Seit 2021 verschwunden Ein großes Rätsel
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wo ist Peng Shuai? Diese Frage stellten sich vor fast zwei Jahren Tausende Tennisfans. Eine klare Antwort gibt es aber auch heute nicht.
Das soziale Netzwerk Weibo kannten in Europa bis Anfang November 2021 nur wenige. Die Plattform ist das chinesische Pendant zu Twitter – und wurde durch einen Post weltbekannt. Die Tennisspielerin Peng Shuai warf dort dem ehemaligen Vizepremierminister Zhang Gaoli vor, sie im Jahre 2018 zum Sex gezwungen zu haben. Später habe sie mit dem heute 76-jährigen Ex-Politiker eine jahrelange Affäre gehabt.
Beweise für die Tat Zhang Gaolis habe sie keine, schrieb Shuai in ihrem Post. "Ich weiß, dass ich nicht alles klar sagen kann und dass es keinen Sinn hat, es zu sagen. Aber ich will es trotzdem sagen", ergänzte sie.
Doch nicht einmal eine halbe Stunde später war der Eintrag gelöscht. Medienanfragen aus aller Welt blieben ohne Erfolg. Die Nachrichtenagentur Reuters meldete, dass ihr Name in der chinesischen Internetsuche kurze Zeit später blockiert wurde.
Osaka "unter Schock"
Von Shuai gab es daraufhin wochenlang kein Lebenszeichen. Fans machten sich Sorgen, unter dem Hashtag "#WhereIsPengShuai" machten sie auf den Fall aufmerksam. Auch andere Tennisspielerinnen äußerten sich besorgt, Naomi Osaka beispielsweise stand laut eigener Aussage "unter Schock wegen dieser Situation".
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Wenige Tage später veröffentlichte Chinas staatliches Auslandsfernsehen CGTN eine E-Mail, die Peng Shuai selbst an den Tennis-Weltverband WTA geschickt haben soll. Dort schrieb sie, dass die Vorwürfe "nicht wahr" seien und es keine sexuelle Nötigung seitens Zhang Gaoli gegeben habe. Die Echtheit der E-Mail wurde stark angezweifelt.
"Es fällt mir schwer zu glauben, dass Peng Shuai diese E-Mail, die wir bekommen haben, tatsächlich geschrieben hat", erklärte WTA-Chef Steve Simon. "Das heutige Statement vergrößert nur meine Bedenken bezüglich ihrer Sicherheit und ihres Aufenthaltsortes", sagte Simon. "Es muss Peng Shuai erlaubt werden, frei zu sprechen, ohne Zwang oder Einschüchterung durch eine Quelle."
Es folgten mysteriöse Videos von Peng Shuai bei der Eröffnungsfeier eines Junioren-Tennis-Finals in Peking sowie bei einem Abendessen mit ihrem Trainer und Freunden. Veröffentlicht wurden sie von einem Reporter der "Global Times", einer Zeitung unter Kontrolle der Regierung.
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Es sei eindeutig, dass es "am Samstag Pekinger Zeit aufgenommen wurde", betont der Reporter. Tatsächlich sagt ein Mann während der Unterhaltung, "morgen ist der 20. November"; er wird aber von einer Frau sofort korrigiert, dass dann der 21. November sei – und damit Sonntag.
Die Szenen in den Videos wirkten inszeniert, Fans und Experten forderten eine echte Aufklärung der Lage Peng Shuais. Auch WTA-Chef Steve Simon war nicht überzeugt: "Während es positiv ist, sie zu sehen, bleibt es unklar, ob sie frei ist und ihre eigenen Entscheidungen treffen kann."
Ein Videocall mit Thomas Bach
Wenige Monate vor den Olympischen Spielen in Peking geriet auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter Druck. Kann in einem Land, in dem eine Sportlerin zunächst verschwindet und dann nur gefiltert zu sehen ist, das wichtigste Sportereignis der Welt stattfinden?
