland bei Olympia immer weniger Medaillen. Paris 2024 ist ein neuer Tiefpunkt. Uli Hoeneß hat bereits einen Grund ausgemacht.

Aus Paris berichtet Alexander Kohne

Wenn Uli Hoeneß im Idyll seines Domizils am Tegernsee weilt, wirkt sich das gemeinhin auf seinen Gemütszustand aus. In der malerischen Landschaft im Süden von München macht der Patron des FC Bayern immer einen entspannteren Eindruck als an der hektischen Säbener Straße. Unter der Woche schien Hoeneß aber nicht einmal die Ruhe am Tegernsee im Zaum zu halten.

Bei einer Sponsorenveranstaltung äußerte er sich ausnahmsweise nicht zu seinem Herzensklub, sondern etwas Generellem. "In vielen Ländern bietet der Sport die Möglichkeit, die soziale Leiter hochzusteigen. Bei uns ist das verloren gegangen. Diese Bereitschaft, sich den Arsch aufzureißen, fehlt mir", erklärte Hoeneß nur wenige Kilometer von seinem Haus entfernt.

Erzürnt hatte ihn das Auftreten einiger Sportler bei den Olympischen Spielen in Paris. Hoeneß' These: Leistung zähle im deutschen Sport zu wenig und müsse wieder mehr in den Vordergrund gestellt werden. "Wir müssen wieder mehr arbeiten, dann hat man auch mehr Erfolg", so die Forderung des 72-Jährigen.

Aber stimmt das wirklich – ist der Leistungsgedanke im deutschen Sport derart in den Hintergrund gerückt? Und wenn ja, ist die Lösung der von Hoeneß geforderte höhere Arbeitsaufwand?

Was selbst viele Beobachter des FC Bayern nicht wissen: Die Olympischen Spiele sind für Hoeneß eine Herzensangelegenheit. Um 1972 in München dabei sein zu können, wartete er damals sogar mit der Unterschrift eines Profivertrags bei Bayern – weil bei den Spielen nur Amateure teilnehmen durften.

Damals beendeten die beiden deutschen Staaten die Veranstaltung auf den Rängen drei und vier des Medaillenspiegels. Die DDR kam auf 66 Medaillen, die Bundesrepublik auf 40. Seitdem hat sich die Sportwelt massiv verändert: Es gibt mehr Wettbewerbe mit mehr Teilnehmern aus unterschiedlicheren Nationen.

So wurden bei den Spielen 2024 in Paris Goldmedaillen im Breakdance und Skateboarden vergeben, und die 100-Meter-Olympiasiegerin kommt von der knapp 190.000 Einwohner zählenden Karibikinsel St. Lucia. Zudem schreitet die Professionalisierung voran.

Deutschland gewinnt immer weniger Medaillen

Ein Trend ist derweil unverkennbar: Die deutsche Medaillenausbeute geht immer weiter zurück – teilweise sogar drastisch. Vor der Schlussfeier am Sonntagabend im Stade de France stehen für "Team D" nur noch 33 Medaillen zu Buche. Das bedeutet im Medaillenspiegel Platz zehn. Seit dem dritten Rang bei den Spielen 1992 in Barcelona, den ersten nach der Wiedervereinigung, wird das deutsche Team nach hinten durchgereicht.

Robert Harting stinkt das gewaltig. Wie Hoeneß sieht der Diskus-Olympiasieger von 2012 dafür tieferliegende Gründe. "Leistung ist bei uns schon fast zu etwas verkommen, für das man sich schämen muss, wenn man darüber auf der Straße spricht. Wer sagt denn heute noch, dass man der Beste sein will?", fragte der 39-Jährige provokativ im Interview mit "Sports Illustrated".

Die Debatte darum schwelt im deutschen Sport seit Monaten – und kocht zu den Olympischen Spielen 2024 wieder hoch. Spätestens seit der Leichtathletik-WM 2023 in Ungarn, die Deutschland erstmals komplett ohne Medaille beendete, ist das Thema evident.

"Das ist eine Debatte, die unglaublich pauschal geführt wird", kritisierte danach Sportsoziologe Professor Michael Mutz im Deutschlandfunk. Aus seiner Sicht sei der Schluss von einer Sportveranstaltung zur generellen Leistungsbereitschaft in Deutschland "ganz schön an den Haaren herbeigezogen". "Denn kein Mensch könnte sagen, wie das genau zusammenwirken soll", gab der Wissenschaftler zu bedenken.

Video | Animation zeigt deutschen Medaillenspiegel – ein Jahr sticht heraus
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Quelle: t-online

Deutsches Team will zurück in Top-5 des Medaillenspiegels

Aber zurück zu den Spielen in Paris. Natürlich lässt sich die Leistungsfähigkeit einer Sportnation nicht ausschließlich am gewonnenen Edelmetall ablesen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) rückte die Analyse des Medaillenspiegels dennoch ins Zentrum seiner Abschlusspressekonferenz.

