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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Tennis-Legende sagt "Adios" Bittere Tränen nach dem Worst-Case-Szenario
Nach Spaniens frühem Aus bei den Davis-Cup-Finals sind die Fans erst geschockt, bereiten Rafael Nadal dann aber dennoch einen gebührenden Abschied. Der beste Einzelsportler in der Geschichte seines Landes versucht, das Ende zu genießen.
Aus Malaga berichtet Jannik Schneider
Eine Abschiedszeremonie für den Mann dieser Woche, das hatte der Weltverband im Vorfeld angekündigt, würde es im Falle eines Ausscheidens Spaniens am Dienstag nach der Partie selbstverständlich geben. Der schlimmste anzunehmende Fall aus spanischer Sicht trat nun deutlich früher ein, als die Verantwortlichen es sich wohl erhofft hatten: In der ersten K.-o.-Runde scheiterte Spanien an den Niederlanden. Nach zahlreichen Verletzungen und Comebackversuchen hatte Nadal, 38, vor fünf Wochen mit einem emotionalen Video sein Karriereende für diese Woche angekündigt.
In Spanien hatte man gehofft, Nadal würde sich an der Seite seiner Teamkollegen um Carlos Alcaraz ins Finale spielen. Dann hätte der Sandplatzkönig sich mit einem sechsten Davis-Cup-Titel auf die beste Art und Weise in den Ruhestand verabschieden können.
Als die Niederlage um kurz nach Mitternacht plötzlich Realität war, herrschte auf den Rängen und beim spanischen Team zunächst eine minutenlange Schockstarre. Die Niederlande und ihre rund 900 mitgereisten Fans feierten, der Sieger wurde interviewt und verschwand wenig später in den Katakomben. Schließlich erwachten einige der rund 8.000 spanischen Fans auf den Rängen aus ihrer Trance und stimmten erste, zaghafte "Rafa, Rafa"-Gesänge an. Die Organisatoren, von der sportlichen Realität und Aktualität überfordert, benötigten noch mehrere Minuten, bis der offizielle Akt beginnen konnte.
Stehende Ovationen und "Rafa"-Rufe für Nadal
Dann rief der Hallensprecher Nadal endlich in die Mitte. Nadal, auch Stunden nach seinem sportlichen Einsatz noch in der kurzen Sportkluft der spanischen Nationalmannschaft in rot und weiß gekleidet, ging langsamen Schrittes in die Mitte des T-Felds. Nun erhob sich das ganze Stadion und krönte den Superstar mit stehenden Ovationen. Diese gingen fließend in erneute Sprechchöre über. Nadals Schwester weinte auf den Rängen, sein Vater kämpfte ebenfalls mit den Emotionen. Trainer Carlos Moya weinte bitterlich und auch Nadal selbst hatte längst feuchte Augen. In diesem Gänsehaut-Moment wurde spürbar, dass gerade ganz Spanien Abschied nahm von dem besten Einzelsportler, den das Land jemals hervorgebracht hat.
Eine Viertelstunde zuvor hatten Nadals designierter Nachfolger Carlos Alcaraz und der Doppelspezialist Marcel Granollers in zwei engen Tiebreaks gegen die niederländische Paarung Botic Van de Zandschlup und Wesley Koolhof verloren. Der souveräne Einzelsieg von Alcaraz zuvor gegen Tallon Griekspoor war zu wenig für die Gastgeber, da Rafael Nadal zum Auftakt am frühen Abend gegen Van de Zandschlup verloren hatte. Dass die Tennislegende überhaupt im Einzel antrat, war nach der langen Pause überraschend. Beobachter auf der ganzen Welt hatten bis Stunden vor dem Match mit einem Doppel an der Seite Alacaraz' gerechnet, wie zuvor bei den Olympischen Spielen. Doch Nadal und offenbar auch sein Team wollten ihm die größtmögliche Ehre zuteilwerden lassen.
Davis Cup gibt Nadal-Abschied eine andere Ebene
Alle, auch die rund 900 niederländischen Fans sowie die neutralen Zuschauer in der umfunktionierten Tennishalle, wussten um die Bedeutung dieses historischen Moments: Nun beendete nach Roger Federer der zweite der drei wohl besten Spieler in der Geschichte des Sports seine Laufbahn. Anders als bei Federers Abschied 2022, der damals verletzungsbedingt beim Lavercup eher mit Showcharakter über die Bühne ging, verlieh der renommierte Davis Cup diesem einmaligen Ereignis eine zusätzliche Bedeutung. So entwickelte sich vor, während und nach dem Match Nadals eine einzigartiges Zusammenspiel aus großen Emotionen und sporthistorischer Bedeutung, das unter Wettkampfbedingungen in entsprechender sportlicher Wertigkeit zur Entfaltung kam. Am Ende stand ein 1:2-Gesamtergebnis für die Niederlande auf der Anzeigetafel.
Eine Stunde nach der offiziellen Bekanntgabe führte Rafael Nadal das Team unter Standing Ovations in die Halle in Richtung Platzmitte – als an Nummer zwei aufgestellter Einzelspieler der spanischen Nationalmannschaft im Viertelfinale der Davis-Cup-Finals gegen Kanada.
Nadals Tränen während der Hymne
Wenige Momente später folgte bereits der erste emotionale Moment des Abends. Gegen Ende der spanischen Nationalhymne übermannten den von Anfang an sichtbar gerührten spanischen Volkshelden die Emotionen. Ein paar Tränen kullerten Nadals Wangen entlang, während die spanischen Fans inbrünstig die letzten Takte ihrer Hymne sangen und dann voller Stolz sekundenlang Nadal huldigten.