IOC-Präsident Thomas Bach dachte aber nicht an einen Boykott. Stattdessen nahm der deutsche Funktionär laut einer Pressemitteilung des Weltverbands an einem Videocall mit Peng Shuai teil. Begleitet wurde dies mit einem Foto von der Unterhaltung. Auch wenn Bach überzeugt werden konnte, blieb Steve Simon zunächst kritisch. Er schloss einen Monat nach dem Weibo-Post Peng Shuais China von der WTA-Tour aus.
"Mit gutem Gewissen sehe ich nicht, wie wir unsere Athleten fragen können, dort anzutreten, wenn Peng Shuai nicht erlaubt ist, frei zu kommunizieren", erklärte er. Kurze Zeit später tauchte das nächste Video mit der Tennisspielerin auf. In einem Interview mit dem Medium "Lianhe Zaobao" sprach sie von einem "Missverständnis" und behauptete: "Ich muss einen Punkt betonen, der äußerst wichtig ist: Ich habe niemals gesagt oder geschrieben, dass mich jemand sexuell angegriffen hat. Das muss ich mit Nachdruck feststellen."
Auch dieses Video sorgte nicht für Ruhe, sondern befeuerte die Sorge um die ehemalige Nummer eins der Doppel-Weltrangliste.
Bei den Australian Open im Januar 2022 kam es zu ersten kleinen Protesten von Zuschauern, die T-Shirts mit der Aufschrift "Where Is Peng Shuai?" (zu Deutsch: Wo ist Peng Shuai?) trugen. Auch in den Folgemonaten kam es bei Tennisturnieren immer wieder zu Aktionen, bei denen Fans auf den Fall aufmerksam machten. Doch wirklich viel über den Zustand Peng Shuais wurde nicht bekannt.
"Sie ist keinen Moment frei"
Abgesehen von einem kurzen Auftritt bei den Olympischen Spielen in Peking im Februar 2022 war von Shuai nicht mehr viel zu sehen. Im Mai 2022 tauchte ihr Name plötzlich auf der Trainingsliste bei einem WTA-Turnier in Rom auf. Doch das entpuppte sich als Panne, Shuai wurde mit Landsfrau Zhang Shuai verwechselt.
"Es war offensichtlich ein Fehler, der am Samstag bei der Zusammenstellung des Trainingsprogramms für Sonntag gemacht wurde. Er wurde heute früh schnell korrigiert", sagte ein Sprecher der Organisatoren der Nachrichtenagentur AFP.
Derweil hielt der Tennis-Weltverband WTA sein Wort und trug die Finals ab Ende Oktober nicht wie geplant in China aus, sondern in den USA. Eine Besserung der Situation Peng Shuais wurde auch zu diesem Zeitpunkt nicht festgestellt.
"Sie ist keinen Moment frei. Ich glaube, dass sie weiterhin unter Zwängen steht, die wir uns nur ansatzweise vorstellen können", erklärte der Referent der Gesellschaft für bedrohte Völker, Hanno Schedler, der Deutschen Presse-Agentur. "Wir gehen weiter davon aus, dass sie eine Gefangene des Staates ist, wie sie es seit einem Jahr ist. Eine Gefangene insofern, dass sie sich wahrscheinlich nicht frei bewegen und sich nicht frei äußern kann. Der Staat hat genug Druckmittel."
Die Wendung der WTA
Bis heute gibt es kein ungefiltertes Statement der inzwischen 37 Jahre alten Peng Shuai. Dennoch kehrt China auf die WTA-Tour zurück. Das kündigte der Weltverband im April an.
Trotz der mehr als ein Jahr langen Aussetzung der Wettbewerbe und "anhaltenden Bemühungen, unsere ursprünglichen Forderungen zu erfüllen", seien "keine Anzeichen für eine Veränderung" sichtbar. "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass wir diese Ziele niemals vollständig erreichen werden", teilte die WTA mit. Es seien letztlich die Spielerinnen und Turniere, die "einen außerordentlichen Preis für ihre Opfer zahlen werden". Aus diesen Gründen nehme man den Spielbetrieb wieder auf.
