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Olympia in Paris: Putin bezeichnet russische Athleten als Verräter


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Russlands Athleten bei Olympia 2024
Putin schwört Rache


10.08.2024Lesedauer: 6 Min.
Wladimir Putin: Der russische Präsident betrachtet russische Olympiateilnehmer als Verräter.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident betrachtet russische Olympiateilnehmer als Verräter. (Quelle: IMAGO/SNA, ITAR-TASS)
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Die russischen Olympiateilnehmer haben in Paris einen schweren Stand. Sie stehen nicht nur international in der Kritik, auch Wladimir Putin lässt sie in Russland als Verräter diskreditieren. Die Hintergründe.

Es ist eine Geschichte, die der ehemalige britische Premier- und Außenminister David Cameron gerne bei Gelegenheit heute noch erzählt.

Bei den Olympischen Spielen 2012 in London besuchte er zusammen mit Wladimir Putin einen Judo-Wettkampf. Der Russe Tagir Chaibulajew kämpfte im Finale gegen Naidangiin Tüwschinbajar aus der Mongolei. Zunächst sah es nach einem Sieg des mongolischen Kämpfers aus. Aber nach Verkündung der finalen Entscheidung soll Putin zu Cameron gesagt haben, dass der leitende Schiedsrichter falschliege.

Und tatsächlich: Der Schiedsrichter wurde anschließend von seinen Kollegen überstimmt. Chaibulajew gewann und der russische Präsident verließ die Tribüne, um ihm persönlich zu gratulieren. Für den früheren Judoka Putin war es laut Cameron ein Freudentag. Auf dem Rückweg nach Moskau soll die russische Delegation im Flieger gefeiert haben.

Zwölf Jahre später ist von dieser olympischen Euphorie in Russland nur noch wenig übrig. Putin hat im Februar 2022 einen Angriffskrieg in der Ukraine begonnen und könnte Paris gar nicht besuchen, weil er sonst verhaftet werden würde. Russische Sportlerinnen und Sportler dürfen bei den Olympischen Spielen in Paris nur unter neutraler Flagge teilnehmen und auch nur dann, wenn sie den Ukraine-Krieg nicht unterstützen und keine Verbindung zur russischen Armee haben.

Während die Welt in Paris also das größte Sportfest feiert, steht Russland im Abseits. Putin schwört Rache, versucht die Olympischen Spiele zu stören, wenn er die Chance dazu bekommt. Doch Putin wettert nicht nur gegen die Spiele: Selbst die eigenen Athleten nimmt er mittlerweile ins Visier. Sie gelten für ihn als Verräter.

Für Putin ist Sport ein Machtinstrument

In Russland sind Sport und Politik traditionell eng verbunden. Besonders die Olympischen Spiele waren im Kalten Krieg oft ein Kräftemessen der Supermächte USA und der damaligen Sowjetunion. Heute ist klar: Es ging viele Jahre um sportliche Erfolge um jeden Preis – auch, um politische Dominanz zu demonstrieren. Dafür wurde in großem Umfang staatliches Doping betrieben, besonders durch die Sowjetunion.

Das hörte auch mit dem Zerfall des Landes nicht auf. Zuletzt wurden im Mai 2023 über 200 russische Athletinnen und Athleten durch eine Überprüfung von Labordaten von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) überführt. Das zeigt: Für Putin ist Sport ein Machtinstrument. Auch der russische Präsident inszeniert sich regelmäßig als Judokämpfer oder Eishockeyspieler. Damit will er vor allem Stärke demonstrieren.

Deswegen ist der Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen in Paris für den Kreml durchaus ein Wirkungstreffer gewesen. Putin hat wohl auch deshalb die russische Regierung im Juli angewiesen, bis Mitte kommenden Jahres neue internationale Sportformate zu entwickeln. Moskau möchte alternative Olympische Spiele. Das hat es selbst im Kalten Krieg nicht gegeben.

Für viele russische Sportlerinnen und Sportler ist mit Blick auf die Olympischen Spiele in Paris die Situation unheimlich schwierig. Sie wurden im Vorfeld vor die Wahl gestellt: entweder der Sport, für den sie ihr Leben lang trainieren, und ihr olympischer Lebenstraum – oder die Solidarität mit der russischen Führung.

"Ausgeburten der Hölle"

Einige russische Verbände zogen vorher die Notbremse. Die russischen Ringer und Judoka sagten die Teilnahme ihrer Kämpfer ab und begründeten das mit der Solidarität mit ihrem Präsidenten. Eben genau diese Erwartung gab es im Kreml, auch wenn Putin sie nicht offen aussprach.

Insgesamt nahmen in der Folge nur 15 russische Sportlerinnen und Sportler an den Olympischen Spielen in Frankreich teil. Es sind größtenteils Athletinnen und Athleten, die ohnehin im Ausland leben und weiterhin an internationalen Turnieren teilnehmen – etwa Tennisspielerinnen und -spieler. Spätestens seit diesen Olympischen Spielen gelten sie in Russland als Verräter, als feindliche Agenten. Sie werden öffentlich verunglimpft, obwohl im Fernsehen nichts über Olympia berichtet wurde. Putin-Sprecher Dmitri Peskow nannte die Sportler "Ausgeburten der Hölle".