Nadal benötigte die ersten Minuten seiner Partie gegen Botic Van de Zandschlup, der Nummer 80 der Tenniswelt, um seine Anspannung und Emotionalität abzuschütteln. Angeheizt vom stimmungsreichen holländischen Gästeblock spielte Van De Zandschlup einen seriösen ersten Satz, crashte bei 4:4 die Nadalparty und breakte den Superstar mit einem Passierball. Nach 45 Minuten verwandelte der Niederländer seinen zweiten Satzball.
Nadal fehlt Matchpraxis
Der zweite Durchgang war für Nadals Fans in weiten Teilen schwer zu ertragen. Die Beinarbeit des Mallorquiners war nun langsamer, die Vorhand zu kurz, zu wacklig geschlagen und auf der Rückhandseite war der Sandplatzkönig nur noch in der Defensive gefordert. Überraschen durfte das nicht.
Seit dem Zweitrundenaus bei den Olympischen Spielen hat Nadal gegen Novak Djokovic kein Wettkampfeinzel mehr bestritten. Nach seiner vorzeitigen Abreise aus Down Under hat er vor den Australian Open lange pausiert, vor den Olympischen Spielen hat er ohnehin nur eine reduzierte Sandplatzsaison absolviert. Bei den French Open präsentierte er sich konkurrenzfähig; Alexander Zverev eliminierte ihn dennoch in drei Sätzen. Bereits 2023 hatte Nadal nach den Australian Open das ganze weitere Jahr ausgelassen, erholte sich aber nie vollständig von Verletzungen am Hüftbeuger und am Knie. Um noch professionelles Tennis zu spielen, musste Nadal körperlich und mental viel aufwenden. Dass er das im hohen Alter konnte, beweist sein letzter großer Titel: Bei den French Open 2022 spielte er nach eigenen Angaben zwei Wochen lang mit einem betäubten Fuß.
Zeit macht nicht vor Tennislegende halt
Doch die Kombination aus schwierigen körperlichen Voraussetzungen, fehlender Matchpraxis und dem Fakt, dass die Zeit auch für eine 38-jährige Tennislegende nicht stehen bleibt, verhinderten am Dienstag das Happy End. Nadal hat zudem selbst zu Hochzeiten seiner Karriere nie ein Indoorturnier auf Hardcourt gewonnen. 2013 siegte er in der Halle – natürlich auf Sand – in Sao Paulo. Die schnellen Innenplätze liegen Nadal naturgemäß nicht.
Zwischen seiner eigenen Niederlage und bevor das Aus feststand, sprach Nadal auf einer Pressekonferenz, bei der es ob des Andrangs Platzkarten gab. Auch die erfahrensten Reporterinnen und Reporter konnten sich an ähnliche Umstände nicht erinnern.
Nadals "emotionaler Tag"
"Natürlich war es ein emotionaler Tag, ich war nervös vor meinem letzten Einzelspiel als Profi. So habe ich das auch empfunden. Und dann, ja, natürlich die Emotionen, die Nationalhymne zum letzten Mal als Profi zu hören, das war schon etwas Besonderes", erklärte Nadal und berichtete von gemischten Gefühlen. "Das macht die Sache ein bisschen schwieriger. Aber das war's. Ich meine, wir sind auf den Platz gegangen. Wir leben diesen Moment. Ich habe versucht, mein Bestes zu geben. Gleichzeitig habe ich versucht, in jedem einzelnen Moment so positiv wie möglich zu bleiben und mit der richtigen Energie zu spielen. Das war nicht genug", sagte er, gratulierte seinem Kontrahenten und verzichtete auf weitere Analysen. Die Entscheidung, dass er Einzel spiele, habe Kapitän David Ferrer getroffen. Nadal versicherte: "Ich habe ihm von Anfang an zu verstehen gegeben, dass er keinen Druck verspüren muss, mich aufzustellen." Ferrer tat es dennoch.
So war Rafael Nadal bereits am ersten Wettkampftag nach Mitternacht ganz alleine in die Platzmitte zur offiziellen Verabschiedungszeremonie gebeten worden. Der Superstar hatte seine Emotionen gut im Griff und hielt eine Rede auf Spanisch, in der er sich bei allen ausführlich bedankte. Dann übergaben der ITF-Präsident sowie der Chef des spanischen Verbands Nadal ein Teamfoto von einem der fünf spanischen Davis-Cup-Triumphe mit Nadal.
"So schließt sich der Kreis"
Es folgte ein Tribut-Video, in dem aktuelle und ehemalige spanische Sportgrößen wie Rodri, Iker Casillas und Raul sowie Novak Djokovic, Andy Murray, Serena Williams und Roger Federer zu Wort kamen. Nadal war in die Hocke gegangen und schaute gespannt zu. Nach Worten der Wertschätzung von David Ferrer gab es zum Abschied erneut ausufernden Applaus. Unter den Worten des Hallensprechers "Para Siempre" – "Für Immer" verließ Nadal mit gesenktem Kopf den Platz in Richtung Katakomben.
Nadal hinterlässt 92 Profititel, davon 22 Grand Slams, in den Geschichtsbüchern des Sports. Die 14 Siege bei den French Open stehen für die größte nicht wegen Dopings zurückgenommene Dominanz bei einem einzigen Sportevent in der Geschichte des Sports.
Daran dachte Rafael Nadal in all dem Trubel am Dienstag nicht. In gewisser Weise, sagte er, sei es ein passendes Ende. "Wenn das mein letztes Spiel war, denn wahrscheinlich war das mein letztes Einzel, wenn nichts passiert. Ich habe mein erstes Spiel im Davis Cup verloren (2004 gegen den Tschechen Jiri Novak Anm. d. Red), und ich habe mein letztes verloren. So schließt sich der Kreis."
- Eigene Beobachtungen