Die Kehrtwende der WTA überraschte viele Fans, weshalb Verbandschef Simon in einem Interview mit der französischen Sportzeitung "L'Équipe" seine Entscheidung erklärte. Die WTA wisse, "wo sie sich befindet und dass sie in Sicherheit ist".
Simon sprach von einer Sackgasse, in der die WTA mit ihrem bisherigen Umgang des Falls Peng Shuai stecke. "Wir hätten in der Sackgasse bleiben und nicht weitergehen können. Oder wir könnten versuchen, ein Teil der Lösung zu sein. (...) Es geht darum, wie wir weiterhin die Interessen von Peng Shuai vertreten können. Wir müssen miteinander reden, um Lösungen zu finden."
Kritik und Unterstützung
Der neue Kurs der WTA wurde kurze Zeit später kritisiert. Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, schrieb auf Twitter: "Enttäuschend, dass die WTA einknickt. Es zeigt auch, dass die WTA alleingelassen wurde. Wenn es hier um Fairness und Gleichberechtigung und Solidarität gegangen wäre, hätten sich andere Weltverbände der WTA angeschlossen."
Das US-Sportmagazin "Sports Illustrated" wies daraufhin, dass die Rückkehr Chinas auch finanzielle Gründe haben dürfte. Rund ein Drittel der WTA-Einnahmen kommen aus China. Bei den Australian Open warb beispielsweise eine chinesische Spirituosenmarke.
Die Kritik am neuen Kurs änderte nichts, die WTA hielt an den Planungen fest. Anfang Juni verkündete der Verband, wann und wo das erste Turnier in China seit November 2021 stattfinden werde. Mitte September geht es für ein Hartplatzturnier nach Guangzhou. Weitere Turniere werden unter anderem in Peking und Zhuhai ausgetragen.
Ein Thema bleibt Peng Shuai trotzdem, auch wenn das der chinesischen Regierung und den Landesmedien nicht sonderlich genehm ist. Die "Bild"-Zeitung berichtete von einem Vorfall bei einer Presskonferenz im April beim Porsche Tennis Grand Prix in Stuttgart. Die 20 Jahre junge Spielerin Qinwen Zhang wurde nach ihrer Landsfrau gefragt. Noch bevor sie antwortete, soll sich ein chinesischer Journalist umgedreht haben und die deutschen Journalisten auf Englisch angesprochen haben: "Ich will euch einen Hinweis geben: Bitte fragt sie nicht ständig nach Peng Shuai."
Den Gefallen wollten ihm weder die anderen Pressemitglieder noch die Turnier-Offiziellen tun. Letztere unterbrachen den Chinesen und sorgten dafür, dass Qinwen Zhang die Frage ungestört beantworten konnte. Ihre Antwort gab aber keine weiteren Hinweise.
Die Szene zeigt dennoch, dass auch nach mehr als anderthalb Jahren nach dem Post auf Weibo im Fall Peng Shuai vorerst keine Ruhe einkehren wird.
- sport.orf.at: "'#MeToo': Tennis-Star Peng klagt chinesischen Politiker an"
- dw.com: "Peng Shuai und ihr 'gruseliges' Lebenszeichen"
- welt.de: "Video von vermisster Tennisspielerin Peng Shuai veröffentlicht"
- olympics.com: "IOC PRESIDENT AND IOC ATHLETES’ COMMISSION CHAIR HOLD VIDEO CALL WITH PENG SHUAI" (engl.)
- hrw.org: "Olympische Spiele: Peng Shuai beschützen"
- eurosport.de: "WTA ROM: PENG SHUAI VERSEHENTLICH AUF TRAININGSLISTE FÜR ITALIAN OPEN - CHINESIN MIT LANDSFRAU VERWECHSELT
- Nachrichtenagenturen dpa, SID
- lequipe.fr: "Steve Simon, patron de la WTA : 'Peng Shuai est en sécurité et nous savons où elle se trouve'"
- dw.com: "DTB: Peng Shuai nicht vergessen"
- bild.de: "Chinesin spricht über verschwundene Peng Shuai"