Das ist wenig überraschend. Immerhin sind es Sportstars, die auf einer großen internationalen Bühne demonstrieren, dass Russinnen und Russen gegen Putin und seinen Krieg sein können. Das möchte die russische Führung nicht tolerieren, das Sportliche rückt komplett in den Hintergrund.

Deswegen wirken die russischen Sportlerinnen und Sportler in Paris, die teilweise noch minderjährig sind, zum Teil komplett verunsichert und verängstigt. Sie meiden Presseinterviews mit westlichen Medien und versuchen, nach den Wettkämpfen schnell wieder abzutauchen, heißt es in der französischen Hauptstadt. Der Druck auf die russischen Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist immens.

Die russische Trampolinspringerin und Medaillenhoffnung Anzhela Bladtceva sagte der ARD-Sportschau: "Im Olympischen Dorf waren alle nett zu mir. Alle haben gefragt, ob es schwer für mich ist." Kritik und Widerstand habe es in der olympischen Familie nicht gegeben. "Bei uns zu Hause dagegen gab es das schon." Damit meint die 19-Jährige vor allem die Anfeindungen aus Russland.

"Dann war ich ein Verräter, ein Junkie, ein Alkoholiker"

Hinzu kommt, dass es natürlich auch im Westen Kritik daran gibt, dass russische Sportlerinnen und Sportler überhaupt teilnehmen dürfen. Daran ändert auch nichts, dass die Teilnahme nur unter neutraler Flagge möglich ist. Die russische Radsportlerin Tamara Dronowa erklärte der "Sportschau" in Paris: "Jeder zu Hause weiß doch genau, woher wir kommen. Jeder aus einem anderen Land weiß es auch."

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Deswegen nehmen an den Spielen auch Sportlerinnen und Sportler teil, die nach Beginn von Putins Angriffskrieg aus Russland geflohen sind und mittlerweile die Nationalität gewechselt haben. Doch auch sie sind vor Anfeindungen von russischen Nationalisten nicht sicher. Der Bahnradradfahrer Michail Jakowlew, der in Paris für Israel startete, sagte der ARD: "Manche Menschen, vor allem aus der Regierung, sind nicht glücklich über meine Entscheidung, nicht mehr für Russland antreten zu wollen. Erst war ich ein Held, aber zwei Tage, nachdem ich das Land verlassen habe, war ich ein Verräter, ein Junkie, ein Alkoholiker."

Doch Putins Rache endet nicht bei den russischen Sportlerinnen und Sportlern, die an den Wettkämpfen in Paris teilnehmen. Der Kreml versucht, die Olympischen Spiele zu stören und Chaos zu stiften, wo es möglich ist.

Putin legt Störfeuer

Einerseits führt Russland laut Recherchen des ZDF aktuell eine große Desinformationskampagne gegen das Internationale Olympische Komitee (IOC). So sind im Netz Videos im Umlauf, in denen etwa dem Schauspieler Tom Cruise mit KI gefälschte Zitate in den Mund gelegt werden. Der Titel: "Das Ende von Olympia". Darin ist die Stimme von Cruise zu hören, der dem IOC Korruption und Geldgier vorwirft.

Die russische Desinformationskampagne befeuert auch die Debatte um das Geschlecht der algerischen Boxerin Imane Khelif. Umar Kremlew, der Präsident des wegen Korruption in Ungnade gefallenen Boxverbandes IBA, ist ein Vertrauter von Putin. Es ist kein Zufall, dass Kremlew ausgerechnet während der Spiele mit angeblichen medizinischen Untersuchungen zu Khelif an die Öffentlichkeit geht – Untersuchungen, die schon Jahre zurückliegen.

Es sind russische Versuche, Olympia zu diskreditieren. Dafür greift der Kreml auf Falschmeldungen zurück und hofft darauf, dass diese Kampagnen von rechten Aktivisten wie etwa dem Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt in Deutschland aufgegriffen und im Netz gestreut werden. Reichelt beschwört in den sozialen Netzwerken – ganz im Sinne Moskaus – seit Beginn der Spiele ständig das Ende des Frauensports, aufgrund der Diskussion um Khelif. Das steht aber in völligem Kontrast zum Ablauf der Olympischen Spiele in Paris, die die meisten Sportlerinnen und Sportler äußerst positiv bewerten. Sportlich wie atmosphärisch.

Aber Putins Rachefeldzug gegen das IOC geht auch noch darüber hinaus. Im Schatten der Spiele ist nach Angaben des französischen Innenministeriums rund 5.000 Personen der Zugang zu den Sportstätten verwehrt worden, sagte der kommissarische Innenminister Gérald Darmanin nach Angaben der Nachrichtenagentur AP. Darunter seien 1.000 Menschen, "die wir der ausländischen Einflussnahme verdächtigen – man kann sagen Spionage." Die französische Zeitung "Le Parisien" berichtet etwa von einem russischen Staatsbürger, der eine Destabilisierung während Olympia vorbereitet haben soll. Putins "Zersetzer" sei festgenommen und angeklagt worden.

Putin scheint also den Ausschluss Russlands von den Olympischen Spielen nicht überwunden zu haben. Auch deshalb hat er den hybriden Informationskrieg noch einmal verschärft. Nicht nur gegen westliche Gesellschaften, sondern eben auch gegen die russischen Olympiateilnehmer, die er als Gegner wahrnimmt. Dabei sind sie eigentlich lediglich eines: Sportlerinnen und Sportler.

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