Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Rücktritt von Tennislegende Nadal Es war Hass
Mit Rafael Nadal geht einer der größten Tennisspieler der Welt in den Ruhestand, findet ein großer Tennisfan – auch wenn ihm diese Erkenntnis nicht sofort vergönnt war.
Eigentlich ist es unwürdig, anlässlich des Karriereendes eines Spielers vom Kaliber Rafael Nadals gleich zu Beginn der Würdigung den Namen seines größten Konkurrenten aufzuschreiben. Doch gestatten Sie mir zunächst die Beichte: Hier spricht ein eingefleischter Roger-Federer-Fan.
Dieser Umstand lässt es auf den ersten Blick absurd anmuten, dass ausgerechnet ich eine Würdigung für Nadal verfassen will. Federer-Fans wie ich verbinden mit Nadal schließlich zahlreiche schmerzliche wie frustrierende Niederlagen. Aber genau deshalb bleibt am Ende seiner langen und erfolgreichen Karriere vor allem ein Gefühl: Anerkennung.
Bis zu diesem Gefühl hatte ich jedoch zugegebenermaßen einen langen Weg zurückzulegen.
Er wurde zur Plage
Als Federer im Jahr 2003 in Wimbledon seinen ersten Grand-Slam-Sieg feierte, war ich sieben Jahre alt. Mit kindlicher Begeisterung verfolgte ich, wie sich der Schweizer in den folgenden Jahren zum besten Tennisspieler der Welt aufschwang und die Konkurrenz nahezu komplett dominierte.
Alles hätte perfekt sein können, wäre da nicht plötzlich dieser junge Spanier von der Insel Mallorca aufgetaucht: Rafael Nadal. Vor allem auf den Sandplätzen dieser Welt wurde "Rafa" schnell zur Plage. Schon bei seiner ersten Teilnahme im Jahr 2005 gewann er die French Open, überwand auf dem Weg zum Titel im Halbfinale auch Federer. Es war ein Bild, an das ich mich leider gewöhnen musste: Vier Jahre in Folge scheiterte Federer in Paris an Nadal. 2006 und 2007 war der Spanier damit der einzige Spieler, der Federers Kalender-Grand-Slam, also den Sieg bei allen vier Grand-Slam-Turnieren eines Jahres, verhinderte.
Der Knoten zog sich zu
Als Nadal dann sein Spiel weiter verfeinerte und auch bei den übrigen Grand Slams zur ernsthaften Gefahr wurde, zog sich der Knoten, den ich in meiner Brust spürte, immer weiter zu. Das, was ich fühlte, wenn ich im Fernsehen genauso hilflos wie mein Idol Federer auf der anderen Seite des Netzes zusehen musste, wie Nadals berühmte Vorhände ins Feld flogen, war mit Ärger oder Wut nicht mehr ausreichend beschrieben. Es war Hass.
Das mag dramatisch klingen. Doch die Tränen, die ich weinte, als Nadal in einem bis zur Abenddämmerung andauernden Finale in Wimbledon 2008 Federer den Pokal nach fünf Titeln in Folge entriss, waren erst der Anfang. Nur wenige Monate später ein ähnliches Bild: Im Finale der Australian Open 2009 gewann Nadal erneut einen Fünf-Satz-Krimi gegen Federer und der Schweizer weinte bei der Entgegennahme der Trophäe für den Zweitplatzierten genauso bitterlich wie ich zu Hause vor dem Bildschirm.
Während Tennis-Journalisten zu dieser Zeit schon die ersten Abgesänge auf Federer anstimmten, übte ich mich in hasserfüllter Realitätsverweigerung: Dieser Nadal ist doch gedopt, anders lässt sich das nicht erklären, sagte ich mir. Eines Tages wird das herauskommen. Eigentlich ist Federer der Größte. Das werden alle schon noch sehen.
Doch ich war es, der in seiner Verblendung etwas ganz anderes nicht sah: Federer selbst hatte ein ganz anderes Verhältnis zu Nadal. Die beiden waren nicht nur große Rivalen, sondern entwickelten über die Jahre auch eine enge Freundschaft. Mit jeder hitzigen Schlacht, die sie sich auf dem Tennisplatz lieferten, wuchs bei ihnen nicht etwa die Verbitterung über den jeweils anderen, sondern der Respekt.
Am Ende ließ Nadal bei Federers Tennis-Abschied vor ziemlich genau zwei Jahren alles stehen und liegen, inklusive seiner hochschwangeren Frau, um das letzte Match des Schweizers als dessen Doppelpartner zu bestreiten. Die Bilder, wie die beiden nach dem Spiel bitterlich weinend und Händchen haltend nebeneinandersaßen, gingen um die Welt.
Die Freundschaft der beiden Tennislegenden erscheint dabei nur logisch. Denn so sehr sich das Spiel des elegant über den Platz schwebenden Federers und des verbissen kämpfenden und bei jedem Schlag laut schreienden Nadals auch unterscheidet, so viel verbindet sie auch: keine Wutausbrüche inklusive zertrümmerter Schläger, keine privaten Skandale, nichts als wertschätzende Worte für jeden Gegner, keine Ausreden bei einer Niederlage und immer ganz viel Zeit für die Fans. Beide bemühten sich, möglichst gute Botschafter für den Tennissport zu sein. Beide gründeten darüber hinaus Wohltätigkeitsorganisationen, organisierten teilweise zusammen Matches, um Geld für ihre Anliegen zu sammeln. Am Ende blieb Federer fast nicht anderes übrig, als seinen großen Rivalen zu mögen – und auch mir nicht.
Ich musste aber erst erwachsen werden, um all diese Seiten an Nadal zu sehen – und dann auch mit Anerkennung statt eines hasserfüllten Knotens in der Brust seine Leistungen bewundern zu können. Nadals 22 Grand-Slam-Titel, seine zwei olympischen Goldmedaillen und 209 Wochen an der Weltranglistenspitze sind nämlich keinesfalls das Ergebnis unfairer Mittel, wie ich es früher noch vermutete. Es sind die Lorbeeren eines äußerst talentierten Mannes, der mit harter Arbeit und einem schier unendlichen Kampfgeist zu begeistern wusste.
Es ist genau dieser Kampfgeist, der es Nadal über die Jahre auch ermöglichte, sich nach zahllosen, von seinem körperlich aufreibenden Spiel verursachten Verletzungen immer und immer wieder in die Weltspitze zurückzuarbeiten.
So kommt es, dass Nadal sein letztes Match als Profi – anders als von allen erwartet – nun im gehobenen Sportleralter von 38 Jahren bestreiten darf. Und auch, wenn ich es früher nie geglaubt hätte: Ich werde das Match schauen – und ihn anfeuern.
- Eigene Beobachtungen