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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Auch Khelifs Vater äußert sich nun Am Nasenring durch die olympische Manege gezogen
Der Fall Imane Khelif ist das bestimmende Thema im olympischen Boxturnier. Das Drumherum nimmt mittlerweile groteske Züge an – und erinnert an Las Vegas. Die Sportlerin wird regelrecht vorgeführt.
Aus Paris berichtet Alexander Kohne
Während der Ringrichter den linken Arm von Imane Khelif in die Höhe reckte, sprang ihr Trainer in der Ecke der Algerier wie ein Flummi auf und ab. In der olympischen Boxhalle im Norden von Paris war nach dem klaren 5:0-Erfolg gegen die Ungarin Anna Luca Hamori regelrecht spürbar, was für eine Last von Athletin und Trainerteam fiel.
Der Nachgang des zweiten Kampfes der Boxerin im olympischen Turnier wurde indes noch abstruser als ihr erster Auftritt. Und das heißt schon etwas. Auf den etwa 100 Metern vom Ring in die Katakomben der Halle weinte Khelif beinahe durchgehend. Immer wieder blieb sie stehen, um Familie, Teamkollegen und algerische Offizielle zu umarmen.
Hunderte Journalisten warten auf Khelif
In der sogenannten Mixed Zone waren dann unzählige Kameras und Handys auf sie gerichtet. Bis zu 400 Medienvertreter drängelten sich dort, um Khelif ihre Fragen zu stellen. Beispielsweise, ob sie zu männlich sei, um bei den Frauen anzutreten. Ob sie intersexuell sei. Oder warum sie bei der vergangenen Weltmeisterschaft disqualifiziert worden sei.
Teilweise kam es im Medienbereich zu tumultartige Szenen. Vieles erinnerte eher an einen Titelkampf im Schwergewicht im MGM Grand Hotel von Las Vegas als an eine – wenn auch olympische – Amateurkonkurrenz am nördlichen Ende von Paris. Es wurde gedrängt, geschoben – und teilweise wild dazwischengerufen.
Die genannten Fragen hatten nach der Zulassung der 25-Jährigen zum olympischen Boxturnier Unruhe erzeugt – und waren nach dem 46-Sekunden-Sieg zum Auftakt mitsamt Tränen ihrer Gegnerin noch evidenter geworden.
Im Vergleich zum ersten Kampf gegen Angela Carini aus Italien zeigte Khelif am Samstagabend Emotionen – und äußerte sich zumindest in geringem Umfang zum beschriebenen Thema. "Das ist eine Frage der Würde und des Respekts für jede Frau und jedes Mädchen", sagte die 25-Jährige dem arabischen Fernsehsender Bein Sports.
Fragwürdige Disqualifikation bei der WM
Es war ihr erster Kommentar zu den Vorwürfen, sie gehöre nicht in die Frauenklasse. "Das gesamte arabische Volk kennt mich seit Jahren. Ich habe jahrelang an internationalen Wettkämpfen teilgenommen." Der Weltverband IBA habe sie "unfair behandelt. Aber ich habe Gott."
- Genderstreit im Boxen: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Fall Khelif
Mehr hatte Khelif indes nicht zu sagen und lief – sogar nach etwas schneller und genervter als vor zwei Tagen – an den internationalen Pressevertretern vorbei. So gab es auch nichts Erhellendes dazu, warum die IBA sie 2023 vor dem WM-Finale nach einem nicht näher spezifiziertem Geschlechtstest, den sie nicht bestanden haben soll, disqualifiziert hatte.
Auch Khelifs Vater äußerte sich am Samstagabend, sagte der Nachrichtenagentur AFP: "Imane ist ein Beispiel algerischer Weiblichkeit. So Gott will, wird sie uns mit einer Goldmedaille ehren und die Nationalflagge in Paris hochhalten." Mit dem Zeigen einer Geburtskurkunde stellte er beim französischen TV-Sender kurz und knapp klar: "Mein Kind ist ein Mädchen. Sie wurde als Mädchen aufgezogen. Sie ist ein starkes Mädchen. Ich habe sie dazu erzogen, hart zu arbeiten und mutig zu sein."
Gegnerin Hamori äußerte sich umfangreicher. Wohl auch, weil sie vor dem Kampf kritische Aussagen zu Khelif formuliert hatte, in dessen Folge die Algerierin Zielscheibe von Anfeindungen in sozialen Netzwerken geworden war. "Meiner bescheidenen Meinung nach denke ich nicht, dass es fair ist, dass diese Wettbewerberin in der Frauen-Kategorie teilnehmen kann", hatte die Ungarin erklärt. Auch provozierte Hamori mit geschmacklosen Posts.
Hamori gibt sich versöhnlich
Deshalb wurde sie von den zahlreichen algerischen Fans in der Halle während des Kampfes gnadenlos ausgebuht. Nach dem Fight gab sich Hamori derweil versöhnlich und wünschte den Halbfinalistinnen "viel Glück". Khelif allein hob sie dabei allerdings nicht heraus.
Wie verzwickt und kontrovers die Situation ist, wurde deutlich, als Balázs Fürjes statt Hamori auf Englisch eine Erklärung für die internationalen Pressevertreter abgab. Der Ungar ist Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee (IOC), einer Art Weltregierung des olympischen Sports. Nicht nur deshalb erinnerte vieles an ein offizielles Pressestatement eines Regierungschefs, denn an eine Presserunde nach einem Amateurboxkampf.
"Wir als Ungarn sind immer für einen fairen Wettbewerb. Wir können nur daran glauben, dass alle Kämpfe im Ring entschieden werden und nicht woanders. Wir sind davon überzeugt, dass sportlich entschieden werden muss. Deshalb war es für uns und Luca keine Option, dass Luca nicht antritt", gab Fürjes zu Protokoll.
Khelif hat Bronze sicher
Er sei hundertprozentig davon überzeugt, dass "die ganze Situation mit Sicherheit noch einmal aufgearbeitet" werde und das "IOC die richtigen Entscheidungen treffen wird". Was das konkret heißt, blieb zunächst offen.
Klar ist indes, dass Khelifs nächster Kampf am Dienstag um 22.34 Uhr angesetzt ist. Im Halbfinale geht es dann gegen die Thailänderin Janjaem Suwannapheng. Doch egal, wie der Kampf ausgeht: Aufgrund der olympischen Turnierregelung im Boxen hat sie die Bronzemedaille bereits sicher.
- Eigene Beobachtung vor Ort in der Arena Paris Nord
- Pressegespräche mit Balasz Fürjes und Anna Luca Hamori
- olympics.com: Ergebnisse des Boxturniers