Dort bilanzierte Leistungssport-Vorstand Olaf Tabor: "Wir haben in fast allen Sportarten erstklassige Leistungen gesehen, teilweise Weltklasseleistungen." Viele vierte und fünfte Plätze würden aber schmerzen, weil das Team die "eine oder andere Medaille liegen gelassen" habe. Die nächsten Sommerspiele sind 2028 in Los Angeles. Mittelfristig wolle "Team D" zurück in die Top-5 des Medaillenspiegels.

Dort liegt aktuell Frankreich, dessen Sportler in Paris etwa doppelt so viele Medaillen holten wie die deutschen. Entsprechend skeptisch ist Ingo Froböse im Hinblick auf Tabors Aussage. Besonders bei den "Kernsportarten Turnen, Schwimmen und Leichtathletik" skizziert der Professor der Deutschen Sporthochschule Köln wenig rosige Aussichten.

"Im Turnen geht es seit Fabian Hambüchen nicht voran. Beim Schwimmen gab es eine Goldmedaille, aber ansonsten nicht viel. Trotz einiger persönlicher Bestleistungen ist die Weltspitze weiter entrückt", resümiert Froböse im Deutschlandfunk.

Auch in der Leichtathletik sei "nichts Neues in Sicht". Und genau das ist für Froböse der Kern des Problems: "Wir finden keine neuen Talente in vielen Sportarten, und das führt dazu, dass andere Nationen davonmarschieren."

Im Gegensatz zu Hoeneß nimmt er dafür nicht nur den Leistungswillen in den Fokus. "Der ist schon vorhanden. Die Menschen sind nicht grundsätzlich anders geworden", so Froböse. Der Sportwissenschaftler macht ein anderes Problem aus: "Ich glaube, dass wir die falsche Sportförderung haben. Wir haben kaum Talentsichtung", erläutert Froböse. Früher habe es diese sehr systematisch in den Schulen gegeben – unter anderem über die Bundesjugendspiele. Das sei aber verloren gegangen.

Reizthema Bundesjugendspiele

Die Bundesjugendspiele sind ein Reizthema in der Sportpolitik. Seit einer Reform im vergangenen Jahr werden dort bei Grundschülern keine Punkte mehr vergeben. Um Inklusion zu fördern, wurde der Wettbewerbsgedanke eingeschränkt.

"Ich halte das für völlig falsch. Warum muss der Sport hier herhalten? Und warum schafft man dann in Mathe, Englisch oder Französisch nicht die Noten ab?", fragt Froböse. Bisher habe er von keiner wissenschaftlichen Studie gehört, die gezeigt hätte, dass der Spaß durch softeres Sporttreiben in der Jugend länger erhalten bleibe. Die Forderung des Professors: "Wir brauchen Wettkämpfe und Leistungsmessung, insbesondere im Kindes- und Jugendalter." Gesellschaftlich sei das aber offensichtlich nicht mehr so gewollt. "Das ist schade, weil es sich jetzt gerade im Medaillenspiegel widerspiegelt", ergänzt Froböse.

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Aber sind Veränderungen bei Bundesjugendspielen wirklich ein Indikator für eine vermeintlich abnehmende Leistungsfähigkeit im Spitzensport? Nicht, wenn es nach DOSB-Chef Thorsten Burmester geht. "Das ist eine Scheindebatte. Und der Höhepunkt dieser Scheindebatte ist es, wenn da die Bundesjugendspiele als Beispiel herangezogen werden, dass die Leistung sozusagen in unserer Gesellschaft keinen Wert mehr hat", sagte er bereits vor einigen Monaten.

Hartings eindeutige Forderung

Burmester kommt aus der Politik, war sechs Jahre im Innenministerium mitverantwortlich für Sport und damit an einigen Weichenstellungen beteiligt. Weichenstellungen, die Robert Harting gegen den Strich gehen.

Der ehemalige Diskuswerfer kritisierte, dass die Politik eine Ideologie betreibe, "die sich sehr stark an Minderheiten, an den Schwächen orientiert". Das sei zwar moralisch begrüßenswert und grundsätzlich zu würdigen, aber sich um die Schwachen zu kümmern, dürfe nicht ausschließen, dass "wir ebenso die Stärksten fördern", so Harting.

Dafür möchte der gebürtige Cottbuser nicht zwangsläufig mehr Geld investieren. Für ihn geht es um eine Strukturreform. "Wir müssen den Apparat verschlanken, digitalisieren, auch Leistungsparameter auf der Ebene der Sportführung einführen", forderte Harting. Er ist sich sicher: "Im Sport ist es Zeit für eine Zeitenwende." Uli Hoeneß wird dafür sicher auch noch einen Vorschlag parat haben.

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